Seit man in Paris sich zwischen 6 und 7 Uhr Abends zur Mittagstafel setzt, weiß man natürlich nichts mehr von Vesperbrod, (goute); nur Schulknaben, Land- leute und Bewohner einiger entfernter Provinzen kennen noch das liebliche Schauspiel einer fröhlichen Gesellschaft, die sich um die geschäftige Hausmutter an einem Tische sammelt, der mit Milch, Früchten u. dgl. besetzt ist. Welch ein Leben! besonders im Freien, im Grünen. Dergleichen Scenen liebt man auch wohl in Paris noch, aber nur in der Oper. Der Thee hat den Platz des Vesperbrods eingenommen. Thee nennt man aber jetzt eine Mahlzeit, die zwischen 2 und 3 Uhr Morgens aufgetischt wird, und wobei man so ziemlich alles fin- det, nur keinen Thee. Fleisch, Wild, hitzige, schäu- mende Weine, Punsch, Bischof, das sind die Haupt- bestandtheile eines Thees. -- Jn einigen Städten Frankreichs sollen noch große goutes bei Kindtaufen ge- wöhnlich seyn; dann heißen sie Collationen. Alle ersinnliche Leckereien werden dabei verschwendet, doch alles wird kalt servirt. -- Die Beschreibung eines Ve- sperbrods nach alter guter Sitte findet man nur noch in der neuen Heloise, wo Frau von Wolmar ein solches in ihrem Elysium veranstaltet hat. -- Jn Paris sind die goutes sogar bei den Preisaustheilungen an die fleißige Jugend verschwunden. Daher würde ein ehrgeiziger Wirth in nicht geringe Verlegenheit gerathen,
Pariser Gewohnheiten und Sitten.
J. Essen und Trinken.
Seit man in Paris sich zwischen 6 und 7 Uhr Abends zur Mittagstafel setzt, weiß man natuͤrlich nichts mehr von Vesperbrod, (gouté); nur Schulknaben, Land- leute und Bewohner einiger entfernter Provinzen kennen noch das liebliche Schauspiel einer froͤhlichen Gesellschaft, die sich um die geschaͤftige Hausmutter an einem Tische sammelt, der mit Milch, Fruͤchten u. dgl. besetzt ist. Welch ein Leben! besonders im Freien, im Gruͤnen. Dergleichen Scenen liebt man auch wohl in Paris noch, aber nur in der Oper. Der Thee hat den Platz des Vesperbrods eingenommen. Thee nennt man aber jetzt eine Mahlzeit, die zwischen 2 und 3 Uhr Morgens aufgetischt wird, und wobei man so ziemlich alles fin- det, nur keinen Thee. Fleisch, Wild, hitzige, schaͤu- mende Weine, Punsch, Bischof, das sind die Haupt- bestandtheile eines Thees. — Jn einigen Staͤdten Frankreichs sollen noch große goutés bei Kindtaufen ge- woͤhnlich seyn; dann heißen sie Collationen. Alle ersinnliche Leckereien werden dabei verschwendet, doch alles wird kalt servirt. — Die Beschreibung eines Ve- sperbrods nach alter guter Sitte findet man nur noch in der neuen Heloise, wo Frau von Wolmar ein solches in ihrem Elysium veranstaltet hat. — Jn Paris sind die goutés sogar bei den Preisaustheilungen an die fleißige Jugend verschwunden. Daher wuͤrde ein ehrgeiziger Wirth in nicht geringe Verlegenheit gerathen,
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Pariser Gewohnheiten und Sitten.
J. Essen und Trinken.
Seit man in Paris sich zwischen 6 und 7 Uhr Abends
zur Mittagstafel setzt, weiß man natuͤrlich nichts mehr
von Vesperbrod, (gouté); nur Schulknaben, Land-
leute und Bewohner einiger entfernter Provinzen kennen
noch das liebliche Schauspiel einer froͤhlichen Gesellschaft,
die sich um die geschaͤftige Hausmutter an einem Tische
sammelt, der mit Milch, Fruͤchten u. dgl. besetzt ist.
Welch ein Leben! besonders im Freien, im Gruͤnen.
Dergleichen Scenen liebt man auch wohl in Paris noch,
aber nur in der Oper. Der Thee hat den Platz des
Vesperbrods eingenommen. Thee nennt man aber jetzt
eine Mahlzeit, die zwischen 2 und 3 Uhr Morgens
aufgetischt wird, und wobei man so ziemlich alles fin-
det, nur keinen Thee. Fleisch, Wild, hitzige, schaͤu-
mende Weine, Punsch, Bischof, das sind die Haupt-
bestandtheile eines Thees. — Jn einigen Staͤdten
Frankreichs sollen noch große goutés bei Kindtaufen ge-
woͤhnlich seyn; dann heißen sie Collationen. Alle
ersinnliche Leckereien werden dabei verschwendet, doch
alles wird kalt servirt. — Die Beschreibung eines Ve-
sperbrods nach alter guter Sitte findet man nur noch
in der neuen Heloise, wo Frau von Wolmar ein
solches in ihrem Elysium veranstaltet hat. — Jn Paris
sind die goutés sogar bei den Preisaustheilungen
an die fleißige Jugend verschwunden. Daher wuͤrde ein
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/165>, abgerufen am 16.02.2025.
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