einem tiefen Nachdenken hingegeben. Man erkennt die sehr einwärts gebogene Oberlippe, welche wahrscheinlich der Naturfehler war, der ihn hinderte, deutlich zu spre- chen. Hier steht Trajan, nicht als Kaiser, sondern als Philosoph; dort Sextus, dessen Andenken als Plutarchs Oheim, und mehr noch als Lehrer des guten Marc-Aurel uns werth bleibt. Hier Phocion, der bescheidenste unter den Helden, auch hier ohne allen Schmuck; dort Menander, der Fürst der neuen Comödie, (wie ihn die Griechen nannten), er sitzt und scheint zu ruhen. O, warum hat die Zeit nicht auch seine Schriften, wie diesen Marmor verschont! Grade jetzt wären sie uns am willkommensten, denn aus allem, was man davon weiß, erhellt, daß unsere neueren Grä- kuli vermuthlich dadurch in die Verlegenheit kommen wür- den, den armen Griechen allen Geschmack abzusprechen. -- Jn ähnlicher Stellung wie Menander, findet man hier auch den Schauspieldichter Posidippos, ein Bild von großer, einfacher Wahrheit. Diese Herme stellt einen jungen Wüstling vor, der seine Gesundheit verschwendete, und jene einen Mann, der die Kunst lehr- te, sie wieder herzustellen, Alcibiades und Hippo- crates. -- Ungerne reiße ich mich hier los und eile weiter.
Was ist lieblicher als diese schöne jungfräuliche Ge- stalt, die man Ceres nennt, weil es einem Erneuerer beliebt hat, ihr Kornähren in die Hand zu geben. Wahr- scheinlich hielt sie vormals ein Buch, und ward als Mu- se Clio verehrt. -- Jhrer Nachbarschaft werth ist ei- ne herrliche Urania, an der man unendliche Feinheit des Meißels bewundert. -- Ehrfurcht flößt eine römische Matrone ein, deren Kopf ein Porträt ist. Sie wur-
einem tiefen Nachdenken hingegeben. Man erkennt die sehr einwaͤrts gebogene Oberlippe, welche wahrscheinlich der Naturfehler war, der ihn hinderte, deutlich zu spre- chen. Hier steht Trajan, nicht als Kaiser, sondern als Philosoph; dort Sextus, dessen Andenken als Plutarchs Oheim, und mehr noch als Lehrer des guten Marc-Aurel uns werth bleibt. Hier Phocion, der bescheidenste unter den Helden, auch hier ohne allen Schmuck; dort Menander, der Fuͤrst der neuen Comoͤdie, (wie ihn die Griechen nannten), er sitzt und scheint zu ruhen. O, warum hat die Zeit nicht auch seine Schriften, wie diesen Marmor verschont! Grade jetzt waͤren sie uns am willkommensten, denn aus allem, was man davon weiß, erhellt, daß unsere neueren Graͤ- kuli vermuthlich dadurch in die Verlegenheit kommen wuͤr- den, den armen Griechen allen Geschmack abzusprechen. — Jn aͤhnlicher Stellung wie Menander, findet man hier auch den Schauspieldichter Posidippos, ein Bild von großer, einfacher Wahrheit. Diese Herme stellt einen jungen Wuͤstling vor, der seine Gesundheit verschwendete, und jene einen Mann, der die Kunst lehr- te, sie wieder herzustellen, Alcibiades und Hippo- crates. — Ungerne reiße ich mich hier los und eile weiter.
Was ist lieblicher als diese schoͤne jungfraͤuliche Ge- stalt, die man Ceres nennt, weil es einem Erneuerer beliebt hat, ihr Kornaͤhren in die Hand zu geben. Wahr- scheinlich hielt sie vormals ein Buch, und ward als Mu- se Clio verehrt. — Jhrer Nachbarschaft werth ist ei- ne herrliche Urania, an der man unendliche Feinheit des Meißels bewundert. — Ehrfurcht floͤßt eine roͤmische Matrone ein, deren Kopf ein Portraͤt ist. Sie wur-
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einem tiefen Nachdenken hingegeben. Man erkennt die
sehr einwaͤrts gebogene Oberlippe, welche wahrscheinlich
der Naturfehler war, der ihn hinderte, deutlich zu spre-
chen. Hier steht Trajan, nicht als Kaiser, sondern
als Philosoph; dort Sextus, dessen Andenken als
Plutarchs Oheim, und mehr noch als Lehrer des guten
Marc-Aurel uns werth bleibt. Hier Phocion, der
bescheidenste unter den Helden, auch hier ohne allen
Schmuck; dort Menander, der Fuͤrst der neuen
Comoͤdie, (wie ihn die Griechen nannten), er sitzt
und scheint zu ruhen. O, warum hat die Zeit nicht auch
seine Schriften, wie diesen Marmor verschont! Grade
jetzt waͤren sie uns am willkommensten, denn aus allem,
was man davon weiß, erhellt, daß unsere neueren Graͤ-
kuli vermuthlich dadurch in die Verlegenheit kommen wuͤr-
den, den armen Griechen allen Geschmack abzusprechen.
— Jn aͤhnlicher Stellung wie Menander, findet man
hier auch den Schauspieldichter Posidippos, ein
Bild von großer, einfacher Wahrheit. Diese Herme
stellt einen jungen Wuͤstling vor, der seine Gesundheit
verschwendete, und jene einen Mann, der die Kunst lehr-
te, sie wieder herzustellen, Alcibiades und Hippo-
crates. — Ungerne reiße ich mich hier los und eile
weiter.
Was ist lieblicher als diese schoͤne jungfraͤuliche Ge-
stalt, die man Ceres nennt, weil es einem Erneuerer
beliebt hat, ihr Kornaͤhren in die Hand zu geben. Wahr-
scheinlich hielt sie vormals ein Buch, und ward als Mu-
se Clio verehrt. — Jhrer Nachbarschaft werth ist ei-
ne herrliche Urania, an der man unendliche Feinheit
des Meißels bewundert. — Ehrfurcht floͤßt eine roͤmische
Matrone ein, deren Kopf ein Portraͤt ist. Sie wur-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/159>, abgerufen am 08.07.2024.
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