petit gegeben hat, so werfen wir uns schnell in einen Fia- cre, und fahren zum Restaurateur.
Ueber Madame Recamier.
Auf einer zarten bescheidenen Blume eine Raupenbrut zu finden, ist verdrüßlich; -- etwa durch Rauch das Unge- ziefer tödten, ist ein kräftiges Mittel, doch schadet's auch bisweilen der Blume selbst. So ist es mit dem Rufe ei- nes Frauenzimmers, dieser zartesten aller Blumen. Leicht möchte die Schöne glücklicher seyn, von der man gar nicht redet, als die von der man zu viel spricht; und oft mögte selbst die redlichste Bemühung, ihren Ruf zu ver- theidigen, die Verläumdung nur weiter verbreiten. Aus diesen Gründen habe ich bei mir angestanden, ob ich die Klatschereien, die mehrere deutsche Journalisten sich gegen die gute und liebenswürdige Madame Recamier erlaubt ha- ben, rügen und widerlegen solle? Und wenn ich -- bei der Ueberzeugung, daß der Neid imme lieber ein häßliches Mährchen, als eine schöne Wahrheit glaubt, -- es den- noch unternehme, so ist es mehr mein empörtes Gefühl, welches mich dazu antreibt, als die Hoffnung, Verläum- der zu belehren, die nicht belehrt seyn wollen.
Jch nannte Madame Recamier eben gut und lie- benswürdig; die meisten Leser werden wohl zuerst er- wartet haben, daß ich sie schön nennen würde? Nun ja, sie ist schön, sehr schön, und wer sie nur wenig sah, wird wohl zuerst davon reden; aber so wie die Häßlichkeit vor der Liebenswürdigkeit bald verschwindet, so auch die Schön
petit gegeben hat, so werfen wir uns schnell in einen Fia- cre, und fahren zum Restaurateur.
Ueber Madame Recamier.
Auf einer zarten bescheidenen Blume eine Raupenbrut zu finden, ist verdruͤßlich; — etwa durch Rauch das Unge- ziefer toͤdten, ist ein kraͤftiges Mittel, doch schadet's auch bisweilen der Blume selbst. So ist es mit dem Rufe ei- nes Frauenzimmers, dieser zartesten aller Blumen. Leicht moͤchte die Schoͤne gluͤcklicher seyn, von der man gar nicht redet, als die von der man zu viel spricht; und oft moͤgte selbst die redlichste Bemuͤhung, ihren Ruf zu ver- theidigen, die Verlaͤumdung nur weiter verbreiten. Aus diesen Gruͤnden habe ich bei mir angestanden, ob ich die Klatschereien, die mehrere deutsche Journalisten sich gegen die gute und liebenswuͤrdige Madame Recamier erlaubt ha- ben, ruͤgen und widerlegen solle? Und wenn ich — bei der Ueberzeugung, daß der Neid imme lieber ein haͤßliches Maͤhrchen, als eine schoͤne Wahrheit glaubt, — es den- noch unternehme, so ist es mehr mein empoͤrtes Gefuͤhl, welches mich dazu antreibt, als die Hoffnung, Verlaͤum- der zu belehren, die nicht belehrt seyn wollen.
Jch nannte Madame Recamier eben gut und lie- benswuͤrdig; die meisten Leser werden wohl zuerst er- wartet haben, daß ich sie schoͤn nennen wuͤrde? Nun ja, sie ist schoͤn, sehr schoͤn, und wer sie nur wenig sah, wird wohl zuerst davon reden; aber so wie die Haͤßlichkeit vor der Liebenswuͤrdigkeit bald verschwindet, so auch die Schoͤn
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petit gegeben hat, so werfen wir uns schnell in einen Fia-
cre, und fahren zum Restaurateur.
Ueber Madame Recamier.
Auf einer zarten bescheidenen Blume eine Raupenbrut zu
finden, ist verdruͤßlich; — etwa durch Rauch das Unge-
ziefer toͤdten, ist ein kraͤftiges Mittel, doch schadet's auch
bisweilen der Blume selbst. So ist es mit dem Rufe ei-
nes Frauenzimmers, dieser zartesten aller Blumen. Leicht
moͤchte die Schoͤne gluͤcklicher seyn, von der man gar
nicht redet, als die von der man zu viel spricht; und
oft moͤgte selbst die redlichste Bemuͤhung, ihren Ruf zu ver-
theidigen, die Verlaͤumdung nur weiter verbreiten. Aus
diesen Gruͤnden habe ich bei mir angestanden, ob ich die
Klatschereien, die mehrere deutsche Journalisten sich gegen
die gute und liebenswuͤrdige Madame Recamier erlaubt ha-
ben, ruͤgen und widerlegen solle? Und wenn ich — bei der
Ueberzeugung, daß der Neid imme lieber ein haͤßliches
Maͤhrchen, als eine schoͤne Wahrheit glaubt, — es den-
noch unternehme, so ist es mehr mein empoͤrtes Gefuͤhl,
welches mich dazu antreibt, als die Hoffnung, Verlaͤum-
der zu belehren, die nicht belehrt seyn wollen.
Jch nannte Madame Recamier eben gut und lie-
benswuͤrdig; die meisten Leser werden wohl zuerst er-
wartet haben, daß ich sie schoͤn nennen wuͤrde? Nun ja,
sie ist schoͤn, sehr schoͤn, und wer sie nur wenig sah, wird
wohl zuerst davon reden; aber so wie die Haͤßlichkeit vor
der Liebenswuͤrdigkeit bald verschwindet, so auch die Schoͤn
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/113>, abgerufen am 08.07.2024.
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