wegen der beiden kleinen Löwenköpfe ganz unten, einige Fuß über dem Fundament, die man gar nicht einmal gewahr wird, weil kein Wasser herausläuft, sondern weil man das wenige vorhandene Wasser erst herauspumpen muß. Von der größtentheils ausgekratzten Jnschrift ist nichts mehr übrig als die Worte: "Zum Nutzen der Bürger und zur Zierde "der Stadt," hiervon ist nur das letztere, doch auch nur zum Theil wahr, und dieser Zweck hätte auf andere Wei- se wohl glänzender erreicht werden können. -- Wir ha- ben noch einen weiten Weg bis zu der andern Fontaine auf dem Markte der Unschuldigen (marche des innocens); ich führe Sie daher schnell an der berüchtig- ten Abtei vorüber, die Sie an ihren vier kleinen Eck- thürmchen erkennen. Jm Jnnern des Hofes sind die Fen- ster auf eine sonderbare, grausam erfinderische Weise ver- macht, so daß der Gefangene durchaus nichts sehen kann, obgleich ein wenig Licht von oben hinein fällt. Die Fen- ster gleichen auf diese Weise fast einer Schachtel, in der man Raupen oder Maikäfer einsperrt, und den Deckel ein wenig schief darauf setzt, um den Thieren etwas Luft zu lassen. Hier ist die Thür, aus welcher in der Schreckens- zeit die Schlachtopfer gestoßen wurden; hier stehen wir auf der Stelle, auf welcher die harrenden Cannibalen sie em- pfiengen und zerfleischten; dies ist die Straßenrinne, in welcher damals Menschenblut, wie jetzt das Regenwasser, floß. O lassen Sie uns vorüber eilen! der Ort ist schauer- lich und ich mögte keinen Pallast der Abtei gegenüber zum Geschenk nehmen, obgleich die neuere Jnschrift besagt, daß sie jetzt nur noch zu einem Militär-Gefängnisse dient. --
Jetzt sind wir auf dem Markte der Unschuldigen. Die Fontaine mag schön seyn, wenn Wasser heraus- fließt, aber sie ist noch übler daran, als die in der rue
wegen der beiden kleinen Loͤwenkoͤpfe ganz unten, einige Fuß uͤber dem Fundament, die man gar nicht einmal gewahr wird, weil kein Wasser herauslaͤuft, sondern weil man das wenige vorhandene Wasser erst herauspumpen muß. Von der groͤßtentheils ausgekratzten Jnschrift ist nichts mehr uͤbrig als die Worte: „Zum Nutzen der Buͤrger und zur Zierde „der Stadt,“ hiervon ist nur das letztere, doch auch nur zum Theil wahr, und dieser Zweck haͤtte auf andere Wei- se wohl glaͤnzender erreicht werden koͤnnen. — Wir ha- ben noch einen weiten Weg bis zu der andern Fontaine auf dem Markte der Unschuldigen (marché des innocens); ich fuͤhre Sie daher schnell an der beruͤchtig- ten Abtei voruͤber, die Sie an ihren vier kleinen Eck- thuͤrmchen erkennen. Jm Jnnern des Hofes sind die Fen- ster auf eine sonderbare, grausam erfinderische Weise ver- macht, so daß der Gefangene durchaus nichts sehen kann, obgleich ein wenig Licht von oben hinein faͤllt. Die Fen- ster gleichen auf diese Weise fast einer Schachtel, in der man Raupen oder Maikaͤfer einsperrt, und den Deckel ein wenig schief darauf setzt, um den Thieren etwas Luft zu lassen. Hier ist die Thuͤr, aus welcher in der Schreckens- zeit die Schlachtopfer gestoßen wurden; hier stehen wir auf der Stelle, auf welcher die harrenden Cannibalen sie em- pfiengen und zerfleischten; dies ist die Straßenrinne, in welcher damals Menschenblut, wie jetzt das Regenwasser, floß. O lassen Sie uns voruͤber eilen! der Ort ist schauer- lich und ich moͤgte keinen Pallast der Abtei gegenuͤber zum Geschenk nehmen, obgleich die neuere Jnschrift besagt, daß sie jetzt nur noch zu einem Militaͤr-Gefaͤngnisse dient. —
Jetzt sind wir auf dem Markte der Unschuldigen. Die Fontaine mag schoͤn seyn, wenn Wasser heraus- fließt, aber sie ist noch uͤbler daran, als die in der rue
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0111"n="107"/>
wegen der beiden kleinen Loͤwenkoͤpfe ganz unten, einige Fuß<lb/>
uͤber dem Fundament, die man gar nicht einmal gewahr wird,<lb/>
weil <hirendition="#g">kein Wasser</hi> herauslaͤuft, sondern weil man das<lb/>
wenige vorhandene Wasser erst herauspumpen muß. Von<lb/>
der groͤßtentheils ausgekratzten Jnschrift ist nichts mehr uͤbrig<lb/>
als die Worte: „Zum Nutzen der Buͤrger und zur Zierde<lb/>„der Stadt,“ hiervon ist nur das letztere, doch auch nur<lb/>
zum Theil wahr, und dieser Zweck haͤtte auf andere Wei-<lb/>
se wohl glaͤnzender erreicht werden koͤnnen. — Wir ha-<lb/>
ben noch einen weiten Weg bis zu der andern Fontaine<lb/>
auf dem <hirendition="#g">Markte der Unschuldigen</hi> (marché des<lb/>
innocens); ich fuͤhre Sie daher schnell an der beruͤchtig-<lb/>
ten <hirendition="#g">Abtei</hi> voruͤber, die Sie an ihren vier kleinen Eck-<lb/>
thuͤrmchen erkennen. Jm Jnnern des Hofes sind die Fen-<lb/>
ster auf eine sonderbare, grausam erfinderische Weise ver-<lb/>
macht, so daß der Gefangene durchaus nichts sehen kann,<lb/>
obgleich ein wenig Licht von oben hinein faͤllt. Die Fen-<lb/>
ster gleichen auf diese Weise fast einer Schachtel, in der<lb/>
man Raupen oder Maikaͤfer einsperrt, und den Deckel ein<lb/>
wenig schief darauf setzt, um den Thieren etwas Luft zu<lb/>
lassen. Hier ist die Thuͤr, aus welcher in der Schreckens-<lb/>
zeit die Schlachtopfer gestoßen wurden; hier stehen wir auf<lb/>
der Stelle, auf welcher die harrenden Cannibalen sie em-<lb/>
pfiengen und zerfleischten; dies ist die Straßenrinne, in<lb/>
welcher damals Menschenblut, wie jetzt das Regenwasser,<lb/>
floß. O lassen Sie uns voruͤber eilen! der Ort ist schauer-<lb/>
lich und ich moͤgte keinen Pallast der Abtei gegenuͤber zum<lb/>
Geschenk nehmen, obgleich die neuere Jnschrift besagt,<lb/>
daß sie jetzt nur noch zu einem Militaͤr-Gefaͤngnisse dient. —</p><lb/><p>Jetzt sind wir auf dem Markte der Unschuldigen. Die<lb/>
Fontaine mag schoͤn seyn, wenn <hirendition="#g">Wasser heraus-<lb/>
fließt,</hi> aber sie ist noch uͤbler daran, als die in der rue<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[107/0111]
wegen der beiden kleinen Loͤwenkoͤpfe ganz unten, einige Fuß
uͤber dem Fundament, die man gar nicht einmal gewahr wird,
weil kein Wasser herauslaͤuft, sondern weil man das
wenige vorhandene Wasser erst herauspumpen muß. Von
der groͤßtentheils ausgekratzten Jnschrift ist nichts mehr uͤbrig
als die Worte: „Zum Nutzen der Buͤrger und zur Zierde
„der Stadt,“ hiervon ist nur das letztere, doch auch nur
zum Theil wahr, und dieser Zweck haͤtte auf andere Wei-
se wohl glaͤnzender erreicht werden koͤnnen. — Wir ha-
ben noch einen weiten Weg bis zu der andern Fontaine
auf dem Markte der Unschuldigen (marché des
innocens); ich fuͤhre Sie daher schnell an der beruͤchtig-
ten Abtei voruͤber, die Sie an ihren vier kleinen Eck-
thuͤrmchen erkennen. Jm Jnnern des Hofes sind die Fen-
ster auf eine sonderbare, grausam erfinderische Weise ver-
macht, so daß der Gefangene durchaus nichts sehen kann,
obgleich ein wenig Licht von oben hinein faͤllt. Die Fen-
ster gleichen auf diese Weise fast einer Schachtel, in der
man Raupen oder Maikaͤfer einsperrt, und den Deckel ein
wenig schief darauf setzt, um den Thieren etwas Luft zu
lassen. Hier ist die Thuͤr, aus welcher in der Schreckens-
zeit die Schlachtopfer gestoßen wurden; hier stehen wir auf
der Stelle, auf welcher die harrenden Cannibalen sie em-
pfiengen und zerfleischten; dies ist die Straßenrinne, in
welcher damals Menschenblut, wie jetzt das Regenwasser,
floß. O lassen Sie uns voruͤber eilen! der Ort ist schauer-
lich und ich moͤgte keinen Pallast der Abtei gegenuͤber zum
Geschenk nehmen, obgleich die neuere Jnschrift besagt,
daß sie jetzt nur noch zu einem Militaͤr-Gefaͤngnisse dient. —
Jetzt sind wir auf dem Markte der Unschuldigen. Die
Fontaine mag schoͤn seyn, wenn Wasser heraus-
fließt, aber sie ist noch uͤbler daran, als die in der rue
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/111>, abgerufen am 08.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.