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Kosegarten, Ludwig Gotthard: Poesieen. Bd. 2. Leipzig, 1798.

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Bist du es, enge Spalte, draus die Rede,
Das Angeld ewiger Veredlung, fleusst?
Draus jeder gährende Gedank' und jede
Herzschwellende Empfindung sich ergeusst?
Bist du es, kleine leichtverschnürte Ritze,
Aus welcher Platons Honigweisheit floss?
Aus welcher Demosthen des Heroismus Blitze
Durch das entmannte Hellas schoss?
Bist du es, zartes fas'riges Geflechte,
Das nicht dem Demant, nicht der Zeder ward,
Das nur dem gottheitnähern Thiergeschlechte
Zum Majestätsbrief seines Vorzugs ward?
Seyd ihr es, tausendfach verschlungne Faden,
Durch die uns tausendfach Gefühl durchzückt,
Durch die in diesem Nu uns Wollustfluthen baden,
In jenem Mörder-Schmerz uns knickt.
Bist du es, weiches Mark, das unum-
schränket
Durch jenes Kunstgespinnstes zarten Zwirn
Die Muskeln spannt, das Spiel der Fibern lenket,
Itzt hemmt, itzt fortschnellt -- königliches Hirn!
Organ des Denkens, das, von Kepler's Stirne
Umwölbt, der Weltsysteme Tanz erräth!
Organ des Forschens, das in unsers Kant Gehirne
Das Thule der Vernunft durchspäht!

Bist du es, enge Spalte, draus die Rede,
Das Angeld ewiger Veredlung, fleusst?
Draus jeder gährende Gedank' und jede
Herzschwellende Empfindung sich ergeusst?
Bist du es, kleine leichtverschnürte Ritze,
Aus welcher Platons Honigweisheit floss?
Aus welcher Demosthen des Heroismus Blitze
Durch das entmannte Hellas schoss?
Bist du es, zartes fas'riges Geflechte,
Das nicht dem Demant, nicht der Zeder ward,
Das nur dem gottheitnähern Thiergeschlechte
Zum Majestätsbrief seines Vorzugs ward?
Seyd ihr es, tausendfach verschlungne Faden,
Durch die uns tausendfach Gefühl durchzückt,
Durch die in diesem Nu uns Wollustfluthen baden,
In jenem Mörder-Schmerz uns knickt.
Bist du es, weiches Mark, das unum-
schränket
Durch jenes Kunstgespinnstes zarten Zwirn
Die Muskeln spannt, das Spiel der Fibern lenket,
Itzt hemmt, itzt fortschnellt — königliches Hirn!
Organ des Denkens, das, von Kepler's Stirne
Umwölbt, der Weltsysteme Tanz erräth!
Organ des Forschens, das in unsers Kant Gehirne
Das Thule der Vernunft durchspäht!

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[143/0159] Bist du es, enge Spalte, draus die Rede, Das Angeld ewiger Veredlung, fleusst? Draus jeder gährende Gedank' und jede Herzschwellende Empfindung sich ergeusst? Bist du es, kleine leichtverschnürte Ritze, Aus welcher Platons Honigweisheit floss? Aus welcher Demosthen des Heroismus Blitze Durch das entmannte Hellas schoss? Bist du es, zartes fas'riges Geflechte, Das nicht dem Demant, nicht der Zeder ward, Das nur dem gottheitnähern Thiergeschlechte Zum Majestätsbrief seines Vorzugs ward? Seyd ihr es, tausendfach verschlungne Faden, Durch die uns tausendfach Gefühl durchzückt, Durch die in diesem Nu uns Wollustfluthen baden, In jenem Mörder-Schmerz uns knickt. Bist du es, weiches Mark, das unum- schränket Durch jenes Kunstgespinnstes zarten Zwirn Die Muskeln spannt, das Spiel der Fibern lenket, Itzt hemmt, itzt fortschnellt — königliches Hirn! Organ des Denkens, das, von Kepler's Stirne Umwölbt, der Weltsysteme Tanz erräth! Organ des Forschens, das in unsers Kant Gehirne Das Thule der Vernunft durchspäht!

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Zitationshilfe: Kosegarten, Ludwig Gotthard: Poesieen. Bd. 2. Leipzig, 1798, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kosegarten_poesieen02_1798/159>, abgerufen am 24.11.2024.