Kosegarten, Ludwig Gotthard: Poesieen. Bd. 1. Leipzig, 1798."Wie wird mir -- hilf Himmel -- verschmacht' ich doch schier! "Ach hätt' ich nur Einen Trunk Wassers hier!" Ritter Ingild war ihr so hold und treu. Er nahm ihren silberspangigen Schuh. Er rannte weit hin zum klaren Born, Durch Sumpf und Busch, durch Distel und Dorn. Er schöpfte des Wassers, er rannte daher. Eine Nachtigall sang ihm traurige Mähr. "Schön Sidselil liegt todt im seidenen Moos, "Ihr liegen zween holde Knäblein im Schooss." Er achtete nicht auf den traurigen Sang; Er rannte den dumpfigen Anger entlang. Und als er kam, wo Schön Sidselil lag, Da ward er gewahr, was die Nachtigall sprach. Schön Sidselil lag todt im seidenen Moos, Ihr lagen zween todte Knäblein im Schooss. Er grub ein Grab so tief, als breit, Und legte seine drey Lieben bey Seit. „Wie wird mir — hilf Himmel — verschmacht' ich doch schier! „Ach hätt' ich nur Einen Trunk Wassers hier!“ Ritter Ingild war ihr so hold und treu. Er nahm ihren silberspangigen Schuh. Er rannte weit hin zum klaren Born, Durch Sumpf und Busch, durch Distel und Dorn. Er schöpfte des Wassers, er rannte daher. Eine Nachtigall sang ihm traurige Mähr. „Schön Sidselil liegt todt im seidenen Moos, „Ihr liegen zween holde Knäblein im Schooſs.“ Er achtete nicht auf den traurigen Sang; Er rannte den dumpfigen Anger entlang. Und als er kam, wo Schön Sidselil lag, Da ward er gewahr, was die Nachtigall sprach. Schön Sidselil lag todt im seidenen Moos, Ihr lagen zween todte Knäblein im Schooſs. Er grub ein Grab so tief, als breit, Und legte seine drey Lieben bey Seit. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0271" n="229"/> <lg n="32"> <l>„Wie wird mir — hilf Himmel — verschmacht'</l><lb/> <l>ich doch schier!</l><lb/> <l>„Ach hätt' ich nur Einen Trunk Wassers hier!“</l> </lg><lb/> <lg n="33"> <l>Ritter Ingild war ihr so hold und treu.</l><lb/> <l>Er nahm ihren silberspangigen Schuh.</l> </lg><lb/> <lg n="34"> <l>Er rannte weit hin zum klaren Born,</l><lb/> <l>Durch Sumpf und Busch, durch Distel und Dorn.</l> </lg><lb/> <lg n="35"> <l>Er schöpfte des Wassers, er rannte daher.</l><lb/> <l>Eine Nachtigall sang ihm traurige Mähr.</l> </lg><lb/> <lg n="36"> <l>„Schön Sidselil liegt todt im seidenen Moos,</l><lb/> <l>„Ihr liegen zween holde Knäblein im Schooſs.“</l> </lg><lb/> <lg n="37"> <l>Er achtete nicht auf den traurigen Sang;</l><lb/> <l>Er rannte den dumpfigen Anger entlang.</l> </lg><lb/> <lg n="38"> <l>Und als er kam, wo Schön Sidselil lag,</l><lb/> <l>Da ward er gewahr, was die Nachtigall sprach.</l> </lg><lb/> <lg n="39"> <l>Schön Sidselil lag todt im seidenen Moos,</l><lb/> <l>Ihr lagen zween todte Knäblein im Schooſs.</l> </lg><lb/> <lg n="40"> <l>Er grub ein Grab so tief, als breit,</l><lb/> <l>Und legte seine drey Lieben bey Seit.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [229/0271]
„Wie wird mir — hilf Himmel — verschmacht'
ich doch schier!
„Ach hätt' ich nur Einen Trunk Wassers hier!“
Ritter Ingild war ihr so hold und treu.
Er nahm ihren silberspangigen Schuh.
Er rannte weit hin zum klaren Born,
Durch Sumpf und Busch, durch Distel und Dorn.
Er schöpfte des Wassers, er rannte daher.
Eine Nachtigall sang ihm traurige Mähr.
„Schön Sidselil liegt todt im seidenen Moos,
„Ihr liegen zween holde Knäblein im Schooſs.“
Er achtete nicht auf den traurigen Sang;
Er rannte den dumpfigen Anger entlang.
Und als er kam, wo Schön Sidselil lag,
Da ward er gewahr, was die Nachtigall sprach.
Schön Sidselil lag todt im seidenen Moos,
Ihr lagen zween todte Knäblein im Schooſs.
Er grub ein Grab so tief, als breit,
Und legte seine drey Lieben bey Seit.
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Zitationshilfe: | Kosegarten, Ludwig Gotthard: Poesieen. Bd. 1. Leipzig, 1798, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kosegarten_poesieen01_1798/271>, abgerufen am 16.02.2025. |