Kopisch, August: Der Träumer. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–67. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.brach die ganze Versammlung in ein lautes Gelächter aus: Vor ihm stand Tommaso der Ziegenhirt mit einer Kumme Milch, und die Engel kamen nicht wieder! Und der Schatz war weg! jammerte der Eremit darein und zerraufte sich und zerschlug sich. Da nahm das Gelächter immer mehr überhand, bis der Richter Schweigen gebot und zum Eremiten sprach: Verzeiht, wenn ich mitlache, aber es ist sonderbar, einen Mann, der sich in die Waldeinöde zurückgezogen, in solcher Art um irdische Geschöpfe jammern zu hören. Lacht wie ihr wollt; aber hört mich weiter, sagte der Eremit, und schützt mich den Gesetzen nach gegen Raub und Einbruch! Ich höre, daß der Gragnaner Engel so eben einen Schatz gebracht hat und wette, daß es einer der meinigen ist. Ich will ihn genau beschreiben; es ist ein schöngearbeiteter Kasten, mit vielem Messing beschlagen, und geht von unten zu öffnen; inwendig liegt zu oberst ein Pergament, darunter Gold und Juwelen. Habt Ihr die Schrift davon gelesen? Nein, lesen kann ich nicht; aber es sind viel Schnörkel darauf, und es hängen gewaltige Siegel daran. Könnt Ihr den Kasten öffnen? O ja, sogleich, und hier ist der Schlüssel! Mit Behendigkeit wandte der Eremit den Kasten, öffnete ihn, und der Richter fand Alles, wie Jener es beschrieben. Schon wollte der Eremit nach dem Kasten langen und sich den Besitz desselben wieder zueignen, schon brach die ganze Versammlung in ein lautes Gelächter aus: Vor ihm stand Tommaso der Ziegenhirt mit einer Kumme Milch, und die Engel kamen nicht wieder! Und der Schatz war weg! jammerte der Eremit darein und zerraufte sich und zerschlug sich. Da nahm das Gelächter immer mehr überhand, bis der Richter Schweigen gebot und zum Eremiten sprach: Verzeiht, wenn ich mitlache, aber es ist sonderbar, einen Mann, der sich in die Waldeinöde zurückgezogen, in solcher Art um irdische Geschöpfe jammern zu hören. Lacht wie ihr wollt; aber hört mich weiter, sagte der Eremit, und schützt mich den Gesetzen nach gegen Raub und Einbruch! Ich höre, daß der Gragnaner Engel so eben einen Schatz gebracht hat und wette, daß es einer der meinigen ist. Ich will ihn genau beschreiben; es ist ein schöngearbeiteter Kasten, mit vielem Messing beschlagen, und geht von unten zu öffnen; inwendig liegt zu oberst ein Pergament, darunter Gold und Juwelen. Habt Ihr die Schrift davon gelesen? Nein, lesen kann ich nicht; aber es sind viel Schnörkel darauf, und es hängen gewaltige Siegel daran. Könnt Ihr den Kasten öffnen? O ja, sogleich, und hier ist der Schlüssel! Mit Behendigkeit wandte der Eremit den Kasten, öffnete ihn, und der Richter fand Alles, wie Jener es beschrieben. Schon wollte der Eremit nach dem Kasten langen und sich den Besitz desselben wieder zueignen, schon <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0068"/> brach die ganze Versammlung in ein lautes Gelächter aus: Vor ihm stand Tommaso der Ziegenhirt mit einer Kumme Milch, und die Engel kamen nicht wieder!</p><lb/> <p>Und der Schatz war weg! jammerte der Eremit darein und zerraufte sich und zerschlug sich. Da nahm das Gelächter immer mehr überhand, bis der Richter Schweigen gebot und zum Eremiten sprach: Verzeiht, wenn ich mitlache, aber es ist sonderbar, einen Mann, der sich in die Waldeinöde zurückgezogen, in solcher Art um irdische Geschöpfe jammern zu hören.</p><lb/> <p>Lacht wie ihr wollt; aber hört mich weiter, sagte der Eremit, und schützt mich den Gesetzen nach gegen Raub und Einbruch! Ich höre, daß der Gragnaner Engel so eben einen Schatz gebracht hat und wette, daß es einer der meinigen ist. Ich will ihn genau beschreiben; es ist ein schöngearbeiteter Kasten, mit vielem Messing beschlagen, und geht von unten zu öffnen; inwendig liegt zu oberst ein Pergament, darunter Gold und Juwelen.</p><lb/> <p>Habt Ihr die Schrift davon gelesen?</p><lb/> <p>Nein, lesen kann ich nicht; aber es sind viel Schnörkel darauf, und es hängen gewaltige Siegel daran.</p><lb/> <p>Könnt Ihr den Kasten öffnen?</p><lb/> <p>O ja, sogleich, und hier ist der Schlüssel! Mit Behendigkeit wandte der Eremit den Kasten, öffnete ihn, und der Richter fand Alles, wie Jener es beschrieben.</p><lb/> <p>Schon wollte der Eremit nach dem Kasten langen und sich den Besitz desselben wieder zueignen, schon<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0068]
brach die ganze Versammlung in ein lautes Gelächter aus: Vor ihm stand Tommaso der Ziegenhirt mit einer Kumme Milch, und die Engel kamen nicht wieder!
Und der Schatz war weg! jammerte der Eremit darein und zerraufte sich und zerschlug sich. Da nahm das Gelächter immer mehr überhand, bis der Richter Schweigen gebot und zum Eremiten sprach: Verzeiht, wenn ich mitlache, aber es ist sonderbar, einen Mann, der sich in die Waldeinöde zurückgezogen, in solcher Art um irdische Geschöpfe jammern zu hören.
Lacht wie ihr wollt; aber hört mich weiter, sagte der Eremit, und schützt mich den Gesetzen nach gegen Raub und Einbruch! Ich höre, daß der Gragnaner Engel so eben einen Schatz gebracht hat und wette, daß es einer der meinigen ist. Ich will ihn genau beschreiben; es ist ein schöngearbeiteter Kasten, mit vielem Messing beschlagen, und geht von unten zu öffnen; inwendig liegt zu oberst ein Pergament, darunter Gold und Juwelen.
Habt Ihr die Schrift davon gelesen?
Nein, lesen kann ich nicht; aber es sind viel Schnörkel darauf, und es hängen gewaltige Siegel daran.
Könnt Ihr den Kasten öffnen?
O ja, sogleich, und hier ist der Schlüssel! Mit Behendigkeit wandte der Eremit den Kasten, öffnete ihn, und der Richter fand Alles, wie Jener es beschrieben.
Schon wollte der Eremit nach dem Kasten langen und sich den Besitz desselben wieder zueignen, schon
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Zitationshilfe: | Kopisch, August: Der Träumer. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–67. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kopisch_traeumer_1910/68>, abgerufen am 16.07.2024. |