Kopisch, August: Der Träumer. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–67. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Bestreben, die naive, durchaus anschauliche, von aller sentimentalen oder reflectirenden Beimischung freie Erzählungsweise der älteren Italiener bei uns einzuführen, ist auch hier dasselbe. Dagegen blieb der Erfolg hinter dem früheren zurück. Theils war die Zeitrichtung ernster geworden, theils hatte auch manches kritische Wort den Dichter eingeschüchtert; genug, als später eine ähnliche Aufforderung an ihn gerichtet ward, erklärte er, keine Novelle mehr schreiben zu wollen; die Leute verständen diese Gattung nicht mehr". Wer beide Erzählungen unbefangen vergleicht, wird dem Erfolge und seiner kritischen Stimme allerdings Recht geben müssen. Zunächst fällt eine Gleichartigkeit in Stoff und Behandlung auf, wie sie selbst bei Kindern desselben Vaters ungewöhnlich ist. Nicht nur daß Farbe und Ton, der liebenswürdige barok-phantastische Humor, endlich die Auflösung alles Uebermuths in gemüthvollen Ernst und strenge poetische Gerechtigkeit beiden Geschwistern gemeinsam sind: in beiden dreht sich die Verwicklung um festliche Veranstaltungen der seltsamsten Art, um einen abenteuerlichen Mummenschanz, der schließlich auf die humoristische Züchtigung der Philister und die Krönung des bescheidenen Verdienstes hinausläuft. In beiden wird mit besonderer Gründlichkeit gezecht und geschmaus't und eine Art Schlaraffentraum verwirklicht, so daß man hier das Wehen desselben Geistes zu fühlen glaubt, dem der "Geist der Kochkunst" seine Entstehung verdankte. Ja, so weit geht die Uebereinstimmung, daß beide Male der Held der Geschichte auf eigene Hand nicht zum Ziele gelangt wäre, wenn nicht befreundete Mächte weder Zeit noch Mühe, weder Aufwand noch Witz gescheut hätten, um der Tugend zum Siege zu verhelfen. Es ist deßhalb zu begreifen, wenn auch wohl nicht ganz zu billigen, daß die Herausgeber der sämmtlichen Werke des Dichters von beiden Erzählungen nur Eine aufzunehmen für gut fanden, um nicht dicht neben einander zwei Werke zu stellen, die fast wie Variationen desselben Thema's aussehen. Sie gaben dem "Fest der Kahlköpfe" den Vorzug, den diese Arbeit auch in unseren Augen verdient. Gleichwohl würde "der Träumer", wenn er uns allein Bestreben, die naive, durchaus anschauliche, von aller sentimentalen oder reflectirenden Beimischung freie Erzählungsweise der älteren Italiener bei uns einzuführen, ist auch hier dasselbe. Dagegen blieb der Erfolg hinter dem früheren zurück. Theils war die Zeitrichtung ernster geworden, theils hatte auch manches kritische Wort den Dichter eingeschüchtert; genug, als später eine ähnliche Aufforderung an ihn gerichtet ward, erklärte er, keine Novelle mehr schreiben zu wollen; die Leute verständen diese Gattung nicht mehr“. Wer beide Erzählungen unbefangen vergleicht, wird dem Erfolge und seiner kritischen Stimme allerdings Recht geben müssen. Zunächst fällt eine Gleichartigkeit in Stoff und Behandlung auf, wie sie selbst bei Kindern desselben Vaters ungewöhnlich ist. Nicht nur daß Farbe und Ton, der liebenswürdige barok-phantastische Humor, endlich die Auflösung alles Uebermuths in gemüthvollen Ernst und strenge poetische Gerechtigkeit beiden Geschwistern gemeinsam sind: in beiden dreht sich die Verwicklung um festliche Veranstaltungen der seltsamsten Art, um einen abenteuerlichen Mummenschanz, der schließlich auf die humoristische Züchtigung der Philister und die Krönung des bescheidenen Verdienstes hinausläuft. In beiden wird mit besonderer Gründlichkeit gezecht und geschmaus't und eine Art Schlaraffentraum verwirklicht, so daß man hier das Wehen desselben Geistes zu fühlen glaubt, dem der „Geist der Kochkunst“ seine Entstehung verdankte. Ja, so weit geht die Uebereinstimmung, daß beide Male der Held der Geschichte auf eigene Hand nicht zum Ziele gelangt wäre, wenn nicht befreundete Mächte weder Zeit noch Mühe, weder Aufwand noch Witz gescheut hätten, um der Tugend zum Siege zu verhelfen. Es ist deßhalb zu begreifen, wenn auch wohl nicht ganz zu billigen, daß die Herausgeber der sämmtlichen Werke des Dichters von beiden Erzählungen nur Eine aufzunehmen für gut fanden, um nicht dicht neben einander zwei Werke zu stellen, die fast wie Variationen desselben Thema's aussehen. Sie gaben dem „Fest der Kahlköpfe“ den Vorzug, den diese Arbeit auch in unseren Augen verdient. Gleichwohl würde „der Träumer“, wenn er uns allein <TEI> <text> <front> <div type="preface"> <p><pb facs="#f0006"/> Bestreben, die naive, durchaus anschauliche, von aller sentimentalen oder reflectirenden Beimischung freie Erzählungsweise der älteren Italiener bei uns einzuführen, ist auch hier dasselbe. Dagegen blieb der Erfolg hinter dem früheren zurück. Theils war die Zeitrichtung ernster geworden, theils hatte auch manches kritische Wort den Dichter eingeschüchtert; genug, als später eine ähnliche Aufforderung an ihn gerichtet ward, erklärte er, keine Novelle mehr schreiben zu wollen; die Leute verständen diese Gattung nicht mehr“.</p><lb/> <p>Wer beide Erzählungen unbefangen vergleicht, wird dem Erfolge und seiner kritischen Stimme allerdings Recht geben müssen. Zunächst fällt eine Gleichartigkeit in Stoff und Behandlung auf, wie sie selbst bei Kindern desselben Vaters ungewöhnlich ist. Nicht nur daß Farbe und Ton, der liebenswürdige barok-phantastische Humor, endlich die Auflösung alles Uebermuths in gemüthvollen Ernst und strenge poetische Gerechtigkeit beiden Geschwistern gemeinsam sind: in beiden dreht sich die Verwicklung um festliche Veranstaltungen der seltsamsten Art, um einen abenteuerlichen Mummenschanz, der schließlich auf die humoristische Züchtigung der Philister und die Krönung des bescheidenen Verdienstes hinausläuft. In beiden wird mit besonderer Gründlichkeit gezecht und geschmaus't und eine Art Schlaraffentraum verwirklicht, so daß man hier das Wehen desselben Geistes zu fühlen glaubt, dem der „Geist der Kochkunst“ seine Entstehung verdankte. Ja, so weit geht die Uebereinstimmung, daß beide Male der Held der Geschichte auf eigene Hand nicht zum Ziele gelangt wäre, wenn nicht befreundete Mächte weder Zeit noch Mühe, weder Aufwand noch Witz gescheut hätten, um der Tugend zum Siege zu verhelfen.</p><lb/> <p>Es ist deßhalb zu begreifen, wenn auch wohl nicht ganz zu billigen, daß die Herausgeber der sämmtlichen Werke des Dichters von beiden Erzählungen nur Eine aufzunehmen für gut fanden, um nicht dicht neben einander zwei Werke zu stellen, die fast wie Variationen desselben Thema's aussehen. Sie gaben dem „Fest der Kahlköpfe“ den Vorzug, den diese Arbeit auch in unseren Augen verdient. Gleichwohl würde „der Träumer“, wenn er uns allein<lb/></p> </div> </front> </text> </TEI> [0006]
Bestreben, die naive, durchaus anschauliche, von aller sentimentalen oder reflectirenden Beimischung freie Erzählungsweise der älteren Italiener bei uns einzuführen, ist auch hier dasselbe. Dagegen blieb der Erfolg hinter dem früheren zurück. Theils war die Zeitrichtung ernster geworden, theils hatte auch manches kritische Wort den Dichter eingeschüchtert; genug, als später eine ähnliche Aufforderung an ihn gerichtet ward, erklärte er, keine Novelle mehr schreiben zu wollen; die Leute verständen diese Gattung nicht mehr“.
Wer beide Erzählungen unbefangen vergleicht, wird dem Erfolge und seiner kritischen Stimme allerdings Recht geben müssen. Zunächst fällt eine Gleichartigkeit in Stoff und Behandlung auf, wie sie selbst bei Kindern desselben Vaters ungewöhnlich ist. Nicht nur daß Farbe und Ton, der liebenswürdige barok-phantastische Humor, endlich die Auflösung alles Uebermuths in gemüthvollen Ernst und strenge poetische Gerechtigkeit beiden Geschwistern gemeinsam sind: in beiden dreht sich die Verwicklung um festliche Veranstaltungen der seltsamsten Art, um einen abenteuerlichen Mummenschanz, der schließlich auf die humoristische Züchtigung der Philister und die Krönung des bescheidenen Verdienstes hinausläuft. In beiden wird mit besonderer Gründlichkeit gezecht und geschmaus't und eine Art Schlaraffentraum verwirklicht, so daß man hier das Wehen desselben Geistes zu fühlen glaubt, dem der „Geist der Kochkunst“ seine Entstehung verdankte. Ja, so weit geht die Uebereinstimmung, daß beide Male der Held der Geschichte auf eigene Hand nicht zum Ziele gelangt wäre, wenn nicht befreundete Mächte weder Zeit noch Mühe, weder Aufwand noch Witz gescheut hätten, um der Tugend zum Siege zu verhelfen.
Es ist deßhalb zu begreifen, wenn auch wohl nicht ganz zu billigen, daß die Herausgeber der sämmtlichen Werke des Dichters von beiden Erzählungen nur Eine aufzunehmen für gut fanden, um nicht dicht neben einander zwei Werke zu stellen, die fast wie Variationen desselben Thema's aussehen. Sie gaben dem „Fest der Kahlköpfe“ den Vorzug, den diese Arbeit auch in unseren Augen verdient. Gleichwohl würde „der Träumer“, wenn er uns allein
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