Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.er auf dem Rückwege an der Pfarrwohnung vorüber kam, fand er sie im Vorhause in tiefem Gespräche mit der Haushälterin des Pfarrers, und dort rief er ihr die Meldung, die sie nach Hause verlangte, zu. Fischele hatte mit feinen Ohren gehört, wie des Pfarrers Haushälterin zu Anezka sagte: Du wirst dir doch nicht von so einem Juden befehlen lassen? Gerade möcht' ich's nicht thun. Aber auch das hatte der Knabe gehört und gesehen, wie die Magd darauf antwortete: Es ist heute das letzte Mal, daß ich's thue. Die Großmutter schüttelte zu diesem Berichte den Kopf; in Josseph loderte aber der Zorn gewaltig auf. Er rief nun die Magd, die indessen heimgekehrt war; sie erschien aber nicht und blieb draußen in der Küche, wo sie sich allerhand zu schaffen machte. -- Um Gott's willen, bat ihn die alte Marjim, er möchte sich doch nicht so heruntersetzen, daß er selbst in die Küche hinaus ginge, um mit der Magd zu schmälen. Fischele mußte hinaus gehen, um sie noch einmal zu rufen. Nach einer Weile kam der Knabe und sagte, Anezka sitze draußen auf der Schwelle und hätte laut aufgelacht, wie er sie zum zweiten Male gerufen. Was sagst du nun zu deiner Anezka? sprach Josseph mit vor innerer Bewegung zitternden Lippen. Er wollte ruhig erscheinen, aber Zorn, Entbehrung und das Seelenleiden des erlebten Tages ließen einen furchtbaren Ausbruch erwarten. er auf dem Rückwege an der Pfarrwohnung vorüber kam, fand er sie im Vorhause in tiefem Gespräche mit der Haushälterin des Pfarrers, und dort rief er ihr die Meldung, die sie nach Hause verlangte, zu. Fischele hatte mit feinen Ohren gehört, wie des Pfarrers Haushälterin zu Anezka sagte: Du wirst dir doch nicht von so einem Juden befehlen lassen? Gerade möcht' ich's nicht thun. Aber auch das hatte der Knabe gehört und gesehen, wie die Magd darauf antwortete: Es ist heute das letzte Mal, daß ich's thue. Die Großmutter schüttelte zu diesem Berichte den Kopf; in Josseph loderte aber der Zorn gewaltig auf. Er rief nun die Magd, die indessen heimgekehrt war; sie erschien aber nicht und blieb draußen in der Küche, wo sie sich allerhand zu schaffen machte. — Um Gott's willen, bat ihn die alte Marjim, er möchte sich doch nicht so heruntersetzen, daß er selbst in die Küche hinaus ginge, um mit der Magd zu schmälen. Fischele mußte hinaus gehen, um sie noch einmal zu rufen. Nach einer Weile kam der Knabe und sagte, Anezka sitze draußen auf der Schwelle und hätte laut aufgelacht, wie er sie zum zweiten Male gerufen. Was sagst du nun zu deiner Anezka? sprach Josseph mit vor innerer Bewegung zitternden Lippen. Er wollte ruhig erscheinen, aber Zorn, Entbehrung und das Seelenleiden des erlebten Tages ließen einen furchtbaren Ausbruch erwarten. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="6"> <p><pb facs="#f0088"/> er auf dem Rückwege an der Pfarrwohnung vorüber kam, fand er sie im Vorhause in tiefem Gespräche mit der Haushälterin des Pfarrers, und dort rief er ihr die Meldung, die sie nach Hause verlangte, zu. Fischele hatte mit feinen Ohren gehört, wie des Pfarrers Haushälterin zu Anezka sagte: Du wirst dir doch nicht von so einem Juden befehlen lassen? Gerade möcht' ich's nicht thun. Aber auch das hatte der Knabe gehört und gesehen, wie die Magd darauf antwortete: Es ist heute das letzte Mal, daß ich's thue.</p><lb/> <p>Die Großmutter schüttelte zu diesem Berichte den Kopf; in Josseph loderte aber der Zorn gewaltig auf. Er rief nun die Magd, die indessen heimgekehrt war; sie erschien aber nicht und blieb draußen in der Küche, wo sie sich allerhand zu schaffen machte. —</p><lb/> <p>Um Gott's willen, bat ihn die alte Marjim, er möchte sich doch nicht so heruntersetzen, daß er selbst in die Küche hinaus ginge, um mit der Magd zu schmälen. Fischele mußte hinaus gehen, um sie noch einmal zu rufen.</p><lb/> <p>Nach einer Weile kam der Knabe und sagte, Anezka sitze draußen auf der Schwelle und hätte laut aufgelacht, wie er sie zum zweiten Male gerufen.</p><lb/> <p>Was sagst du nun zu deiner Anezka? sprach Josseph mit vor innerer Bewegung zitternden Lippen. Er wollte ruhig erscheinen, aber Zorn, Entbehrung und das Seelenleiden des erlebten Tages ließen einen furchtbaren Ausbruch erwarten.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0088]
er auf dem Rückwege an der Pfarrwohnung vorüber kam, fand er sie im Vorhause in tiefem Gespräche mit der Haushälterin des Pfarrers, und dort rief er ihr die Meldung, die sie nach Hause verlangte, zu. Fischele hatte mit feinen Ohren gehört, wie des Pfarrers Haushälterin zu Anezka sagte: Du wirst dir doch nicht von so einem Juden befehlen lassen? Gerade möcht' ich's nicht thun. Aber auch das hatte der Knabe gehört und gesehen, wie die Magd darauf antwortete: Es ist heute das letzte Mal, daß ich's thue.
Die Großmutter schüttelte zu diesem Berichte den Kopf; in Josseph loderte aber der Zorn gewaltig auf. Er rief nun die Magd, die indessen heimgekehrt war; sie erschien aber nicht und blieb draußen in der Küche, wo sie sich allerhand zu schaffen machte. —
Um Gott's willen, bat ihn die alte Marjim, er möchte sich doch nicht so heruntersetzen, daß er selbst in die Küche hinaus ginge, um mit der Magd zu schmälen. Fischele mußte hinaus gehen, um sie noch einmal zu rufen.
Nach einer Weile kam der Knabe und sagte, Anezka sitze draußen auf der Schwelle und hätte laut aufgelacht, wie er sie zum zweiten Male gerufen.
Was sagst du nun zu deiner Anezka? sprach Josseph mit vor innerer Bewegung zitternden Lippen. Er wollte ruhig erscheinen, aber Zorn, Entbehrung und das Seelenleiden des erlebten Tages ließen einen furchtbaren Ausbruch erwarten.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-15T13:25:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-15T13:25:39Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |