Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.nichts vorgesorgt hatte. Der Feuerherd stand unberührt und Anezka -- vielleicht im Wirthshaus! Das brachte in Josseph einen gewaltigen Zorn hervor; Fischele mußte das ganze Dorf durchstreichen, ins Wirthshaus unter die Tanzenden sich mischen und der Magd den gemessenen Befehl, augenblicklich nach Hause zu kommen, bringen. Zu seiner Mutter aber sagte er mit aller Bitterkeit eines versauerten Gemüths: Da siehst du, was man davon hat, wenn man sein Herz an sie wegschenkt. Ender soll man sich's herausreißen und in tausend Stück' zerschneiden. Wo ist denn jetzt dein "jüdischer" Kopf, deine Anezka? Die weiß vielleicht nicht, daß ich heute gefastet habe, daß ich hungrig bin? Aber wo sie dem Juden nur ein Herzeleid anthun können, da bleiben sie stehen. Trau' du Einem von ihnen, mich wirst du in meinem ganzen Leben nicht dazu bringen. Die milde, fromme Marjim konnte trotz dieser Rede nicht überzeugt werden, daß man ihrer Anezka nicht trauen dürfe. Sie ist noch jung, sagte sie, und auf dem Tanzplatz vergißt man sich bald. Ein Wolf, hab' ich in meiner Kindheit gehört, ist auch einmal jung gewesen, sagte Josseph drauf mit höhnischem Lachen, und hat doch die Kinder gefressen. -- Endlich kam die Magd in Begleitung Fischele's. Er hatte sie im ganzen Dorfe vergeblich gesucht; im Wirthshaus war sie gar nicht gewesen. Endlich, als nichts vorgesorgt hatte. Der Feuerherd stand unberührt und Anezka — vielleicht im Wirthshaus! Das brachte in Josseph einen gewaltigen Zorn hervor; Fischele mußte das ganze Dorf durchstreichen, ins Wirthshaus unter die Tanzenden sich mischen und der Magd den gemessenen Befehl, augenblicklich nach Hause zu kommen, bringen. Zu seiner Mutter aber sagte er mit aller Bitterkeit eines versauerten Gemüths: Da siehst du, was man davon hat, wenn man sein Herz an sie wegschenkt. Ender soll man sich's herausreißen und in tausend Stück' zerschneiden. Wo ist denn jetzt dein „jüdischer“ Kopf, deine Anezka? Die weiß vielleicht nicht, daß ich heute gefastet habe, daß ich hungrig bin? Aber wo sie dem Juden nur ein Herzeleid anthun können, da bleiben sie stehen. Trau' du Einem von ihnen, mich wirst du in meinem ganzen Leben nicht dazu bringen. Die milde, fromme Marjim konnte trotz dieser Rede nicht überzeugt werden, daß man ihrer Anezka nicht trauen dürfe. Sie ist noch jung, sagte sie, und auf dem Tanzplatz vergißt man sich bald. Ein Wolf, hab' ich in meiner Kindheit gehört, ist auch einmal jung gewesen, sagte Josseph drauf mit höhnischem Lachen, und hat doch die Kinder gefressen. — Endlich kam die Magd in Begleitung Fischele's. Er hatte sie im ganzen Dorfe vergeblich gesucht; im Wirthshaus war sie gar nicht gewesen. Endlich, als <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="6"> <p><pb facs="#f0087"/> nichts vorgesorgt hatte. Der Feuerherd stand unberührt und Anezka — vielleicht im Wirthshaus!</p><lb/> <p>Das brachte in Josseph einen gewaltigen Zorn hervor; Fischele mußte das ganze Dorf durchstreichen, ins Wirthshaus unter die Tanzenden sich mischen und der Magd den gemessenen Befehl, augenblicklich nach Hause zu kommen, bringen. Zu seiner Mutter aber sagte er mit aller Bitterkeit eines versauerten Gemüths:</p><lb/> <p>Da siehst du, was man davon hat, wenn man sein Herz an sie wegschenkt. Ender soll man sich's herausreißen und in tausend Stück' zerschneiden. Wo ist denn jetzt dein „jüdischer“ Kopf, deine Anezka? Die weiß vielleicht nicht, daß ich heute gefastet habe, daß ich hungrig bin? Aber wo sie dem Juden nur ein Herzeleid anthun können, da bleiben sie stehen. Trau' du Einem von ihnen, mich wirst du in meinem ganzen Leben nicht dazu bringen.</p><lb/> <p>Die milde, fromme Marjim konnte trotz dieser Rede nicht überzeugt werden, daß man ihrer Anezka nicht trauen dürfe.</p><lb/> <p>Sie ist noch jung, sagte sie, und auf dem Tanzplatz vergißt man sich bald.</p><lb/> <p>Ein Wolf, hab' ich in meiner Kindheit gehört, ist auch einmal jung gewesen, sagte Josseph drauf mit höhnischem Lachen, und hat doch die Kinder gefressen. —</p><lb/> <p>Endlich kam die Magd in Begleitung Fischele's. Er hatte sie im ganzen Dorfe vergeblich gesucht; im Wirthshaus war sie gar nicht gewesen. Endlich, als<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0087]
nichts vorgesorgt hatte. Der Feuerherd stand unberührt und Anezka — vielleicht im Wirthshaus!
Das brachte in Josseph einen gewaltigen Zorn hervor; Fischele mußte das ganze Dorf durchstreichen, ins Wirthshaus unter die Tanzenden sich mischen und der Magd den gemessenen Befehl, augenblicklich nach Hause zu kommen, bringen. Zu seiner Mutter aber sagte er mit aller Bitterkeit eines versauerten Gemüths:
Da siehst du, was man davon hat, wenn man sein Herz an sie wegschenkt. Ender soll man sich's herausreißen und in tausend Stück' zerschneiden. Wo ist denn jetzt dein „jüdischer“ Kopf, deine Anezka? Die weiß vielleicht nicht, daß ich heute gefastet habe, daß ich hungrig bin? Aber wo sie dem Juden nur ein Herzeleid anthun können, da bleiben sie stehen. Trau' du Einem von ihnen, mich wirst du in meinem ganzen Leben nicht dazu bringen.
Die milde, fromme Marjim konnte trotz dieser Rede nicht überzeugt werden, daß man ihrer Anezka nicht trauen dürfe.
Sie ist noch jung, sagte sie, und auf dem Tanzplatz vergißt man sich bald.
Ein Wolf, hab' ich in meiner Kindheit gehört, ist auch einmal jung gewesen, sagte Josseph drauf mit höhnischem Lachen, und hat doch die Kinder gefressen. —
Endlich kam die Magd in Begleitung Fischele's. Er hatte sie im ganzen Dorfe vergeblich gesucht; im Wirthshaus war sie gar nicht gewesen. Endlich, als
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