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Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Er hatte diesen Vater nie geliebt, in Streit und Hader mit ihm gelebt, so lange sie mit einander auf Erden verkehrten; dennoch hielt Josseph den Todestag seines Vaters hoch und heilig, fast wie den Jom Kippur; er beging ihn mit Fasten und Kasteien und hatte ihn nie versäumt. Um Madlena's willen war er ja gestorben.

Welches Herzeleid, und sei es noch so innig und brennend, sitzt tief genug, daß es den Einflüssen leiblichen Begehrens auf die Länge sich entziehen könnte? Als die drei gesetzlichen Sterne am Himmel erschienen, war Josseph hungriger als je und begehrte zu essen. -- --

Wir haben bereits erzählt, daß die Tochter des Bauern Stepan Parzik im Hause als Magd diente. Das Mädchen war in seinem zehnten Jahre zu der Judenfamilie gekommen und konnte fast als ein Glied des Hauses betrachtet werden. Sie hatte Fischele auf den Armen getragen, ihn fast erzogen, da seine Mutter kurz nach seiner Geburt gestorben war, und mit rührender Zärtlichkeit hing die Bauernmagd an Allem, was zu Josseph's Hause gehörte. Im Laufe der Jahre, als sie mit den Sitten und Gewohnheiten der Familie ganz vertraut worden, hatte sich das dienende Verhältniß der Tochter des "Dechanten" zu einem wahrhaft beneidenswerthen gestaltet. Es ist dies das Eigenthümliche in solchen Häusern, daß man den Dienstleuten, die ein Kind des Hauses haben zur Welt kommen gesehen, gleichsam aus Dankbarkeit eine bevor-

Er hatte diesen Vater nie geliebt, in Streit und Hader mit ihm gelebt, so lange sie mit einander auf Erden verkehrten; dennoch hielt Josseph den Todestag seines Vaters hoch und heilig, fast wie den Jom Kippur; er beging ihn mit Fasten und Kasteien und hatte ihn nie versäumt. Um Madlena's willen war er ja gestorben.

Welches Herzeleid, und sei es noch so innig und brennend, sitzt tief genug, daß es den Einflüssen leiblichen Begehrens auf die Länge sich entziehen könnte? Als die drei gesetzlichen Sterne am Himmel erschienen, war Josseph hungriger als je und begehrte zu essen. — —

Wir haben bereits erzählt, daß die Tochter des Bauern Stepan Parzik im Hause als Magd diente. Das Mädchen war in seinem zehnten Jahre zu der Judenfamilie gekommen und konnte fast als ein Glied des Hauses betrachtet werden. Sie hatte Fischele auf den Armen getragen, ihn fast erzogen, da seine Mutter kurz nach seiner Geburt gestorben war, und mit rührender Zärtlichkeit hing die Bauernmagd an Allem, was zu Josseph's Hause gehörte. Im Laufe der Jahre, als sie mit den Sitten und Gewohnheiten der Familie ganz vertraut worden, hatte sich das dienende Verhältniß der Tochter des „Dechanten“ zu einem wahrhaft beneidenswerthen gestaltet. Es ist dies das Eigenthümliche in solchen Häusern, daß man den Dienstleuten, die ein Kind des Hauses haben zur Welt kommen gesehen, gleichsam aus Dankbarkeit eine bevor-

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[0083] Er hatte diesen Vater nie geliebt, in Streit und Hader mit ihm gelebt, so lange sie mit einander auf Erden verkehrten; dennoch hielt Josseph den Todestag seines Vaters hoch und heilig, fast wie den Jom Kippur; er beging ihn mit Fasten und Kasteien und hatte ihn nie versäumt. Um Madlena's willen war er ja gestorben. Welches Herzeleid, und sei es noch so innig und brennend, sitzt tief genug, daß es den Einflüssen leiblichen Begehrens auf die Länge sich entziehen könnte? Als die drei gesetzlichen Sterne am Himmel erschienen, war Josseph hungriger als je und begehrte zu essen. — — Wir haben bereits erzählt, daß die Tochter des Bauern Stepan Parzik im Hause als Magd diente. Das Mädchen war in seinem zehnten Jahre zu der Judenfamilie gekommen und konnte fast als ein Glied des Hauses betrachtet werden. Sie hatte Fischele auf den Armen getragen, ihn fast erzogen, da seine Mutter kurz nach seiner Geburt gestorben war, und mit rührender Zärtlichkeit hing die Bauernmagd an Allem, was zu Josseph's Hause gehörte. Im Laufe der Jahre, als sie mit den Sitten und Gewohnheiten der Familie ganz vertraut worden, hatte sich das dienende Verhältniß der Tochter des „Dechanten“ zu einem wahrhaft beneidenswerthen gestaltet. Es ist dies das Eigenthümliche in solchen Häusern, daß man den Dienstleuten, die ein Kind des Hauses haben zur Welt kommen gesehen, gleichsam aus Dankbarkeit eine bevor-

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:25:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:25:39Z)

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Zitationshilfe: Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/83>, abgerufen am 27.11.2024.