Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.blicke wie vom Himmel zugeschickt dünkte. Es war der Bauer Stepan Parzik aus dem Dorfe. -- -- So sind die Menschen! In jedem andern Augenblicke hätte Josseph Anstand genommen, sich mit einem "Bauer", der nicht im besten Rufe stand, so vor dem ganzen Dorfe "herzustellen", jetzt überwog der Gedanke, bei ihm sich Rath erholen zu können, jedes Bedenken, er ging ihm sogar die Hälfte Weges entgegen und reichte ihm die Hand, die er sonst früher in einen stechenden Dornbusch lieber, als in die Rechte des Bauers Stepan Parzik gelegt hätte. Parzik war im Dorfe als ein wilder, händelsüchtiger Mensch bekannt, wie wohl sich ihm eigentlich Böses nicht nachsagen ließ. Er war im Dorfe mehr gefürchtet als gehaßt, und eine dunkle Sage erzählte von dem beinahe sechzigjährigen Manne, er habe in seiner Jugend vierzehn Schulen studirt und hätte in dem bischöflichen Seminar in Königgrätz Geistlicher werden sollen. Wie es aber gekommen war, daß Parzik wieder Bauer geworden und in das weltliche Leben zurückgekehrt war, das wußte Niemand mit schlagenden Gründen anzugeben. Die ganze Erscheinung des vierschrötigen, breiten Mannes mit seinen weitspurigen Schritten, der rauhen Sprache, dem slavischen Typus in den stark heraustretenden Zügen seines Antlitzes erinnerte sehr wenig an den einstigen Beruf seiner blicke wie vom Himmel zugeschickt dünkte. Es war der Bauer Stepan Parzik aus dem Dorfe. — — So sind die Menschen! In jedem andern Augenblicke hätte Josseph Anstand genommen, sich mit einem „Bauer“, der nicht im besten Rufe stand, so vor dem ganzen Dorfe „herzustellen“, jetzt überwog der Gedanke, bei ihm sich Rath erholen zu können, jedes Bedenken, er ging ihm sogar die Hälfte Weges entgegen und reichte ihm die Hand, die er sonst früher in einen stechenden Dornbusch lieber, als in die Rechte des Bauers Stepan Parzik gelegt hätte. Parzik war im Dorfe als ein wilder, händelsüchtiger Mensch bekannt, wie wohl sich ihm eigentlich Böses nicht nachsagen ließ. Er war im Dorfe mehr gefürchtet als gehaßt, und eine dunkle Sage erzählte von dem beinahe sechzigjährigen Manne, er habe in seiner Jugend vierzehn Schulen studirt und hätte in dem bischöflichen Seminar in Königgrätz Geistlicher werden sollen. Wie es aber gekommen war, daß Parzik wieder Bauer geworden und in das weltliche Leben zurückgekehrt war, das wußte Niemand mit schlagenden Gründen anzugeben. Die ganze Erscheinung des vierschrötigen, breiten Mannes mit seinen weitspurigen Schritten, der rauhen Sprache, dem slavischen Typus in den stark heraustretenden Zügen seines Antlitzes erinnerte sehr wenig an den einstigen Beruf seiner <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="4"> <p><pb facs="#f0058"/> blicke wie vom Himmel zugeschickt dünkte. Es war der Bauer Stepan Parzik aus dem Dorfe. — —</p><lb/> <p>So sind die Menschen! In jedem andern Augenblicke hätte Josseph Anstand genommen, sich mit einem „Bauer“, der nicht im besten Rufe stand, so vor dem ganzen Dorfe „herzustellen“, jetzt überwog der Gedanke, bei ihm sich Rath erholen zu können, jedes Bedenken, er ging ihm sogar die Hälfte Weges entgegen und reichte ihm die Hand, die er sonst früher in einen stechenden Dornbusch lieber, als in die Rechte des Bauers Stepan Parzik gelegt hätte.</p><lb/> <p>Parzik war im Dorfe als ein wilder, händelsüchtiger Mensch bekannt, wie wohl sich ihm eigentlich Böses nicht nachsagen ließ. Er war im Dorfe mehr gefürchtet als gehaßt, und eine dunkle Sage erzählte von dem beinahe sechzigjährigen Manne, er habe in seiner Jugend vierzehn Schulen studirt und hätte in dem bischöflichen Seminar in Königgrätz Geistlicher werden sollen. Wie es aber gekommen war, daß Parzik wieder Bauer geworden und in das weltliche Leben zurückgekehrt war, das wußte Niemand mit schlagenden Gründen anzugeben. Die ganze Erscheinung des vierschrötigen, breiten Mannes mit seinen weitspurigen Schritten, der rauhen Sprache, dem slavischen Typus in den stark heraustretenden Zügen seines Antlitzes erinnerte sehr wenig an den einstigen Beruf seiner<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0058]
blicke wie vom Himmel zugeschickt dünkte. Es war der Bauer Stepan Parzik aus dem Dorfe. — —
So sind die Menschen! In jedem andern Augenblicke hätte Josseph Anstand genommen, sich mit einem „Bauer“, der nicht im besten Rufe stand, so vor dem ganzen Dorfe „herzustellen“, jetzt überwog der Gedanke, bei ihm sich Rath erholen zu können, jedes Bedenken, er ging ihm sogar die Hälfte Weges entgegen und reichte ihm die Hand, die er sonst früher in einen stechenden Dornbusch lieber, als in die Rechte des Bauers Stepan Parzik gelegt hätte.
Parzik war im Dorfe als ein wilder, händelsüchtiger Mensch bekannt, wie wohl sich ihm eigentlich Böses nicht nachsagen ließ. Er war im Dorfe mehr gefürchtet als gehaßt, und eine dunkle Sage erzählte von dem beinahe sechzigjährigen Manne, er habe in seiner Jugend vierzehn Schulen studirt und hätte in dem bischöflichen Seminar in Königgrätz Geistlicher werden sollen. Wie es aber gekommen war, daß Parzik wieder Bauer geworden und in das weltliche Leben zurückgekehrt war, das wußte Niemand mit schlagenden Gründen anzugeben. Die ganze Erscheinung des vierschrötigen, breiten Mannes mit seinen weitspurigen Schritten, der rauhen Sprache, dem slavischen Typus in den stark heraustretenden Zügen seines Antlitzes erinnerte sehr wenig an den einstigen Beruf seiner
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Zitationshilfe: | Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/58>, abgerufen am 25.07.2024. |