Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.eine lange Weile da, anscheinend in einer Art Verzückung, daß sie den Knaben nicht bemerkte, der, das Päckchen in der Hand, unschlüssig dastand und mit dem Fortgehen zögerte. Babe, rief dieser leise. Die alte Marjim fuhr auf: Bist du noch da? fragte sie fast grämlich, ich hab' gemeint, du bist schon über alle Berge. Babe, wirst du nicht bös sein, begann Fischele kleinlaut -- -- ich fürcht' mich. Fürchten? gehst du denn mitten unter Räuber, entgegnete Marjim lächelnd, ich mein', es wird dir Keiner was zu Leid thun. Babe, begann wieder der Knabe, der kaum die Augen aufzuschlagen sich getraute, Babe, was mach' ich aber, wenn sie das Kreuz über mich macht? Diese Einwendung schien auf die alte Frau nicht die gehoffte Wirkung hervorzubringen; ein eigenthümliches Lächeln schwebte um die dünnen Lippen, als Glorie eines wahnbefreiten Gemüthes. Narrele, sagte sie, weißt du, was dein Urdede immer gesagt hat, wenn mir meine Mutter etwas verwiesen hat, was nicht jüdisch war? "Narrele," hat er gesagt, "nicht sollst du wissen, was man Alles thun darf." Wenn sie aber doch das Kreuz über mich macht? entgegnete der unüberzeugte Knabe. Da will ich dir einen guten Rath geben, Fischele eine lange Weile da, anscheinend in einer Art Verzückung, daß sie den Knaben nicht bemerkte, der, das Päckchen in der Hand, unschlüssig dastand und mit dem Fortgehen zögerte. Babe, rief dieser leise. Die alte Marjim fuhr auf: Bist du noch da? fragte sie fast grämlich, ich hab' gemeint, du bist schon über alle Berge. Babe, wirst du nicht bös sein, begann Fischele kleinlaut — — ich fürcht' mich. Fürchten? gehst du denn mitten unter Räuber, entgegnete Marjim lächelnd, ich mein', es wird dir Keiner was zu Leid thun. Babe, begann wieder der Knabe, der kaum die Augen aufzuschlagen sich getraute, Babe, was mach' ich aber, wenn sie das Kreuz über mich macht? Diese Einwendung schien auf die alte Frau nicht die gehoffte Wirkung hervorzubringen; ein eigenthümliches Lächeln schwebte um die dünnen Lippen, als Glorie eines wahnbefreiten Gemüthes. Narrele, sagte sie, weißt du, was dein Urdede immer gesagt hat, wenn mir meine Mutter etwas verwiesen hat, was nicht jüdisch war? „Narrele,“ hat er gesagt, „nicht sollst du wissen, was man Alles thun darf.“ Wenn sie aber doch das Kreuz über mich macht? entgegnete der unüberzeugte Knabe. Da will ich dir einen guten Rath geben, Fischele <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0048"/> eine lange Weile da, anscheinend in einer Art Verzückung, daß sie den Knaben nicht bemerkte, der, das Päckchen in der Hand, unschlüssig dastand und mit dem Fortgehen zögerte.</p><lb/> <p>Babe, rief dieser leise.</p><lb/> <p>Die alte Marjim fuhr auf:</p><lb/> <p>Bist du noch da? fragte sie fast grämlich, ich hab' gemeint, du bist schon über alle Berge.</p><lb/> <p>Babe, wirst du nicht bös sein, begann Fischele kleinlaut — — ich fürcht' mich.</p><lb/> <p>Fürchten? gehst du denn mitten unter Räuber, entgegnete Marjim lächelnd, ich mein', es wird dir Keiner was zu Leid thun.</p><lb/> <p>Babe, begann wieder der Knabe, der kaum die Augen aufzuschlagen sich getraute, Babe, was mach' ich aber, wenn sie das Kreuz über mich macht?</p><lb/> <p>Diese Einwendung schien auf die alte Frau nicht die gehoffte Wirkung hervorzubringen; ein eigenthümliches Lächeln schwebte um die dünnen Lippen, als Glorie eines wahnbefreiten Gemüthes.</p><lb/> <p>Narrele, sagte sie, weißt du, was dein Urdede immer gesagt hat, wenn mir meine Mutter etwas verwiesen hat, was nicht jüdisch war? „Narrele,“ hat er gesagt, „nicht sollst du wissen, was man Alles thun darf.“</p><lb/> <p>Wenn sie aber doch das Kreuz über mich macht? entgegnete der unüberzeugte Knabe.</p><lb/> <p>Da will ich dir einen guten Rath geben, Fischele<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0048]
eine lange Weile da, anscheinend in einer Art Verzückung, daß sie den Knaben nicht bemerkte, der, das Päckchen in der Hand, unschlüssig dastand und mit dem Fortgehen zögerte.
Babe, rief dieser leise.
Die alte Marjim fuhr auf:
Bist du noch da? fragte sie fast grämlich, ich hab' gemeint, du bist schon über alle Berge.
Babe, wirst du nicht bös sein, begann Fischele kleinlaut — — ich fürcht' mich.
Fürchten? gehst du denn mitten unter Räuber, entgegnete Marjim lächelnd, ich mein', es wird dir Keiner was zu Leid thun.
Babe, begann wieder der Knabe, der kaum die Augen aufzuschlagen sich getraute, Babe, was mach' ich aber, wenn sie das Kreuz über mich macht?
Diese Einwendung schien auf die alte Frau nicht die gehoffte Wirkung hervorzubringen; ein eigenthümliches Lächeln schwebte um die dünnen Lippen, als Glorie eines wahnbefreiten Gemüthes.
Narrele, sagte sie, weißt du, was dein Urdede immer gesagt hat, wenn mir meine Mutter etwas verwiesen hat, was nicht jüdisch war? „Narrele,“ hat er gesagt, „nicht sollst du wissen, was man Alles thun darf.“
Wenn sie aber doch das Kreuz über mich macht? entgegnete der unüberzeugte Knabe.
Da will ich dir einen guten Rath geben, Fischele
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/48 |
Zitationshilfe: | Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/48>, abgerufen am 16.02.2025. |