Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.ausgelernter Dieb es anfangen, daß dein Vater davon hat nichts gesehen. Vor Fischele dämmerte es wie ein fernes Licht; mit jener, Kindern, die lange mit alten Leuten umgehen, eigenthümlichen Intelligenz begriff er allmählich, welches Ziel die langen Vorbereitungen und Rüstungen der Großmutter verfolgten. Babe, flüsterte er schüchtern, soll ich dir sagen, wem du den Zucker und Kaffeh schicken willst? Marjim zitterte am ganzen Leibe, Schauer, wie die eines nahenden Gottesgerichtes, durchflogen sie; krampfhaft bebten die Hände der alten Frau auf dem kleinen Päckchen, das sie bedeckten. Nu? sagte sie fast unhörbar. Fischele zögerte mit der Antwort. Endlich brachte er mühsam hervor: Das willst du schicken der Muhm' -- der Muhm' Dinah. Hab' ich's errathen? fragte er dann nach einer Weile, da die Großmutter, noch immer mit dem Kopf nickend, keine Antwort zu geben vermochte. Sie aber brach in ein so heftiges Schluchzen aus, daß es Josseph gewiß vernommen hätte, wenn er mit dem Bauer schon Handel Eins geworden wäre. Als sie der Sprache wieder mächtig wurde, glich sie in der That einem siebenzig Jahre alt gewordenen Kinde, das eben so schnell seine Thränen zu trocknen, als sie zu weinen gelernt hat. Statt des Schmollens lag aber eine eigenthümliche Resignation auf ihrem ausgelernter Dieb es anfangen, daß dein Vater davon hat nichts gesehen. Vor Fischele dämmerte es wie ein fernes Licht; mit jener, Kindern, die lange mit alten Leuten umgehen, eigenthümlichen Intelligenz begriff er allmählich, welches Ziel die langen Vorbereitungen und Rüstungen der Großmutter verfolgten. Babe, flüsterte er schüchtern, soll ich dir sagen, wem du den Zucker und Kaffeh schicken willst? Marjim zitterte am ganzen Leibe, Schauer, wie die eines nahenden Gottesgerichtes, durchflogen sie; krampfhaft bebten die Hände der alten Frau auf dem kleinen Päckchen, das sie bedeckten. Nu? sagte sie fast unhörbar. Fischele zögerte mit der Antwort. Endlich brachte er mühsam hervor: Das willst du schicken der Muhm' — der Muhm' Dinah. Hab' ich's errathen? fragte er dann nach einer Weile, da die Großmutter, noch immer mit dem Kopf nickend, keine Antwort zu geben vermochte. Sie aber brach in ein so heftiges Schluchzen aus, daß es Josseph gewiß vernommen hätte, wenn er mit dem Bauer schon Handel Eins geworden wäre. Als sie der Sprache wieder mächtig wurde, glich sie in der That einem siebenzig Jahre alt gewordenen Kinde, das eben so schnell seine Thränen zu trocknen, als sie zu weinen gelernt hat. Statt des Schmollens lag aber eine eigenthümliche Resignation auf ihrem <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0044"/> ausgelernter Dieb es anfangen, daß dein Vater davon hat nichts gesehen.</p><lb/> <p>Vor Fischele dämmerte es wie ein fernes Licht; mit jener, Kindern, die lange mit alten Leuten umgehen, eigenthümlichen Intelligenz begriff er allmählich, welches Ziel die langen Vorbereitungen und Rüstungen der Großmutter verfolgten.</p><lb/> <p>Babe, flüsterte er schüchtern, soll ich dir sagen, wem du den Zucker und Kaffeh schicken willst?</p><lb/> <p>Marjim zitterte am ganzen Leibe, Schauer, wie die eines nahenden Gottesgerichtes, durchflogen sie; krampfhaft bebten die Hände der alten Frau auf dem kleinen Päckchen, das sie bedeckten.</p><lb/> <p>Nu? sagte sie fast unhörbar.</p><lb/> <p>Fischele zögerte mit der Antwort. Endlich brachte er mühsam hervor: Das willst du schicken der Muhm' — der Muhm' Dinah.</p><lb/> <p>Hab' ich's errathen? fragte er dann nach einer Weile, da die Großmutter, noch immer mit dem Kopf nickend, keine Antwort zu geben vermochte. Sie aber brach in ein so heftiges Schluchzen aus, daß es Josseph gewiß vernommen hätte, wenn er mit dem Bauer schon Handel Eins geworden wäre.</p><lb/> <p>Als sie der Sprache wieder mächtig wurde, glich sie in der That einem siebenzig Jahre alt gewordenen Kinde, das eben so schnell seine Thränen zu trocknen, als sie zu weinen gelernt hat. Statt des Schmollens lag aber eine eigenthümliche Resignation auf ihrem<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0044]
ausgelernter Dieb es anfangen, daß dein Vater davon hat nichts gesehen.
Vor Fischele dämmerte es wie ein fernes Licht; mit jener, Kindern, die lange mit alten Leuten umgehen, eigenthümlichen Intelligenz begriff er allmählich, welches Ziel die langen Vorbereitungen und Rüstungen der Großmutter verfolgten.
Babe, flüsterte er schüchtern, soll ich dir sagen, wem du den Zucker und Kaffeh schicken willst?
Marjim zitterte am ganzen Leibe, Schauer, wie die eines nahenden Gottesgerichtes, durchflogen sie; krampfhaft bebten die Hände der alten Frau auf dem kleinen Päckchen, das sie bedeckten.
Nu? sagte sie fast unhörbar.
Fischele zögerte mit der Antwort. Endlich brachte er mühsam hervor: Das willst du schicken der Muhm' — der Muhm' Dinah.
Hab' ich's errathen? fragte er dann nach einer Weile, da die Großmutter, noch immer mit dem Kopf nickend, keine Antwort zu geben vermochte. Sie aber brach in ein so heftiges Schluchzen aus, daß es Josseph gewiß vernommen hätte, wenn er mit dem Bauer schon Handel Eins geworden wäre.
Als sie der Sprache wieder mächtig wurde, glich sie in der That einem siebenzig Jahre alt gewordenen Kinde, das eben so schnell seine Thränen zu trocknen, als sie zu weinen gelernt hat. Statt des Schmollens lag aber eine eigenthümliche Resignation auf ihrem
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Zitationshilfe: | Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/44>, abgerufen am 16.02.2025. |