Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.er sich vor, den Schreiber jener Worte, für die er das ganze Dorf verantwortlich machte, über dessen Unkenntniß der heiligen Schrift aufzuklären. Noch an demselben Tage sollte ihm selbst ein Aufschluß über seine eigene Unkenntniß werden. Trotz des Sonntags, an dem die alte Marjim sich sonst auch im Gewölbe zu schaffen machte, weil es da viele "Kunden" zu bedienen gab, blieb sie heute länger im Bette und schien zu schlafen. Während dem schlich Fischele auf den Zehen in der Stube umher, um die Großmutter nicht zu stören. Plötzlich verrieth ein leises Husten, daß sie aufgewacht sein mußte. Fast unhörbar rief sie den Namen ihres Enkels, der zu ihrem Bette hinflog. Hast du schon geort (gebetet), Fischele Leben? fragte sie flüsternd. Ich hab' nur noch das letzte Stückel zu sagen, sprach Fischele laut. Um Gott's Willen, red nicht so hoch, rief die alte Marjim, indem sie ängstliche Blicke nach der Thür hinwarf, die in das Gewölbe führte. Der Knabe sah erstaunt die Großmutter an; er begriff nicht, warum er eine so einfache Frage und die man fast täglich an ihn stellte, nicht laut beantworten sollte. Sind Leut im Gewölb drin? fragte sie dann leise, es kommt mir vor, als wär' kein Mensch drin. er sich vor, den Schreiber jener Worte, für die er das ganze Dorf verantwortlich machte, über dessen Unkenntniß der heiligen Schrift aufzuklären. Noch an demselben Tage sollte ihm selbst ein Aufschluß über seine eigene Unkenntniß werden. Trotz des Sonntags, an dem die alte Marjim sich sonst auch im Gewölbe zu schaffen machte, weil es da viele „Kunden“ zu bedienen gab, blieb sie heute länger im Bette und schien zu schlafen. Während dem schlich Fischele auf den Zehen in der Stube umher, um die Großmutter nicht zu stören. Plötzlich verrieth ein leises Husten, daß sie aufgewacht sein mußte. Fast unhörbar rief sie den Namen ihres Enkels, der zu ihrem Bette hinflog. Hast du schon geort (gebetet), Fischele Leben? fragte sie flüsternd. Ich hab' nur noch das letzte Stückel zu sagen, sprach Fischele laut. Um Gott's Willen, red nicht so hoch, rief die alte Marjim, indem sie ängstliche Blicke nach der Thür hinwarf, die in das Gewölbe führte. Der Knabe sah erstaunt die Großmutter an; er begriff nicht, warum er eine so einfache Frage und die man fast täglich an ihn stellte, nicht laut beantworten sollte. Sind Leut im Gewölb drin? fragte sie dann leise, es kommt mir vor, als wär' kein Mensch drin. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0040"/> er sich vor, den Schreiber jener Worte, für die er das ganze Dorf verantwortlich machte, über dessen Unkenntniß der heiligen Schrift aufzuklären.</p><lb/> <p>Noch an demselben Tage sollte ihm selbst ein Aufschluß über seine eigene Unkenntniß werden.</p><lb/> <p>Trotz des Sonntags, an dem die alte Marjim sich sonst auch im Gewölbe zu schaffen machte, weil es da viele „Kunden“ zu bedienen gab, blieb sie heute länger im Bette und schien zu schlafen. Während dem schlich Fischele auf den Zehen in der Stube umher, um die Großmutter nicht zu stören. Plötzlich verrieth ein leises Husten, daß sie aufgewacht sein mußte. Fast unhörbar rief sie den Namen ihres Enkels, der zu ihrem Bette hinflog.</p><lb/> <p>Hast du schon geort (gebetet), Fischele Leben? fragte sie flüsternd.</p><lb/> <p>Ich hab' nur noch das letzte Stückel zu sagen, sprach Fischele laut.</p><lb/> <p>Um Gott's Willen, red nicht so hoch, rief die alte Marjim, indem sie ängstliche Blicke nach der Thür hinwarf, die in das Gewölbe führte.</p><lb/> <p>Der Knabe sah erstaunt die Großmutter an; er begriff nicht, warum er eine so einfache Frage und die man fast täglich an ihn stellte, nicht laut beantworten sollte.</p><lb/> <p>Sind Leut im Gewölb drin? fragte sie dann leise, es kommt mir vor, als wär' kein Mensch drin.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0040]
er sich vor, den Schreiber jener Worte, für die er das ganze Dorf verantwortlich machte, über dessen Unkenntniß der heiligen Schrift aufzuklären.
Noch an demselben Tage sollte ihm selbst ein Aufschluß über seine eigene Unkenntniß werden.
Trotz des Sonntags, an dem die alte Marjim sich sonst auch im Gewölbe zu schaffen machte, weil es da viele „Kunden“ zu bedienen gab, blieb sie heute länger im Bette und schien zu schlafen. Während dem schlich Fischele auf den Zehen in der Stube umher, um die Großmutter nicht zu stören. Plötzlich verrieth ein leises Husten, daß sie aufgewacht sein mußte. Fast unhörbar rief sie den Namen ihres Enkels, der zu ihrem Bette hinflog.
Hast du schon geort (gebetet), Fischele Leben? fragte sie flüsternd.
Ich hab' nur noch das letzte Stückel zu sagen, sprach Fischele laut.
Um Gott's Willen, red nicht so hoch, rief die alte Marjim, indem sie ängstliche Blicke nach der Thür hinwarf, die in das Gewölbe führte.
Der Knabe sah erstaunt die Großmutter an; er begriff nicht, warum er eine so einfache Frage und die man fast täglich an ihn stellte, nicht laut beantworten sollte.
Sind Leut im Gewölb drin? fragte sie dann leise, es kommt mir vor, als wär' kein Mensch drin.
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Zitationshilfe: | Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/40>, abgerufen am 16.02.2025. |