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Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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dieses traurige Verhältniß mit der Zeit ein ungerechtes geworden war, und daß die Getaufte unter der Last des Hasses, den ihr die Familie nachtrug, ihr schweres Unrecht beinahe gebüßt hatte. Solche einfache Naturen lassen sich nie beurtheilen nach dem, was sie thun sollen: wie man den Baum nicht fragen kann, warum er in dem einen Erdreich besser gedeiht, als in dem anderen.

In Josseph hatte sich mit der Zeit der Bruch fast unheilbar gestaltet, er haßte in der katholisch gewordenen Madlena auch -- die Bäuerin. Es ist dies traurig, aber wir müssen es gestehen. Durch die Taufe war ein furchtbarer Riß in der Familie entstanden, der sich mit den Jahren vielleicht geschlossen hätte; sie wäre dem Hause langsam abgestorben, und man hätte ihrer nur als einer Todten gedacht; sie aber war auch Bäuerin geworden und darum sein Stolz aufs Tiefste gedemüthigt. Wann hatte Jemand aus seiner Familie auf freiem Felde gearbeitet? wer war auf den Acker hinausgegangen, um Erdäpfel auszugraben? wessen Hände hatten je einen Spaten gefaßt? Er konnte es nicht begreifen, wie Madlena, ein bloßes Tuch um den Kopf herumgeschlagen, in bloßen Füßen, ausgesetzt dem Sonnenstiche, dem Sturme und Regen, Tage lang auf dem Felde bleiben konnte. Ihm, dem die Gaben der Erde nur aus zweiter Hand zukamen, ihm war es dunkel, wie man sich mit dem Schmutze der Erde beflecken konnte. Auf die Bauern angewiesen und auf

dieses traurige Verhältniß mit der Zeit ein ungerechtes geworden war, und daß die Getaufte unter der Last des Hasses, den ihr die Familie nachtrug, ihr schweres Unrecht beinahe gebüßt hatte. Solche einfache Naturen lassen sich nie beurtheilen nach dem, was sie thun sollen: wie man den Baum nicht fragen kann, warum er in dem einen Erdreich besser gedeiht, als in dem anderen.

In Josseph hatte sich mit der Zeit der Bruch fast unheilbar gestaltet, er haßte in der katholisch gewordenen Madlena auch — die Bäuerin. Es ist dies traurig, aber wir müssen es gestehen. Durch die Taufe war ein furchtbarer Riß in der Familie entstanden, der sich mit den Jahren vielleicht geschlossen hätte; sie wäre dem Hause langsam abgestorben, und man hätte ihrer nur als einer Todten gedacht; sie aber war auch Bäuerin geworden und darum sein Stolz aufs Tiefste gedemüthigt. Wann hatte Jemand aus seiner Familie auf freiem Felde gearbeitet? wer war auf den Acker hinausgegangen, um Erdäpfel auszugraben? wessen Hände hatten je einen Spaten gefaßt? Er konnte es nicht begreifen, wie Madlena, ein bloßes Tuch um den Kopf herumgeschlagen, in bloßen Füßen, ausgesetzt dem Sonnenstiche, dem Sturme und Regen, Tage lang auf dem Felde bleiben konnte. Ihm, dem die Gaben der Erde nur aus zweiter Hand zukamen, ihm war es dunkel, wie man sich mit dem Schmutze der Erde beflecken konnte. Auf die Bauern angewiesen und auf

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:25:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/36>, abgerufen am 23.11.2024.