Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Nu, Rebb Josseph, wissen Sie schon, wie es mit Ihrem Urdede ist? rief Julius Arnsteiner mit überflüssigem Hohn, und wer bei ihm Jischai, der Sohn des Josseph's und der Marjim ist? Josseph zitterte unter der unbarmherzigen Last dieser Frage. Sein erdfahles Antlitz zum Lehrer emporhebend, sagte er tonlos: Das ist eine Strafe Gottes, Herr Lehrer! Mein Herz hat sich überhoben, hat gepocht, weil ich im Chumesch habe Sätze gefunden und mich hab' auf diese hin berufen. Da muß nun etwas Anderes kommen, was vielleicht auch wahr ist. Gott hat mir seit einiger Zeit Mancherlei zugeschickt, ich muß auch das dazulegen. Und zuletzt, ob's der oder mein Urdede geschrieben hat, es fragt sich nur, ob er nicht Recht hat. Julius Arnsteiner traute seinen Ohren kaum, als er diese milde Fassung in Wort und Geberde Josseph's gewahr wurde. Es war ihm unbegreiflich, wie einer, der seinen Commentar zu der Bibel so übel aufgenommen hatte, so ruhig, so fast ohne alle Ueberraschung die für jeden Andern so schreckliche Kunde hören konnte: daß, was er für das Werk seines Großvaters gehalten, aus dem Herzen des blonden Rabbi von Nazareth gekommen war! Er kannte die Geschichte dieser Seele nicht, -- wir wollen ihm diese Unkenntniß verzeihen. Fast um sein Unrecht gut zu machen, sagte er tröstend: Nu, Rebb Josseph, wissen Sie schon, wie es mit Ihrem Urdede ist? rief Julius Arnsteiner mit überflüssigem Hohn, und wer bei ihm Jischai, der Sohn des Josseph's und der Marjim ist? Josseph zitterte unter der unbarmherzigen Last dieser Frage. Sein erdfahles Antlitz zum Lehrer emporhebend, sagte er tonlos: Das ist eine Strafe Gottes, Herr Lehrer! Mein Herz hat sich überhoben, hat gepocht, weil ich im Chumesch habe Sätze gefunden und mich hab' auf diese hin berufen. Da muß nun etwas Anderes kommen, was vielleicht auch wahr ist. Gott hat mir seit einiger Zeit Mancherlei zugeschickt, ich muß auch das dazulegen. Und zuletzt, ob's der oder mein Urdede geschrieben hat, es fragt sich nur, ob er nicht Recht hat. Julius Arnsteiner traute seinen Ohren kaum, als er diese milde Fassung in Wort und Geberde Josseph's gewahr wurde. Es war ihm unbegreiflich, wie einer, der seinen Commentar zu der Bibel so übel aufgenommen hatte, so ruhig, so fast ohne alle Ueberraschung die für jeden Andern so schreckliche Kunde hören konnte: daß, was er für das Werk seines Großvaters gehalten, aus dem Herzen des blonden Rabbi von Nazareth gekommen war! Er kannte die Geschichte dieser Seele nicht, — wir wollen ihm diese Unkenntniß verzeihen. Fast um sein Unrecht gut zu machen, sagte er tröstend: <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="13"> <pb facs="#f0194"/> <p>Nu, Rebb Josseph, wissen Sie schon, wie es mit Ihrem Urdede ist? rief Julius Arnsteiner mit überflüssigem Hohn, und wer bei ihm Jischai, der Sohn des Josseph's und der Marjim ist?</p><lb/> <p>Josseph zitterte unter der unbarmherzigen Last dieser Frage. Sein erdfahles Antlitz zum Lehrer emporhebend, sagte er tonlos:</p><lb/> <p>Das ist eine Strafe Gottes, Herr Lehrer! Mein Herz hat sich überhoben, hat gepocht, weil ich im Chumesch habe Sätze gefunden und mich hab' auf diese hin berufen. Da muß nun etwas Anderes kommen, was vielleicht auch wahr ist. Gott hat mir seit einiger Zeit Mancherlei zugeschickt, ich muß auch das dazulegen. Und zuletzt, ob's der oder mein Urdede geschrieben hat, es fragt sich nur, ob er nicht Recht hat.</p><lb/> <p>Julius Arnsteiner traute seinen Ohren kaum, als er diese milde Fassung in Wort und Geberde Josseph's gewahr wurde. Es war ihm unbegreiflich, wie einer, der seinen Commentar zu der Bibel so übel aufgenommen hatte, so ruhig, so fast ohne alle Ueberraschung die für jeden Andern so schreckliche Kunde hören konnte: daß, was er für das Werk seines Großvaters gehalten, aus dem Herzen des blonden Rabbi von Nazareth gekommen war! Er kannte die Geschichte dieser Seele nicht, — wir wollen ihm diese Unkenntniß verzeihen.</p><lb/> <p>Fast um sein Unrecht gut zu machen, sagte er tröstend:</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0194]
Nu, Rebb Josseph, wissen Sie schon, wie es mit Ihrem Urdede ist? rief Julius Arnsteiner mit überflüssigem Hohn, und wer bei ihm Jischai, der Sohn des Josseph's und der Marjim ist?
Josseph zitterte unter der unbarmherzigen Last dieser Frage. Sein erdfahles Antlitz zum Lehrer emporhebend, sagte er tonlos:
Das ist eine Strafe Gottes, Herr Lehrer! Mein Herz hat sich überhoben, hat gepocht, weil ich im Chumesch habe Sätze gefunden und mich hab' auf diese hin berufen. Da muß nun etwas Anderes kommen, was vielleicht auch wahr ist. Gott hat mir seit einiger Zeit Mancherlei zugeschickt, ich muß auch das dazulegen. Und zuletzt, ob's der oder mein Urdede geschrieben hat, es fragt sich nur, ob er nicht Recht hat.
Julius Arnsteiner traute seinen Ohren kaum, als er diese milde Fassung in Wort und Geberde Josseph's gewahr wurde. Es war ihm unbegreiflich, wie einer, der seinen Commentar zu der Bibel so übel aufgenommen hatte, so ruhig, so fast ohne alle Ueberraschung die für jeden Andern so schreckliche Kunde hören konnte: daß, was er für das Werk seines Großvaters gehalten, aus dem Herzen des blonden Rabbi von Nazareth gekommen war! Er kannte die Geschichte dieser Seele nicht, — wir wollen ihm diese Unkenntniß verzeihen.
Fast um sein Unrecht gut zu machen, sagte er tröstend:
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Zitationshilfe: | Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/194>, abgerufen am 16.07.2024. |