Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.13. Kapitel 5. 6. 7. Früh Morgens am andern Tag, der ein Donnerstag war, erwachte die alte Marjim so frisch und wohlauf, als ob sich ihre trübe Voraussage für jetzt nicht bewahrheiten sollte. Sie verlangte mit heller Stimme, daß man ihr das "Anbeißen" bringe und hernach ihr "Wanderbuch". Fast schöpfte Josseph wieder frischen Muth, als er die Mutter so heiter und lebenskräftig aus ihrer Todesschwäche sich erheben sah; er sagte es ihr auch, daß sie gewiß noch hundert Jahre alt werden müsse; mit keiner Andern als mit ihr wolle er auf Fischele's Hochzeit einmal den Vortanz eröffnen. So suchte er sich selbst im Glauben und Trost aufrecht zu erhalten. Sie aber sagte lächelnd: Laß du den Apfel fallen, wenn er nicht mehr auf dem Baum bleiben will; es hilft zu nichts, wenn man sich unter den Baum stellt und zu dem Apfel sagt: du Aepfele, untersteh dich nicht, schon herunter zu fallen! Es bleibt doch nicht oben, wenn's Gott einmal so bestimmt hat. Darum, wenn du mir einen Gefallen thun willst, so mach dich selbst auf und geh auf Bunzlau, mir die frommen Weiber zu bestellen. Sehr lange dauert's so nicht, und ob sie um ein paar Stunden früher mit mir "sagen", das wird Gott mir nicht übel nehmen. 13. Kapitel 5. 6. 7. Früh Morgens am andern Tag, der ein Donnerstag war, erwachte die alte Marjim so frisch und wohlauf, als ob sich ihre trübe Voraussage für jetzt nicht bewahrheiten sollte. Sie verlangte mit heller Stimme, daß man ihr das „Anbeißen“ bringe und hernach ihr „Wanderbuch“. Fast schöpfte Josseph wieder frischen Muth, als er die Mutter so heiter und lebenskräftig aus ihrer Todesschwäche sich erheben sah; er sagte es ihr auch, daß sie gewiß noch hundert Jahre alt werden müsse; mit keiner Andern als mit ihr wolle er auf Fischele's Hochzeit einmal den Vortanz eröffnen. So suchte er sich selbst im Glauben und Trost aufrecht zu erhalten. Sie aber sagte lächelnd: Laß du den Apfel fallen, wenn er nicht mehr auf dem Baum bleiben will; es hilft zu nichts, wenn man sich unter den Baum stellt und zu dem Apfel sagt: du Aepfele, untersteh dich nicht, schon herunter zu fallen! Es bleibt doch nicht oben, wenn's Gott einmal so bestimmt hat. Darum, wenn du mir einen Gefallen thun willst, so mach dich selbst auf und geh auf Bunzlau, mir die frommen Weiber zu bestellen. Sehr lange dauert's so nicht, und ob sie um ein paar Stunden früher mit mir „sagen“, das wird Gott mir nicht übel nehmen. <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0188"/> <div type="chapter" n="13"> <head>13. Kapitel 5. 6. 7.</head> <p>Früh Morgens am andern Tag, der ein Donnerstag war, erwachte die alte Marjim so frisch und wohlauf, als ob sich ihre trübe Voraussage für jetzt nicht bewahrheiten sollte. Sie verlangte mit heller Stimme, daß man ihr das „Anbeißen“ bringe und hernach ihr „Wanderbuch“. Fast schöpfte Josseph wieder frischen Muth, als er die Mutter so heiter und lebenskräftig aus ihrer Todesschwäche sich erheben sah; er sagte es ihr auch, daß sie gewiß noch hundert Jahre alt werden müsse; mit keiner Andern als mit ihr wolle er auf Fischele's Hochzeit einmal den Vortanz eröffnen. So suchte er sich selbst im Glauben und Trost aufrecht zu erhalten.</p><lb/> <p>Sie aber sagte lächelnd:</p><lb/> <p>Laß du den Apfel fallen, wenn er nicht mehr auf dem Baum bleiben will; es hilft zu nichts, wenn man sich unter den Baum stellt und zu dem Apfel sagt: du Aepfele, untersteh dich nicht, schon herunter zu fallen! Es bleibt doch nicht oben, wenn's Gott einmal so bestimmt hat. Darum, wenn du mir einen Gefallen thun willst, so mach dich selbst auf und geh auf Bunzlau, mir die frommen Weiber zu bestellen. Sehr lange dauert's so nicht, und ob sie um ein paar Stunden früher mit mir „sagen“, das wird Gott mir nicht übel nehmen.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0188]
13. Kapitel 5. 6. 7. Früh Morgens am andern Tag, der ein Donnerstag war, erwachte die alte Marjim so frisch und wohlauf, als ob sich ihre trübe Voraussage für jetzt nicht bewahrheiten sollte. Sie verlangte mit heller Stimme, daß man ihr das „Anbeißen“ bringe und hernach ihr „Wanderbuch“. Fast schöpfte Josseph wieder frischen Muth, als er die Mutter so heiter und lebenskräftig aus ihrer Todesschwäche sich erheben sah; er sagte es ihr auch, daß sie gewiß noch hundert Jahre alt werden müsse; mit keiner Andern als mit ihr wolle er auf Fischele's Hochzeit einmal den Vortanz eröffnen. So suchte er sich selbst im Glauben und Trost aufrecht zu erhalten.
Sie aber sagte lächelnd:
Laß du den Apfel fallen, wenn er nicht mehr auf dem Baum bleiben will; es hilft zu nichts, wenn man sich unter den Baum stellt und zu dem Apfel sagt: du Aepfele, untersteh dich nicht, schon herunter zu fallen! Es bleibt doch nicht oben, wenn's Gott einmal so bestimmt hat. Darum, wenn du mir einen Gefallen thun willst, so mach dich selbst auf und geh auf Bunzlau, mir die frommen Weiber zu bestellen. Sehr lange dauert's so nicht, und ob sie um ein paar Stunden früher mit mir „sagen“, das wird Gott mir nicht übel nehmen.
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Zitationshilfe: | Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/188>, abgerufen am 17.02.2025. |