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Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Todeswunde in sich noch Tage lang umherirrte, wie es dann plötzlich unvorgesehen zu seinen Füßen zusammenstürzte, die thränenden Augen zu ihm aufrichtete und dann still dalag. So trug auch Josseph das Erlebniß dieser Nacht wie eine große Todeswunde in sich, die er sorgsam aller Welt verhüllen wollte, damit diese nicht gewahr werde, daß auch über ihn die Gewalt einer lange verschobenen Stunde gekommen war. Die sichere Ueberzeugung, daß der Traum seiner Mutter etwas zu bedeuten habe, daß ihr Ende wenigstens nahe bevorstehe, kam wie ein Sturm in diese heimlich unterdrückten Flammen und fachte sie zu einer Lohe auf, die in manchen Augenblicken über seiner Seele zusammenschlug.

Was sollte er auch thun? Und daß etwas gethan werden mußte, hörte Josseph in allen Pulsen seines Körpers hämmern. War es die Lösung seines Seelenzustandes, der einem Ende entgegenschlug? Waren es versöhnliche Stimmen, die sich nicht mehr beschwichtigen lassen wollten? Diese starke Natur stand rath- und thatlos da und mußte sich im Laufe des Tages die Selbstanklage mehr als einmal vorsprechen lassen: Und du hast gemeint, du bist fertig mit ihr geworden? Das Rechte ist erst jetzt gekommen, jetzt wird die Mamme sterben, und Madlena wird nicht dabei sein.

Trug er, trug sie die Schuld davon? mußte er sich schon fragen.

Seltsam, namentlich dieser letzte Gedanke war es,

Todeswunde in sich noch Tage lang umherirrte, wie es dann plötzlich unvorgesehen zu seinen Füßen zusammenstürzte, die thränenden Augen zu ihm aufrichtete und dann still dalag. So trug auch Josseph das Erlebniß dieser Nacht wie eine große Todeswunde in sich, die er sorgsam aller Welt verhüllen wollte, damit diese nicht gewahr werde, daß auch über ihn die Gewalt einer lange verschobenen Stunde gekommen war. Die sichere Ueberzeugung, daß der Traum seiner Mutter etwas zu bedeuten habe, daß ihr Ende wenigstens nahe bevorstehe, kam wie ein Sturm in diese heimlich unterdrückten Flammen und fachte sie zu einer Lohe auf, die in manchen Augenblicken über seiner Seele zusammenschlug.

Was sollte er auch thun? Und daß etwas gethan werden mußte, hörte Josseph in allen Pulsen seines Körpers hämmern. War es die Lösung seines Seelenzustandes, der einem Ende entgegenschlug? Waren es versöhnliche Stimmen, die sich nicht mehr beschwichtigen lassen wollten? Diese starke Natur stand rath- und thatlos da und mußte sich im Laufe des Tages die Selbstanklage mehr als einmal vorsprechen lassen: Und du hast gemeint, du bist fertig mit ihr geworden? Das Rechte ist erst jetzt gekommen, jetzt wird die Mamme sterben, und Madlena wird nicht dabei sein.

Trug er, trug sie die Schuld davon? mußte er sich schon fragen.

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[0171] Todeswunde in sich noch Tage lang umherirrte, wie es dann plötzlich unvorgesehen zu seinen Füßen zusammenstürzte, die thränenden Augen zu ihm aufrichtete und dann still dalag. So trug auch Josseph das Erlebniß dieser Nacht wie eine große Todeswunde in sich, die er sorgsam aller Welt verhüllen wollte, damit diese nicht gewahr werde, daß auch über ihn die Gewalt einer lange verschobenen Stunde gekommen war. Die sichere Ueberzeugung, daß der Traum seiner Mutter etwas zu bedeuten habe, daß ihr Ende wenigstens nahe bevorstehe, kam wie ein Sturm in diese heimlich unterdrückten Flammen und fachte sie zu einer Lohe auf, die in manchen Augenblicken über seiner Seele zusammenschlug. Was sollte er auch thun? Und daß etwas gethan werden mußte, hörte Josseph in allen Pulsen seines Körpers hämmern. War es die Lösung seines Seelenzustandes, der einem Ende entgegenschlug? Waren es versöhnliche Stimmen, die sich nicht mehr beschwichtigen lassen wollten? Diese starke Natur stand rath- und thatlos da und mußte sich im Laufe des Tages die Selbstanklage mehr als einmal vorsprechen lassen: Und du hast gemeint, du bist fertig mit ihr geworden? Das Rechte ist erst jetzt gekommen, jetzt wird die Mamme sterben, und Madlena wird nicht dabei sein. Trug er, trug sie die Schuld davon? mußte er sich schon fragen. Seltsam, namentlich dieser letzte Gedanke war es,

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:25:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:25:39Z)

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Zitationshilfe: Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/171>, abgerufen am 23.11.2024.