Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.trägt. Ich hab' euch alle verkauft und verschimpft und verrathen. Das kann mir Gott nicht mehr verzeihen. Laß gut sein, Anezka, sagte Josseph mild, der Mensch weiß nicht immer, was er thut. Es ist auch Alles schon vergessen, und wenn du heute wieder zur Babe kommst, so schickt sie die Andere wieder fort. Alle Tage meint sie, es fehlt ihr die rechte Hand. Sag nur das Eine, wer hat dich denn angestift't, daß du so auf einmal, so ohne alle Vorbereitung aus unserem Hause gegangen bist? Das hat uns viel Kummer und Herzweh gemacht. Sag's aber ohne Falsch und lüg nicht. Der Pfarrer hat mir's befohlen, sagte die Magd stockend. Wieder der? schrie Josseph zornig. Warum? Und befohlen gar? Wegen Eurer Schwester -- Was geht die ihn an? Er hat mir's doch befohlen, erzählte die Magd mit jenem Tone trockenen Schmerzes, der im unumwundenen Geständniß seine Linderung sucht. Am Sonntag vor drei Wochen, da hat er mich durch seine Wirthschafterin zu sich rufen lassen; ich hätte mein ewiges Seelenheil verwirkt, so hat der Pfarrer gesprochen, und müßte lebendig zur Hölle fahren mit all meinen Sünden, wenn ich nur eine Minute länger in dem Judenhause bleiben werde. Schon, daß ich bei Juden trägt. Ich hab' euch alle verkauft und verschimpft und verrathen. Das kann mir Gott nicht mehr verzeihen. Laß gut sein, Anezka, sagte Josseph mild, der Mensch weiß nicht immer, was er thut. Es ist auch Alles schon vergessen, und wenn du heute wieder zur Babe kommst, so schickt sie die Andere wieder fort. Alle Tage meint sie, es fehlt ihr die rechte Hand. Sag nur das Eine, wer hat dich denn angestift't, daß du so auf einmal, so ohne alle Vorbereitung aus unserem Hause gegangen bist? Das hat uns viel Kummer und Herzweh gemacht. Sag's aber ohne Falsch und lüg nicht. Der Pfarrer hat mir's befohlen, sagte die Magd stockend. Wieder der? schrie Josseph zornig. Warum? Und befohlen gar? Wegen Eurer Schwester — Was geht die ihn an? Er hat mir's doch befohlen, erzählte die Magd mit jenem Tone trockenen Schmerzes, der im unumwundenen Geständniß seine Linderung sucht. Am Sonntag vor drei Wochen, da hat er mich durch seine Wirthschafterin zu sich rufen lassen; ich hätte mein ewiges Seelenheil verwirkt, so hat der Pfarrer gesprochen, und müßte lebendig zur Hölle fahren mit all meinen Sünden, wenn ich nur eine Minute länger in dem Judenhause bleiben werde. Schon, daß ich bei Juden <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="11"> <p><pb facs="#f0158"/> trägt. Ich hab' euch alle verkauft und verschimpft und verrathen. Das kann mir Gott nicht mehr verzeihen.</p><lb/> <p>Laß gut sein, Anezka, sagte Josseph mild, der Mensch weiß nicht immer, was er thut. Es ist auch Alles schon vergessen, und wenn du heute wieder zur Babe kommst, so schickt sie die Andere wieder fort. Alle Tage meint sie, es fehlt ihr die rechte Hand. Sag nur das Eine, wer hat dich denn angestift't, daß du so auf einmal, so ohne alle Vorbereitung aus unserem Hause gegangen bist? Das hat uns viel Kummer und Herzweh gemacht. Sag's aber ohne Falsch und lüg nicht.</p><lb/> <p>Der Pfarrer hat mir's befohlen, sagte die Magd stockend.</p><lb/> <p>Wieder der? schrie Josseph zornig. Warum? Und befohlen gar?</p><lb/> <p>Wegen Eurer Schwester —</p><lb/> <p>Was geht die ihn an?</p><lb/> <p>Er hat mir's doch befohlen, erzählte die Magd mit jenem Tone trockenen Schmerzes, der im unumwundenen Geständniß seine Linderung sucht. Am Sonntag vor drei Wochen, da hat er mich durch seine Wirthschafterin zu sich rufen lassen; ich hätte mein ewiges Seelenheil verwirkt, so hat der Pfarrer gesprochen, und müßte lebendig zur Hölle fahren mit all meinen Sünden, wenn ich nur eine Minute länger in dem Judenhause bleiben werde. Schon, daß ich bei Juden<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0158]
trägt. Ich hab' euch alle verkauft und verschimpft und verrathen. Das kann mir Gott nicht mehr verzeihen.
Laß gut sein, Anezka, sagte Josseph mild, der Mensch weiß nicht immer, was er thut. Es ist auch Alles schon vergessen, und wenn du heute wieder zur Babe kommst, so schickt sie die Andere wieder fort. Alle Tage meint sie, es fehlt ihr die rechte Hand. Sag nur das Eine, wer hat dich denn angestift't, daß du so auf einmal, so ohne alle Vorbereitung aus unserem Hause gegangen bist? Das hat uns viel Kummer und Herzweh gemacht. Sag's aber ohne Falsch und lüg nicht.
Der Pfarrer hat mir's befohlen, sagte die Magd stockend.
Wieder der? schrie Josseph zornig. Warum? Und befohlen gar?
Wegen Eurer Schwester —
Was geht die ihn an?
Er hat mir's doch befohlen, erzählte die Magd mit jenem Tone trockenen Schmerzes, der im unumwundenen Geständniß seine Linderung sucht. Am Sonntag vor drei Wochen, da hat er mich durch seine Wirthschafterin zu sich rufen lassen; ich hätte mein ewiges Seelenheil verwirkt, so hat der Pfarrer gesprochen, und müßte lebendig zur Hölle fahren mit all meinen Sünden, wenn ich nur eine Minute länger in dem Judenhause bleiben werde. Schon, daß ich bei Juden
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Zitationshilfe: | Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/158>, abgerufen am 17.02.2025. |