Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Anezka, sagte er nach einer Weile, wer hat dir denn gesagt, daß ich ein Feind von eurer Religion bin? Der neue Pfarrer, versetzte die Magd ohne Zögern. Der? Wie kann der das wissen? Er hat mit mir noch keine zehn Worte gesprochen. Er hat's doch immer gesagt, entgegnete die Magd, die ruhiger geworden war. Gesagt hat er's, und ich hab's ihm endlich geglaubt. Wie hat der Pfarrer nur das wissen können? sprach Josseph wie träumerisch vor sich hin. Unbegreiflich schien es ihm und schwer erfaßbar, daß man sein persönliches Verhältniß zu Madlena für Religionshaß ansehen konnte. Die Magd hatte die leise vor sich hingesprochenen Worte Josseph's vernommen; sie sagte: Er hat Alles gewußt, wie wenn er in unserem Hause aus- und eingegangen wär'. Er hat dort Jemand gehabt, der hat ihm Alles ausspionirt und es ihm wieder erzählt. So hat er's leicht wieder wissen können. Und das warst du? fragte Josseph sanft. Schluchzend rief Anezka: Seht Ihr, daß ich nicht werth bin, daß Ihr nur ein Wort mit mir sprecht? Ihr habt mich mit zehn Jahren in Euer Haus genommen, meine Mutter war todt, und ich ein Waisenkind. Die gute Babe hat mich aufgezogen wie ein eigenes Kind, aber ich bin eine Schelmin geworden, nicht werth, daß sie der Boden Anezka, sagte er nach einer Weile, wer hat dir denn gesagt, daß ich ein Feind von eurer Religion bin? Der neue Pfarrer, versetzte die Magd ohne Zögern. Der? Wie kann der das wissen? Er hat mit mir noch keine zehn Worte gesprochen. Er hat's doch immer gesagt, entgegnete die Magd, die ruhiger geworden war. Gesagt hat er's, und ich hab's ihm endlich geglaubt. Wie hat der Pfarrer nur das wissen können? sprach Josseph wie träumerisch vor sich hin. Unbegreiflich schien es ihm und schwer erfaßbar, daß man sein persönliches Verhältniß zu Madlena für Religionshaß ansehen konnte. Die Magd hatte die leise vor sich hingesprochenen Worte Josseph's vernommen; sie sagte: Er hat Alles gewußt, wie wenn er in unserem Hause aus- und eingegangen wär'. Er hat dort Jemand gehabt, der hat ihm Alles ausspionirt und es ihm wieder erzählt. So hat er's leicht wieder wissen können. Und das warst du? fragte Josseph sanft. Schluchzend rief Anezka: Seht Ihr, daß ich nicht werth bin, daß Ihr nur ein Wort mit mir sprecht? Ihr habt mich mit zehn Jahren in Euer Haus genommen, meine Mutter war todt, und ich ein Waisenkind. Die gute Babe hat mich aufgezogen wie ein eigenes Kind, aber ich bin eine Schelmin geworden, nicht werth, daß sie der Boden <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="11"> <pb facs="#f0157"/> <p>Anezka, sagte er nach einer Weile, wer hat dir denn gesagt, daß ich ein Feind von eurer Religion bin?</p><lb/> <p>Der neue Pfarrer, versetzte die Magd ohne Zögern.</p><lb/> <p>Der? Wie kann der das wissen? Er hat mit mir noch keine zehn Worte gesprochen.</p><lb/> <p>Er hat's doch immer gesagt, entgegnete die Magd, die ruhiger geworden war. Gesagt hat er's, und ich hab's ihm endlich geglaubt.</p><lb/> <p>Wie hat der Pfarrer nur das wissen können? sprach Josseph wie träumerisch vor sich hin. Unbegreiflich schien es ihm und schwer erfaßbar, daß man sein persönliches Verhältniß zu Madlena für Religionshaß ansehen konnte. Die Magd hatte die leise vor sich hingesprochenen Worte Josseph's vernommen; sie sagte:</p><lb/> <p>Er hat Alles gewußt, wie wenn er in unserem Hause aus- und eingegangen wär'. Er hat dort Jemand gehabt, der hat ihm Alles ausspionirt und es ihm wieder erzählt. So hat er's leicht wieder wissen können.</p><lb/> <p>Und das warst du? fragte Josseph sanft.</p><lb/> <p>Schluchzend rief Anezka:</p><lb/> <p>Seht Ihr, daß ich nicht werth bin, daß Ihr nur ein Wort mit mir sprecht? Ihr habt mich mit zehn Jahren in Euer Haus genommen, meine Mutter war todt, und ich ein Waisenkind. Die gute Babe hat mich aufgezogen wie ein eigenes Kind, aber ich bin eine Schelmin geworden, nicht werth, daß sie der Boden<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0157]
Anezka, sagte er nach einer Weile, wer hat dir denn gesagt, daß ich ein Feind von eurer Religion bin?
Der neue Pfarrer, versetzte die Magd ohne Zögern.
Der? Wie kann der das wissen? Er hat mit mir noch keine zehn Worte gesprochen.
Er hat's doch immer gesagt, entgegnete die Magd, die ruhiger geworden war. Gesagt hat er's, und ich hab's ihm endlich geglaubt.
Wie hat der Pfarrer nur das wissen können? sprach Josseph wie träumerisch vor sich hin. Unbegreiflich schien es ihm und schwer erfaßbar, daß man sein persönliches Verhältniß zu Madlena für Religionshaß ansehen konnte. Die Magd hatte die leise vor sich hingesprochenen Worte Josseph's vernommen; sie sagte:
Er hat Alles gewußt, wie wenn er in unserem Hause aus- und eingegangen wär'. Er hat dort Jemand gehabt, der hat ihm Alles ausspionirt und es ihm wieder erzählt. So hat er's leicht wieder wissen können.
Und das warst du? fragte Josseph sanft.
Schluchzend rief Anezka:
Seht Ihr, daß ich nicht werth bin, daß Ihr nur ein Wort mit mir sprecht? Ihr habt mich mit zehn Jahren in Euer Haus genommen, meine Mutter war todt, und ich ein Waisenkind. Die gute Babe hat mich aufgezogen wie ein eigenes Kind, aber ich bin eine Schelmin geworden, nicht werth, daß sie der Boden
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Zitationshilfe: | Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/157>, abgerufen am 17.02.2025. |