Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Weil man's nicht thun darf, sagte Josseph mit Festigkeit in Stimme und Geberde. Das sagst du? rief Parzik rauh lachend. Weil man sich an dem Heiligen nicht vergreifen darf, weil das Sünde ist. Er ist aber kein Heiliger. Hör mich an, Parzik, sagte Josseph, den die ganze Gewalt seiner tiefen religiösen Ueberzeugung überkommen hatte, hör mich an. Wenn tausend und zehntausend und Millionen Menschen an etwas Heiliges glauben, sich vor ihm bücken und beugen, ihm Blumenkränze und grünes Laubwerk darbringen, um es zu ehren, und Einer glaubt nicht daran, meinst du, der Eine darf aufstehen und sagen: ich glaub' nicht daran, schafft mir das Heilige aus den Augen, denn es ärgert mich? Meinst du, der hat das Recht dazu? Tausend und zehntausend und Millionen Menschen müssen aufstehen und kommen, müssen sagen: wir haben uns geirrt, wir haben etwas für heilig gehalten, was nicht heilig ist. Gott sei davor, wenn das aber nur ein Einziger thun will; ich sag' dir, Parzik, es giebt gar keine größere Sünde! Du bist auch einer von den Pfaffenfreunden, sprach der Bauer dumpf, ohne die Hand von der umlaubten Säule abzulassen, an dir ist Einer verloren gegangen, der möcht' den einzigen Löffel im Hause verkaufen, um ihn dem Geistlichen zu geben. Sag, was du willst, erwiderte Josseph fest, ich Weil man's nicht thun darf, sagte Josseph mit Festigkeit in Stimme und Geberde. Das sagst du? rief Parzik rauh lachend. Weil man sich an dem Heiligen nicht vergreifen darf, weil das Sünde ist. Er ist aber kein Heiliger. Hör mich an, Parzik, sagte Josseph, den die ganze Gewalt seiner tiefen religiösen Ueberzeugung überkommen hatte, hör mich an. Wenn tausend und zehntausend und Millionen Menschen an etwas Heiliges glauben, sich vor ihm bücken und beugen, ihm Blumenkränze und grünes Laubwerk darbringen, um es zu ehren, und Einer glaubt nicht daran, meinst du, der Eine darf aufstehen und sagen: ich glaub' nicht daran, schafft mir das Heilige aus den Augen, denn es ärgert mich? Meinst du, der hat das Recht dazu? Tausend und zehntausend und Millionen Menschen müssen aufstehen und kommen, müssen sagen: wir haben uns geirrt, wir haben etwas für heilig gehalten, was nicht heilig ist. Gott sei davor, wenn das aber nur ein Einziger thun will; ich sag' dir, Parzik, es giebt gar keine größere Sünde! Du bist auch einer von den Pfaffenfreunden, sprach der Bauer dumpf, ohne die Hand von der umlaubten Säule abzulassen, an dir ist Einer verloren gegangen, der möcht' den einzigen Löffel im Hause verkaufen, um ihn dem Geistlichen zu geben. Sag, was du willst, erwiderte Josseph fest, ich <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="10"> <pb facs="#f0150"/> <p>Weil man's nicht thun darf, sagte Josseph mit Festigkeit in Stimme und Geberde.</p><lb/> <p>Das sagst du? rief Parzik rauh lachend.</p><lb/> <p>Weil man sich an dem Heiligen nicht vergreifen darf, weil das Sünde ist.</p><lb/> <p>Er ist aber kein Heiliger.</p><lb/> <p>Hör mich an, Parzik, sagte Josseph, den die ganze Gewalt seiner tiefen religiösen Ueberzeugung überkommen hatte, hör mich an. Wenn tausend und zehntausend und Millionen Menschen an etwas Heiliges glauben, sich vor ihm bücken und beugen, ihm Blumenkränze und grünes Laubwerk darbringen, um es zu ehren, und Einer glaubt nicht daran, meinst du, der Eine darf aufstehen und sagen: ich glaub' nicht daran, schafft mir das Heilige aus den Augen, denn es ärgert mich? Meinst du, der hat das Recht dazu? Tausend und zehntausend und Millionen Menschen müssen aufstehen und kommen, müssen sagen: wir haben uns geirrt, wir haben etwas für heilig gehalten, was nicht heilig ist. Gott sei davor, wenn das aber nur ein Einziger thun will; ich sag' dir, Parzik, es giebt gar keine größere Sünde!</p><lb/> <p>Du bist auch einer von den Pfaffenfreunden, sprach der Bauer dumpf, ohne die Hand von der umlaubten Säule abzulassen, an dir ist Einer verloren gegangen, der möcht' den einzigen Löffel im Hause verkaufen, um ihn dem Geistlichen zu geben.</p><lb/> <p>Sag, was du willst, erwiderte Josseph fest, ich<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0150]
Weil man's nicht thun darf, sagte Josseph mit Festigkeit in Stimme und Geberde.
Das sagst du? rief Parzik rauh lachend.
Weil man sich an dem Heiligen nicht vergreifen darf, weil das Sünde ist.
Er ist aber kein Heiliger.
Hör mich an, Parzik, sagte Josseph, den die ganze Gewalt seiner tiefen religiösen Ueberzeugung überkommen hatte, hör mich an. Wenn tausend und zehntausend und Millionen Menschen an etwas Heiliges glauben, sich vor ihm bücken und beugen, ihm Blumenkränze und grünes Laubwerk darbringen, um es zu ehren, und Einer glaubt nicht daran, meinst du, der Eine darf aufstehen und sagen: ich glaub' nicht daran, schafft mir das Heilige aus den Augen, denn es ärgert mich? Meinst du, der hat das Recht dazu? Tausend und zehntausend und Millionen Menschen müssen aufstehen und kommen, müssen sagen: wir haben uns geirrt, wir haben etwas für heilig gehalten, was nicht heilig ist. Gott sei davor, wenn das aber nur ein Einziger thun will; ich sag' dir, Parzik, es giebt gar keine größere Sünde!
Du bist auch einer von den Pfaffenfreunden, sprach der Bauer dumpf, ohne die Hand von der umlaubten Säule abzulassen, an dir ist Einer verloren gegangen, der möcht' den einzigen Löffel im Hause verkaufen, um ihn dem Geistlichen zu geben.
Sag, was du willst, erwiderte Josseph fest, ich
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Zitationshilfe: | Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/150>, abgerufen am 16.07.2024. |