Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.eigen ist, die es fast unter ihrer Würde halten, die Irrthümer ihres "ungebildeten" Bruders zu widerlegen, sagte der Lehrer, ohne im Geringsten durch die auffallende Bemerkung Josseph's verletzt zu scheinen: Guter Rebb Josseph, warum lassen Sie mich nicht ausreden? Ich habe Ihrem Sohne auseinandersetzen wollen, daß die katholischen Priester sich auf diesen Satz in der Bibel berufen, wenn sie beweisen wollen, daß sie gleichsam außer allem staatlichen Verbande, außer allen Pflichten und Verbindlichkeiten stehen. Dieser Satz, habe ich erklären wollen, ist gleichsam der Schlußstein in dem Gewölbe der katholischen Kirche, denn er ist das Priesterthum selbst; und so lange dieses den Satz mit Consequenz behauptet -- -- Laßt mich in Ruh, schrie Josseph wieder zornig und schlug mit der geballten Faust auf den Tisch. Laßt mich in Ruh mit Euren Geistlichen, mit Eurem Schlußstein und Gewölb. Wenn ich ein Gewölb machen will, so schick' ich um den Maurer und nicht um Euch. Guter Rebb Josseph, unterbrach der Lehrer beschwichtigend den Zornigen, es ist mir ja gar nicht eingefallen -- -- Tausenderlei ist Euch eingefallen, sagte mit immer höher schwellendem Grimme Josseph, nur das Rechte ist Euch ausgeblieben. Mein Kind ist ein Jüdenkind, und sein Vater ist auch eines Jüden Kind, Ihr müßt also mit ihm "teutsch" sprechen. Wenn das Kind fragt: wie kann Gott verlangen, daß man zu seinem Vater eigen ist, die es fast unter ihrer Würde halten, die Irrthümer ihres „ungebildeten“ Bruders zu widerlegen, sagte der Lehrer, ohne im Geringsten durch die auffallende Bemerkung Josseph's verletzt zu scheinen: Guter Rebb Josseph, warum lassen Sie mich nicht ausreden? Ich habe Ihrem Sohne auseinandersetzen wollen, daß die katholischen Priester sich auf diesen Satz in der Bibel berufen, wenn sie beweisen wollen, daß sie gleichsam außer allem staatlichen Verbande, außer allen Pflichten und Verbindlichkeiten stehen. Dieser Satz, habe ich erklären wollen, ist gleichsam der Schlußstein in dem Gewölbe der katholischen Kirche, denn er ist das Priesterthum selbst; und so lange dieses den Satz mit Consequenz behauptet — — Laßt mich in Ruh, schrie Josseph wieder zornig und schlug mit der geballten Faust auf den Tisch. Laßt mich in Ruh mit Euren Geistlichen, mit Eurem Schlußstein und Gewölb. Wenn ich ein Gewölb machen will, so schick' ich um den Maurer und nicht um Euch. Guter Rebb Josseph, unterbrach der Lehrer beschwichtigend den Zornigen, es ist mir ja gar nicht eingefallen — — Tausenderlei ist Euch eingefallen, sagte mit immer höher schwellendem Grimme Josseph, nur das Rechte ist Euch ausgeblieben. Mein Kind ist ein Jüdenkind, und sein Vater ist auch eines Jüden Kind, Ihr müßt also mit ihm „teutsch“ sprechen. Wenn das Kind fragt: wie kann Gott verlangen, daß man zu seinem Vater <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="7"> <p><pb facs="#f0112"/> eigen ist, die es fast unter ihrer Würde halten, die Irrthümer ihres „ungebildeten“ Bruders zu widerlegen, sagte der Lehrer, ohne im Geringsten durch die auffallende Bemerkung Josseph's verletzt zu scheinen:</p><lb/> <p>Guter Rebb Josseph, warum lassen Sie mich nicht ausreden? Ich habe Ihrem Sohne auseinandersetzen wollen, daß die katholischen Priester sich auf diesen Satz in der Bibel berufen, wenn sie beweisen wollen, daß sie gleichsam außer allem staatlichen Verbande, außer allen Pflichten und Verbindlichkeiten stehen. Dieser Satz, habe ich erklären wollen, ist gleichsam der Schlußstein in dem Gewölbe der katholischen Kirche, denn er ist das Priesterthum selbst; und so lange dieses den Satz mit Consequenz behauptet — —</p><lb/> <p>Laßt mich in Ruh, schrie Josseph wieder zornig und schlug mit der geballten Faust auf den Tisch. Laßt mich in Ruh mit Euren Geistlichen, mit Eurem Schlußstein und Gewölb. Wenn ich ein Gewölb machen will, so schick' ich um den Maurer und nicht um Euch.</p><lb/> <p>Guter Rebb Josseph, unterbrach der Lehrer beschwichtigend den Zornigen, es ist mir ja gar nicht eingefallen — —</p><lb/> <p>Tausenderlei ist Euch eingefallen, sagte mit immer höher schwellendem Grimme Josseph, nur das Rechte ist Euch ausgeblieben. Mein Kind ist ein Jüdenkind, und sein Vater ist auch eines Jüden Kind, Ihr müßt also mit ihm „teutsch“ sprechen. Wenn das Kind fragt: wie kann Gott verlangen, daß man zu seinem Vater<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0112]
eigen ist, die es fast unter ihrer Würde halten, die Irrthümer ihres „ungebildeten“ Bruders zu widerlegen, sagte der Lehrer, ohne im Geringsten durch die auffallende Bemerkung Josseph's verletzt zu scheinen:
Guter Rebb Josseph, warum lassen Sie mich nicht ausreden? Ich habe Ihrem Sohne auseinandersetzen wollen, daß die katholischen Priester sich auf diesen Satz in der Bibel berufen, wenn sie beweisen wollen, daß sie gleichsam außer allem staatlichen Verbande, außer allen Pflichten und Verbindlichkeiten stehen. Dieser Satz, habe ich erklären wollen, ist gleichsam der Schlußstein in dem Gewölbe der katholischen Kirche, denn er ist das Priesterthum selbst; und so lange dieses den Satz mit Consequenz behauptet — —
Laßt mich in Ruh, schrie Josseph wieder zornig und schlug mit der geballten Faust auf den Tisch. Laßt mich in Ruh mit Euren Geistlichen, mit Eurem Schlußstein und Gewölb. Wenn ich ein Gewölb machen will, so schick' ich um den Maurer und nicht um Euch.
Guter Rebb Josseph, unterbrach der Lehrer beschwichtigend den Zornigen, es ist mir ja gar nicht eingefallen — —
Tausenderlei ist Euch eingefallen, sagte mit immer höher schwellendem Grimme Josseph, nur das Rechte ist Euch ausgeblieben. Mein Kind ist ein Jüdenkind, und sein Vater ist auch eines Jüden Kind, Ihr müßt also mit ihm „teutsch“ sprechen. Wenn das Kind fragt: wie kann Gott verlangen, daß man zu seinem Vater
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Zitationshilfe: | Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/112>, abgerufen am 19.07.2024. |