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Körner, Josef: Einführung in die Poetik. Frankfurt (Main), 1949.

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gegenständlichen Elements innerhalb dieser Dichtungsgattung zwei pko_040.002
große Gruppen:

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a) die unmittelbare oder "reine" Lyrik,

die ein erlebtes Gefühl wirklichkeitsgetreu pko_040.004
wiedergibt, aufs stärkste unterstützt von den akustischen pko_040.005
Werten der Sprache. Es ist jener Bereich bekenntnishafter Ich-Lyrik, des pko_040.006
eigentlichen (musik-nahen) Lieds, welcher, seit der Entdeckung des pko_040.007
Volkslieds durch Herder und seiner Erneuerung durch Goethe und die pko_040.008
Romantik, irrigerweise lange Zeit als einzig berechtigt galt. In Wahrheit pko_040.009
hat sich damit nur eine (in ihrer geschichtlichen Erscheinungsform wie pko_040.010
in ihren geistigen Möglichkeiten sogar außerordentlich beschränkte) Sonderart pko_040.011
lyrischer Kunst zu erheben versucht über eine andere, nicht pko_040.012
minder berechtigte:

pko_040.013
b) die mittelbare, Abstand setzende Lyrik,

die das Gefühlserlebnis pko_040.014
nur in der Spiegelung eines zwischengeschalteten Symbols (Landschaftsbild, pko_040.015
Rollenträger, Begebenheit) wiedergibt. Nicht nur die gesamte pko_040.016
antike und die überwiegende Mehrheit der romanischen Lyrik rechnet pko_040.017
hieher, auch die Hauptmasse des Minnesangs sowie der deutschen pko_040.018
Barockdichtung; ja selbst während der Vorherrschaft volksliedartiger pko_040.019
Erlebnisdichtung ist deren Gegenpol, die symbolische Bild- und Gedankenlyrik, pko_040.020
niemals völlig verstummt, Hölderlin, der alte Goethe, Platen, pko_040.021
Hebbel, Hermann Lingg haben sie mit Bewußtsein gepflegt, mit C. F. pko_040.022
Meyer, Stefan George und Rilke ist sie wieder in den Vordergrund pko_040.023
getreten und hat die allzu ideenarme Gefühlslyrik beiseite gerückt.

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Gegenüber der -- trotz suggestiver Starktönigkeit nach Gehalt und pko_040.025
Form im Grunde doch eintönigen -- "reinen" Lyrik umfaßt die symbolische pko_040.026
ein weit reicheres Formenrepertoire; sie wird zur Ballade1), pko_040.027
wenn als Symbolträger ein Formenrepertoire gewählt ist (Bürger, pko_040.028
Goethe, Heine, Fontane, Börries von Münchhausen, Agnes Miegel); pko_040.029
zur Ode oder Hymne2), wenn sie mit hochgesteigertem Pathos erhabene

1) pko_040.030
von ballare "tanzen"; urspr. romanische Bezeichnung eines Tanzliedes, die im pko_040.031
Spätmittelalter als Name volkstümlicher Heldenlieder nach England und von pko_040.032
dort im 18. Jahrhundert nach Deutschland kam. Die älteste Poetik unterschied von pko_040.033
der Ballade in recht gezwungener Weise die Romanze (von span. romance, pko_040.034
d. i. Dichtung in der Volkssprache, der lingua romana, im Unterschied zur pko_040.035
literarischen lingua latina), die sich nur äußerlich von jener abhebt, indem pko_040.036
sie statt nordisch-germanischer meist südlich-romanische Stoffe wählt.
2) pko_040.037
Der Unterschied ist bloß metrisch, indem die Ode (griech. "Lied") in strengen pko_040.038
(meist antiken) Strophen aufgebaut, die Hymne (griech. "Lobgesang") in freien pko_040.039
Rhythmen abgefaßt ist. Eine Unterart der Hymne, nämlich die dem Dionysos, pko_040.040
später auch andern Göttern und Heroen gesungene, wurde von den Alten pko_040.041
Dithyrambe genannt; ein Name, der in neuerer deutscher Dichtung bisweilen pko_040.042
zur Bezeichnung gesteigerter Hymnik verwendet ist.

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Volkslieds durch Herder und seiner Erneuerung durch Goethe und die pko_040.008
Romantik, irrigerweise lange Zeit als einzig berechtigt galt. In Wahrheit pko_040.009
hat sich damit nur eine (in ihrer geschichtlichen Erscheinungsform wie pko_040.010
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lyrischer Kunst zu erheben versucht über eine andere, nicht pko_040.012
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die das Gefühlserlebnis pko_040.014
nur in der Spiegelung eines zwischengeschalteten Symbols (Landschaftsbild, pko_040.015
Rollenträger, Begebenheit) wiedergibt. Nicht nur die gesamte pko_040.016
antike und die überwiegende Mehrheit der romanischen Lyrik rechnet pko_040.017
hieher, auch die Hauptmasse des Minnesangs sowie der deutschen pko_040.018
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Goethe, Heine, Fontane, Börries von Münchhausen, Agnes Miegel); pko_040.029
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von balláre „tanzen“; urspr. romanische Bezeichnung eines Tanzliedes, die im pko_040.031
Spätmittelalter als Name volkstümlicher Heldenlieder nach England und von pko_040.032
dort im 18. Jahrhundert nach Deutschland kam. Die älteste Poetik unterschied von pko_040.033
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d. i. Dichtung in der Volkssprache, der lingua romana, im Unterschied zur pko_040.035
literarischen lingua latina), die sich nur äußerlich von jener abhebt, indem pko_040.036
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[40/0044] pko_040.001 gegenständlichen Elements innerhalb dieser Dichtungsgattung zwei pko_040.002 große Gruppen: pko_040.003 a) die unmittelbare oder „reine“ Lyrik,die ein erlebtes Gefühl wirklichkeitsgetreu pko_040.004 wiedergibt, aufs stärkste unterstützt von den akustischen pko_040.005 Werten der Sprache. Es ist jener Bereich bekenntnishafter Ich-Lyrik, des pko_040.006 eigentlichen (musik-nahen) Lieds, welcher, seit der Entdeckung des pko_040.007 Volkslieds durch Herder und seiner Erneuerung durch Goethe und die pko_040.008 Romantik, irrigerweise lange Zeit als einzig berechtigt galt. In Wahrheit pko_040.009 hat sich damit nur eine (in ihrer geschichtlichen Erscheinungsform wie pko_040.010 in ihren geistigen Möglichkeiten sogar außerordentlich beschränkte) Sonderart pko_040.011 lyrischer Kunst zu erheben versucht über eine andere, nicht pko_040.012 minder berechtigte: pko_040.013 b) die mittelbare, Abstand setzende Lyrik,die das Gefühlserlebnis pko_040.014 nur in der Spiegelung eines zwischengeschalteten Symbols (Landschaftsbild, pko_040.015 Rollenträger, Begebenheit) wiedergibt. Nicht nur die gesamte pko_040.016 antike und die überwiegende Mehrheit der romanischen Lyrik rechnet pko_040.017 hieher, auch die Hauptmasse des Minnesangs sowie der deutschen pko_040.018 Barockdichtung; ja selbst während der Vorherrschaft volksliedartiger pko_040.019 Erlebnisdichtung ist deren Gegenpol, die symbolische Bild- und Gedankenlyrik, pko_040.020 niemals völlig verstummt, Hölderlin, der alte Goethe, Platen, pko_040.021 Hebbel, Hermann Lingg haben sie mit Bewußtsein gepflegt, mit C. F. pko_040.022 Meyer, Stefan George und Rilke ist sie wieder in den Vordergrund pko_040.023 getreten und hat die allzu ideenarme Gefühlslyrik beiseite gerückt. pko_040.024 Gegenüber der — trotz suggestiver Starktönigkeit nach Gehalt und pko_040.025 Form im Grunde doch eintönigen — „reinen“ Lyrik umfaßt die symbolische pko_040.026 ein weit reicheres Formenrepertoire; sie wird zur Ballade 1), pko_040.027 wenn als Symbolträger ein Formenrepertoire gewählt ist (Bürger, pko_040.028 Goethe, Heine, Fontane, Börries von Münchhausen, Agnes Miegel); pko_040.029 zur Ode oder Hymne 2), wenn sie mit hochgesteigertem Pathos erhabene 1) pko_040.030 von balláre „tanzen“; urspr. romanische Bezeichnung eines Tanzliedes, die im pko_040.031 Spätmittelalter als Name volkstümlicher Heldenlieder nach England und von pko_040.032 dort im 18. Jahrhundert nach Deutschland kam. Die älteste Poetik unterschied von pko_040.033 der Ballade in recht gezwungener Weise die Romanze (von span. romance, pko_040.034 d. i. Dichtung in der Volkssprache, der lingua romana, im Unterschied zur pko_040.035 literarischen lingua latina), die sich nur äußerlich von jener abhebt, indem pko_040.036 sie statt nordisch-germanischer meist südlich-romanische Stoffe wählt. 2) pko_040.037 Der Unterschied ist bloß metrisch, indem die Ode (griech. „Lied“) in strengen pko_040.038 (meist antiken) Strophen aufgebaut, die Hymne (griech. „Lobgesang“) in freien pko_040.039 Rhythmen abgefaßt ist. Eine Unterart der Hymne, nämlich die dem Dionysos, pko_040.040 später auch andern Göttern und Heroen gesungene, wurde von den Alten pko_040.041 Dithyrámbe genannt; ein Name, der in neuerer deutscher Dichtung bisweilen pko_040.042 zur Bezeichnung gesteigerter Hymnik verwendet ist.

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Zitationshilfe: Körner, Josef: Einführung in die Poetik. Frankfurt (Main), 1949, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koerner_poetik_1949/44>, abgerufen am 09.11.2024.