Körner, Josef: Einführung in die Poetik. Frankfurt (Main), 1949.pko_040.001 pko_040.003 a) die unmittelbare oder "reine" Lyrik, die ein erlebtes Gefühl wirklichkeitsgetreu pko_040.004 pko_040.013 b) die mittelbare, Abstand setzende Lyrik, die das Gefühlserlebnis pko_040.014 pko_040.024 1) pko_040.030 von ballare "tanzen"; urspr. romanische Bezeichnung eines Tanzliedes, die im pko_040.031 Spätmittelalter als Name volkstümlicher Heldenlieder nach England und von pko_040.032 dort im 18. Jahrhundert nach Deutschland kam. Die älteste Poetik unterschied von pko_040.033 der Ballade in recht gezwungener Weise die Romanze (von span. romance, pko_040.034 d. i. Dichtung in der Volkssprache, der lingua romana, im Unterschied zur pko_040.035 literarischen lingua latina), die sich nur äußerlich von jener abhebt, indem pko_040.036 sie statt nordisch-germanischer meist südlich-romanische Stoffe wählt. 2) pko_040.037
Der Unterschied ist bloß metrisch, indem die Ode (griech. "Lied") in strengen pko_040.038 (meist antiken) Strophen aufgebaut, die Hymne (griech. "Lobgesang") in freien pko_040.039 Rhythmen abgefaßt ist. Eine Unterart der Hymne, nämlich die dem Dionysos, pko_040.040 später auch andern Göttern und Heroen gesungene, wurde von den Alten pko_040.041 Dithyrambe genannt; ein Name, der in neuerer deutscher Dichtung bisweilen pko_040.042 zur Bezeichnung gesteigerter Hymnik verwendet ist. pko_040.001 pko_040.003 a) die unmittelbare oder „reine“ Lyrik, die ein erlebtes Gefühl wirklichkeitsgetreu pko_040.004 pko_040.013 b) die mittelbare, Abstand setzende Lyrik, die das Gefühlserlebnis pko_040.014 pko_040.024 1) pko_040.030 von balláre „tanzen“; urspr. romanische Bezeichnung eines Tanzliedes, die im pko_040.031 Spätmittelalter als Name volkstümlicher Heldenlieder nach England und von pko_040.032 dort im 18. Jahrhundert nach Deutschland kam. Die älteste Poetik unterschied von pko_040.033 der Ballade in recht gezwungener Weise die Romanze (von span. romance, pko_040.034 d. i. Dichtung in der Volkssprache, der lingua romana, im Unterschied zur pko_040.035 literarischen lingua latina), die sich nur äußerlich von jener abhebt, indem pko_040.036 sie statt nordisch-germanischer meist südlich-romanische Stoffe wählt. 2) pko_040.037
Der Unterschied ist bloß metrisch, indem die Ode (griech. „Lied“) in strengen pko_040.038 (meist antiken) Strophen aufgebaut, die Hymne (griech. „Lobgesang“) in freien pko_040.039 Rhythmen abgefaßt ist. Eine Unterart der Hymne, nämlich die dem Dionysos, pko_040.040 später auch andern Göttern und Heroen gesungene, wurde von den Alten pko_040.041 Dithyrámbe genannt; ein Name, der in neuerer deutscher Dichtung bisweilen pko_040.042 zur Bezeichnung gesteigerter Hymnik verwendet ist. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0044" n="40"/><lb n="pko_040.001"/> gegenständlichen Elements innerhalb dieser Dichtungsgattung zwei <lb n="pko_040.002"/> große Gruppen:</p> <div n="5"> <lb n="pko_040.003"/> <head>a) die <hi rendition="#i">unmittelbare</hi> oder „<hi rendition="#i">reine</hi>“ <hi rendition="#i">Lyrik,</hi></head> <p>die ein erlebtes Gefühl wirklichkeitsgetreu <lb n="pko_040.004"/> wiedergibt, aufs stärkste unterstützt von den akustischen <lb n="pko_040.005"/> Werten der Sprache. Es ist jener Bereich bekenntnishafter Ich-Lyrik, des <lb n="pko_040.006"/> eigentlichen (musik-nahen) <hi rendition="#i">Lieds,</hi> welcher, seit der Entdeckung des <lb n="pko_040.007"/> Volkslieds durch Herder und seiner Erneuerung durch Goethe und die <lb n="pko_040.008"/> Romantik, irrigerweise lange Zeit als einzig berechtigt galt. In Wahrheit <lb n="pko_040.009"/> hat sich damit nur eine (in ihrer geschichtlichen Erscheinungsform wie <lb n="pko_040.010"/> in ihren geistigen Möglichkeiten sogar außerordentlich beschränkte) Sonderart <lb n="pko_040.011"/> lyrischer Kunst zu erheben versucht über eine andere, nicht <lb n="pko_040.012"/> minder berechtigte:</p> </div> <div n="5"> <lb n="pko_040.013"/> <head>b) die <hi rendition="#i">mittelbare, Abstand setzende Lyrik,</hi></head> <p>die das Gefühlserlebnis <lb n="pko_040.014"/> nur in der Spiegelung eines zwischengeschalteten Symbols (Landschaftsbild, <lb n="pko_040.015"/> Rollenträger, Begebenheit) wiedergibt. Nicht nur die gesamte <lb n="pko_040.016"/> antike und die überwiegende Mehrheit der romanischen Lyrik rechnet <lb n="pko_040.017"/> hieher, auch die Hauptmasse des Minnesangs sowie der deutschen <lb n="pko_040.018"/> Barockdichtung; ja selbst während der Vorherrschaft volksliedartiger <lb n="pko_040.019"/> Erlebnisdichtung ist deren Gegenpol, die symbolische Bild- und Gedankenlyrik, <lb n="pko_040.020"/> niemals völlig verstummt, Hölderlin, der alte Goethe, Platen, <lb n="pko_040.021"/> Hebbel, Hermann Lingg haben sie mit Bewußtsein gepflegt, mit C. F. <lb n="pko_040.022"/> Meyer, Stefan George und Rilke ist sie wieder in den Vordergrund <lb n="pko_040.023"/> getreten und hat die allzu ideenarme Gefühlslyrik beiseite gerückt.</p> <p><lb n="pko_040.024"/> Gegenüber der — trotz suggestiver Starktönigkeit nach Gehalt und <lb n="pko_040.025"/> Form im Grunde doch eintönigen — „reinen“ Lyrik umfaßt die symbolische <lb n="pko_040.026"/> ein weit reicheres Formenrepertoire; sie wird zur <hi rendition="#i">Ballade</hi><note xml:id="PKO_040_1" place="foot" n="1)"><lb n="pko_040.030"/> von <hi rendition="#g">balláre</hi> „tanzen“; urspr. romanische Bezeichnung eines Tanzliedes, die im <lb n="pko_040.031"/> Spätmittelalter als Name volkstümlicher Heldenlieder nach England und von <lb n="pko_040.032"/> dort im 18. Jahrhundert nach Deutschland kam. Die älteste Poetik unterschied von <lb n="pko_040.033"/> der Ballade in recht gezwungener Weise die <hi rendition="#g">Romanze</hi> (von span. <hi rendition="#g">romance,</hi> <lb n="pko_040.034"/> d. i. Dichtung in der Volkssprache, der <hi rendition="#g">lingua romana,</hi> im Unterschied zur <lb n="pko_040.035"/> literarischen <hi rendition="#g">lingua latina</hi>), die sich nur äußerlich von jener abhebt, indem <lb n="pko_040.036"/> sie statt nordisch-germanischer meist südlich-romanische Stoffe wählt.</note>, <lb n="pko_040.027"/> wenn als Symbolträger ein Formenrepertoire gewählt ist (Bürger, <lb n="pko_040.028"/> Goethe, Heine, Fontane, Börries von Münchhausen, Agnes Miegel); <lb n="pko_040.029"/> zur <hi rendition="#i">Ode</hi> oder <hi rendition="#i">Hymne</hi><note xml:id="PKO_040_2" place="foot" n="2)"><lb n="pko_040.037"/> Der Unterschied ist bloß metrisch, indem die Ode (griech. „Lied“) in strengen <lb n="pko_040.038"/> (meist antiken) Strophen aufgebaut, die Hymne (griech. „Lobgesang“) in freien <lb n="pko_040.039"/> Rhythmen abgefaßt ist. Eine Unterart der Hymne, nämlich die dem Dionysos, <lb n="pko_040.040"/> später auch andern Göttern und Heroen gesungene, wurde von den Alten <lb n="pko_040.041"/> <hi rendition="#g">Dithyrámbe</hi> genannt; ein Name, der in neuerer deutscher Dichtung bisweilen <lb n="pko_040.042"/> zur Bezeichnung gesteigerter Hymnik verwendet ist.</note>, wenn sie mit hochgesteigertem Pathos erhabene </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [40/0044]
pko_040.001
gegenständlichen Elements innerhalb dieser Dichtungsgattung zwei pko_040.002
große Gruppen:
pko_040.003
a) die unmittelbare oder „reine“ Lyrik,die ein erlebtes Gefühl wirklichkeitsgetreu pko_040.004
wiedergibt, aufs stärkste unterstützt von den akustischen pko_040.005
Werten der Sprache. Es ist jener Bereich bekenntnishafter Ich-Lyrik, des pko_040.006
eigentlichen (musik-nahen) Lieds, welcher, seit der Entdeckung des pko_040.007
Volkslieds durch Herder und seiner Erneuerung durch Goethe und die pko_040.008
Romantik, irrigerweise lange Zeit als einzig berechtigt galt. In Wahrheit pko_040.009
hat sich damit nur eine (in ihrer geschichtlichen Erscheinungsform wie pko_040.010
in ihren geistigen Möglichkeiten sogar außerordentlich beschränkte) Sonderart pko_040.011
lyrischer Kunst zu erheben versucht über eine andere, nicht pko_040.012
minder berechtigte:
pko_040.013
b) die mittelbare, Abstand setzende Lyrik,die das Gefühlserlebnis pko_040.014
nur in der Spiegelung eines zwischengeschalteten Symbols (Landschaftsbild, pko_040.015
Rollenträger, Begebenheit) wiedergibt. Nicht nur die gesamte pko_040.016
antike und die überwiegende Mehrheit der romanischen Lyrik rechnet pko_040.017
hieher, auch die Hauptmasse des Minnesangs sowie der deutschen pko_040.018
Barockdichtung; ja selbst während der Vorherrschaft volksliedartiger pko_040.019
Erlebnisdichtung ist deren Gegenpol, die symbolische Bild- und Gedankenlyrik, pko_040.020
niemals völlig verstummt, Hölderlin, der alte Goethe, Platen, pko_040.021
Hebbel, Hermann Lingg haben sie mit Bewußtsein gepflegt, mit C. F. pko_040.022
Meyer, Stefan George und Rilke ist sie wieder in den Vordergrund pko_040.023
getreten und hat die allzu ideenarme Gefühlslyrik beiseite gerückt.
pko_040.024
Gegenüber der — trotz suggestiver Starktönigkeit nach Gehalt und pko_040.025
Form im Grunde doch eintönigen — „reinen“ Lyrik umfaßt die symbolische pko_040.026
ein weit reicheres Formenrepertoire; sie wird zur Ballade 1), pko_040.027
wenn als Symbolträger ein Formenrepertoire gewählt ist (Bürger, pko_040.028
Goethe, Heine, Fontane, Börries von Münchhausen, Agnes Miegel); pko_040.029
zur Ode oder Hymne 2), wenn sie mit hochgesteigertem Pathos erhabene
1) pko_040.030
von balláre „tanzen“; urspr. romanische Bezeichnung eines Tanzliedes, die im pko_040.031
Spätmittelalter als Name volkstümlicher Heldenlieder nach England und von pko_040.032
dort im 18. Jahrhundert nach Deutschland kam. Die älteste Poetik unterschied von pko_040.033
der Ballade in recht gezwungener Weise die Romanze (von span. romance, pko_040.034
d. i. Dichtung in der Volkssprache, der lingua romana, im Unterschied zur pko_040.035
literarischen lingua latina), die sich nur äußerlich von jener abhebt, indem pko_040.036
sie statt nordisch-germanischer meist südlich-romanische Stoffe wählt.
2) pko_040.037
Der Unterschied ist bloß metrisch, indem die Ode (griech. „Lied“) in strengen pko_040.038
(meist antiken) Strophen aufgebaut, die Hymne (griech. „Lobgesang“) in freien pko_040.039
Rhythmen abgefaßt ist. Eine Unterart der Hymne, nämlich die dem Dionysos, pko_040.040
später auch andern Göttern und Heroen gesungene, wurde von den Alten pko_040.041
Dithyrámbe genannt; ein Name, der in neuerer deutscher Dichtung bisweilen pko_040.042
zur Bezeichnung gesteigerter Hymnik verwendet ist.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |