Körner, Josef: Einführung in die Poetik. Frankfurt (Main), 1949.pko_032.001 pko_032.004 pko_032.013 pko_032.026 xx / xx / xx / x // xx / xx / xx a pko_032.034 pko_032.037 pko_032.001 pko_032.004 pko_032.013 pko_032.026 xx́ / xx́ / xx́ / x // xx́ / xx́ / xx́ a pko_032.034 pko_032.037 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0036" n="32"/><lb n="pko_032.001"/> Gedichte, die nur Vers an Vers reihen, ohne daraus bestimmt abgegrenzte <lb n="pko_032.002"/> Gruppen zu bilden, nennt man <hi rendition="#i">stichisch</hi> (von griech. stíchos „Reihe, <lb n="pko_032.003"/> Zeile“).</p> <p><lb n="pko_032.004"/> Das griechische Wort strophé („Wendung“) bedeutete ursprünglich <lb n="pko_032.005"/> die Tanzwendung des Chors im Drama und das während des Tanzes <lb n="pko_032.006"/> gesungene Liedstück, danach allgemein Verbindung mehrerer Verse zu <lb n="pko_032.007"/> einem rhythmischen Ganzen. Ins Deutsche kam der Terminus erst durch <lb n="pko_032.008"/> die Renaissancepoeten des 17. Jahrhunderts; vorher herrschte allgemein <lb n="pko_032.009"/> das heimische Wort „Gesätz“. Beide Ausdrücke meinen ein geschlossenes <lb n="pko_032.010"/> metrisches Gebilde, das durch gleichmäßige Wiederholung eine Dichtung <lb n="pko_032.011"/> zusammensetzt; der künstlerische Reiz beruht auf dem Widerspiel der <lb n="pko_032.012"/> beharrenden metrischen Form und des wechselnden Inhalts.</p> <p><lb n="pko_032.013"/> Das einfachste und älteste Gesätz ist das zweizeilige. Die altgermanischen <lb n="pko_032.014"/> Heldenlieder banden je zwei Halbzeilen durch Stabreim zur sog. <lb n="pko_032.015"/> Langzeile (vgl. o. S. 27); nach dem Aufgeben des Alliterationsverses <lb n="pko_032.016"/> wurde dieses schlichte Gesätz beibehalten, nur daß die Bindung durch <lb n="pko_032.017"/> den Endreim erfolgte; so entstanden die viertaktigen Reimpaare Otfrids, <lb n="pko_032.018"/> des frühen Minnesangs, der mittelhochdeutschen Epik. Aus verwickelterer <lb n="pko_032.019"/> Reihung von Kurzversen und Langzeilen entsteht der Strophenreichtum <lb n="pko_032.020"/> der hochmittelalterlichen Lyrik, deren Gesätze dreiteilig gebaut <lb n="pko_032.021"/> sind; sie bestehen jeweils aus zwei Stücken von gleichem Bau, den sog. <lb n="pko_032.022"/> Stollen („Aufgesang“), und einem dritten, von den Stollen verschiedenen, <lb n="pko_032.023"/> dem „Abgesang“. Dieser Rahmen ermöglichte die mannigfaltigste <lb n="pko_032.024"/> Füllung mit Taktreihen beliebiger Länge und Zahl. Der Minnesang <lb n="pko_032.025"/> kannte Gesätze bis zu 17, der Meistergesang gar bis zu 100 Versen.</p> <p><lb n="pko_032.026"/> Von den kunstvollen mittelalterlichen Strophen wird nur eine <lb n="pko_032.027"/> einzige in der neueren Dichtung wiederverwendet: die vierzeilige <lb n="pko_032.028"/> Nibelungenstrophe, in der die deutschen Heldenepen abgefaßt sind. Sie <lb n="pko_032.029"/> bestand aus 3 gleichgebauten Langzeilen, die sich aus je 2 jambischen <lb n="pko_032.030"/> Dreitaktern (der erste hyperkatalektisch) zusammensetzen, während die <lb n="pko_032.031"/> zweite Hälfte der vierten Zeile viertaktig ist; je zwei Zeilen sind durch <lb n="pko_032.032"/> Reim verbunden. Schema:</p> <lb n="pko_032.033"/> <p> <hi rendition="#et">xx́ / xx́ / xx́ / x // xx́ / xx́ / xx́ a <lb n="pko_032.034"/> xx́ / xx́ / xx́ / x // xx́ / xx́ / xx́ a <lb n="pko_032.035"/> xx́ / xx́ / xx́ / x // xx́ / xx́ / xx́ b <lb n="pko_032.036"/> xx́ / xx́ / xx́ / x // xx́ / xx́ / xx́ / x́x b</hi> </p> <p><lb n="pko_032.037"/> Mit Einebnung jenes Unterschiedes haben Tieck, Uhland u. a. die Form <lb n="pko_032.038"/> zur neuen Nibelungenstrophe umgeschaffen:</p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [32/0036]
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Gedichte, die nur Vers an Vers reihen, ohne daraus bestimmt abgegrenzte pko_032.002
Gruppen zu bilden, nennt man stichisch (von griech. stíchos „Reihe, pko_032.003
Zeile“).
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Das griechische Wort strophé („Wendung“) bedeutete ursprünglich pko_032.005
die Tanzwendung des Chors im Drama und das während des Tanzes pko_032.006
gesungene Liedstück, danach allgemein Verbindung mehrerer Verse zu pko_032.007
einem rhythmischen Ganzen. Ins Deutsche kam der Terminus erst durch pko_032.008
die Renaissancepoeten des 17. Jahrhunderts; vorher herrschte allgemein pko_032.009
das heimische Wort „Gesätz“. Beide Ausdrücke meinen ein geschlossenes pko_032.010
metrisches Gebilde, das durch gleichmäßige Wiederholung eine Dichtung pko_032.011
zusammensetzt; der künstlerische Reiz beruht auf dem Widerspiel der pko_032.012
beharrenden metrischen Form und des wechselnden Inhalts.
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Das einfachste und älteste Gesätz ist das zweizeilige. Die altgermanischen pko_032.014
Heldenlieder banden je zwei Halbzeilen durch Stabreim zur sog. pko_032.015
Langzeile (vgl. o. S. 27); nach dem Aufgeben des Alliterationsverses pko_032.016
wurde dieses schlichte Gesätz beibehalten, nur daß die Bindung durch pko_032.017
den Endreim erfolgte; so entstanden die viertaktigen Reimpaare Otfrids, pko_032.018
des frühen Minnesangs, der mittelhochdeutschen Epik. Aus verwickelterer pko_032.019
Reihung von Kurzversen und Langzeilen entsteht der Strophenreichtum pko_032.020
der hochmittelalterlichen Lyrik, deren Gesätze dreiteilig gebaut pko_032.021
sind; sie bestehen jeweils aus zwei Stücken von gleichem Bau, den sog. pko_032.022
Stollen („Aufgesang“), und einem dritten, von den Stollen verschiedenen, pko_032.023
dem „Abgesang“. Dieser Rahmen ermöglichte die mannigfaltigste pko_032.024
Füllung mit Taktreihen beliebiger Länge und Zahl. Der Minnesang pko_032.025
kannte Gesätze bis zu 17, der Meistergesang gar bis zu 100 Versen.
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Von den kunstvollen mittelalterlichen Strophen wird nur eine pko_032.027
einzige in der neueren Dichtung wiederverwendet: die vierzeilige pko_032.028
Nibelungenstrophe, in der die deutschen Heldenepen abgefaßt sind. Sie pko_032.029
bestand aus 3 gleichgebauten Langzeilen, die sich aus je 2 jambischen pko_032.030
Dreitaktern (der erste hyperkatalektisch) zusammensetzen, während die pko_032.031
zweite Hälfte der vierten Zeile viertaktig ist; je zwei Zeilen sind durch pko_032.032
Reim verbunden. Schema:
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xx́ / xx́ / xx́ / x // xx́ / xx́ / xx́ a pko_032.034
xx́ / xx́ / xx́ / x // xx́ / xx́ / xx́ a pko_032.035
xx́ / xx́ / xx́ / x // xx́ / xx́ / xx́ b pko_032.036
xx́ / xx́ / xx́ / x // xx́ / xx́ / xx́ / x́x b
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Mit Einebnung jenes Unterschiedes haben Tieck, Uhland u. a. die Form pko_032.038
zur neuen Nibelungenstrophe umgeschaffen:
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