Körner, Josef: Einführung in die Poetik. Frankfurt (Main), 1949.pko_024.001 pko_024.015 B. VERSLEHRE (METRIK) ist Lehre vom Versmaß (Metrum), pko_024.016 pko_024.018 pko_024.025 pko_024.026 pko_024.027 1) pko_024.031
Die abendländische Metrik kennt dreierlei Versprinzipien: a) Das quantitierende pko_024.032 (silbenmessende), wo die Lage der Hebungen sich richtet nach den sprachgeschichtlich pko_024.033 bedingten Quantitäten (Dauerzeiten) der Silben: es war das Prinzip pko_024.034 der antiken Metrik; b) das alternierende (silbenzählende), wo abwechselnd pko_024.035 eine Silbe Hebung, die folgende Senkung ist, was feststehende Silbenzahl pko_024.036 ergibt: es ist das Prinzip der romanischen Metrik; c) das akzentuierende pko_024.037 (silbenwägende), wo die rhythmischen Hebungen grundsätzlich mit den sprachlichen pko_024.038 zusammenfallen: es ist das Prinzip des germanisch-deutschen Versbaus. pko_024.001 pko_024.015 B. VERSLEHRE (METRIK) ist Lehre vom Versmaß (Metrum), pko_024.016 pko_024.018 pko_024.025 pko_024.026 pko_024.027 1) pko_024.031
Die abendländische Metrik kennt dreierlei Versprinzipien: a) Das quantitierende pko_024.032 (silbenmessende), wo die Lage der Hebungen sich richtet nach den sprachgeschichtlich pko_024.033 bedingten Quantitäten (Dauerzeiten) der Silben: es war das Prinzip pko_024.034 der antiken Metrik; b) das alternierende (silbenzählende), wo abwechselnd pko_024.035 eine Silbe Hebung, die folgende Senkung ist, was feststehende Silbenzahl pko_024.036 ergibt: es ist das Prinzip der romanischen Metrik; c) das akzentuierende pko_024.037 (silbenwägende), wo die rhythmischen Hebungen grundsätzlich mit den sprachlichen pko_024.038 zusammenfallen: es ist das Prinzip des germanisch-deutschen Versbaus. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0028" n="24"/><lb n="pko_024.001"/> gleichmäßig oder unsymmetrisch, steigend oder fallend klingen, ob <lb n="pko_024.002"/> lange oder kurze Worte vorwiegen, wie die schweren und die leichten <lb n="pko_024.003"/> Wortkörper verteilt sind, ob die betonten Worte jambischen oder trochäischen <lb n="pko_024.004"/> Bau haben; das Wichtigste aber sind die Pausen, d. h. Zahl, <lb n="pko_024.005"/> Länge, Verteilung der (oft, aber nicht immer durch Interpunktion markierten) <lb n="pko_024.006"/> lautleeren Einschnitte. Je regelmäßiger die Akzentverteilung <lb n="pko_024.007"/> wird, desto mehr nähert sich die ungebundene der gebundenen Rede; <lb n="pko_024.008"/> sie erhält dadurch jenen gehobenen Ton, dank welchem jedes Wort mit <lb n="pko_024.009"/> anderm Klang auch geänderten Inhalt offenbart und durch den vor <lb n="pko_024.010"/> allem sich kunstvolle Prosa von der gewöhnlichen Umgangsrede unterscheidet. <lb n="pko_024.011"/> An der Grenze von Prosa und Vers liegen die freien Rhythmen, <lb n="pko_024.012"/> mit einem Mindestmaß vorbestimmter Form, die aber vom Dichter <lb n="pko_024.013"/> nicht eindeutig festgelegt ist und erst vom Vortragenden aus vielgestalter <lb n="pko_024.014"/> Möglichkeit zu bestimmter Akzentverteilung verwirklicht wird.</p> </div> <div n="4"> <lb n="pko_024.015"/> <head>B. VERSLEHRE (METRIK)</head> <p> ist Lehre vom Versmaß (Metrum), <lb n="pko_024.016"/> d. h. vom Wesen und den Formen des Verses, anders gesprochen, von <lb n="pko_024.017"/> den Kunstformen der <hi rendition="#i">gebundenen</hi> Rede als klanglicher Gestalt.</p> <p><lb n="pko_024.018"/> Die deutsche Verswissenschaft hat lange unter Theorien gelitten, die <lb n="pko_024.019"/> unerlaubter Weise von der quantitierenden (zeitmessenden) antiken <lb n="pko_024.020"/> Metrik auf den ganz anders gearteten, akzentuierenden (tonwägenden) <lb n="pko_024.021"/> deutschen Vers übertragen sind<note xml:id="PKO_024_1" place="foot" n="1)"><lb n="pko_024.031"/> Die abendländische Metrik kennt dreierlei Versprinzipien: a) Das quantitierende <lb n="pko_024.032"/> (silbenmessende), wo die Lage der Hebungen sich richtet nach den sprachgeschichtlich <lb n="pko_024.033"/> bedingten Quantitäten (Dauerzeiten) der Silben: es war das Prinzip <lb n="pko_024.034"/> der antiken Metrik; b) das alternierende (silbenzählende), wo abwechselnd <lb n="pko_024.035"/> eine Silbe Hebung, die folgende Senkung ist, was feststehende Silbenzahl <lb n="pko_024.036"/> ergibt: es ist das Prinzip der romanischen Metrik; c) das akzentuierende <lb n="pko_024.037"/> (silbenwägende), wo die rhythmischen Hebungen grundsätzlich mit den sprachlichen <lb n="pko_024.038"/> zusammenfallen: es ist das Prinzip des germanisch-deutschen Versbaus.</note>; die späte Heilung wurde erst <lb n="pko_024.022"/> in den letzten Jahrzehnten und dadurch bewirkt, daß man den Vers <lb n="pko_024.023"/> nicht länger nach dem toten Druckbild betrachtete, sondern vornehmlich <lb n="pko_024.024"/> als akustische Erscheinung untersuchte, als Schallform.</p> <p><lb n="pko_024.025"/> An der Schallform lassen sich nun folgende Bestandteile unterscheiden:</p> <p> <lb n="pko_024.026"/> <hi rendition="#et">a) <hi rendition="#g">Der Rhythmus;</hi> für ihn kommt in Betracht</hi> </p> <p> <lb n="pko_024.027"/> <hi rendition="#et2">1. <hi rendition="#i">Die Schwereabstufung der Silben.</hi> Die übliche Sonderung in <lb n="pko_024.028"/> betonte und unbetonte Silben ist allzu grob und wird der vielfältigen <lb n="pko_024.029"/> Wirkung des Verses so wenig gerecht, als wollte man den <lb n="pko_024.030"/> Farbenreichtum eines Gemäldes mit der Unterscheidung von hell </hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [24/0028]
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gleichmäßig oder unsymmetrisch, steigend oder fallend klingen, ob pko_024.002
lange oder kurze Worte vorwiegen, wie die schweren und die leichten pko_024.003
Wortkörper verteilt sind, ob die betonten Worte jambischen oder trochäischen pko_024.004
Bau haben; das Wichtigste aber sind die Pausen, d. h. Zahl, pko_024.005
Länge, Verteilung der (oft, aber nicht immer durch Interpunktion markierten) pko_024.006
lautleeren Einschnitte. Je regelmäßiger die Akzentverteilung pko_024.007
wird, desto mehr nähert sich die ungebundene der gebundenen Rede; pko_024.008
sie erhält dadurch jenen gehobenen Ton, dank welchem jedes Wort mit pko_024.009
anderm Klang auch geänderten Inhalt offenbart und durch den vor pko_024.010
allem sich kunstvolle Prosa von der gewöhnlichen Umgangsrede unterscheidet. pko_024.011
An der Grenze von Prosa und Vers liegen die freien Rhythmen, pko_024.012
mit einem Mindestmaß vorbestimmter Form, die aber vom Dichter pko_024.013
nicht eindeutig festgelegt ist und erst vom Vortragenden aus vielgestalter pko_024.014
Möglichkeit zu bestimmter Akzentverteilung verwirklicht wird.
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B. VERSLEHRE (METRIK) ist Lehre vom Versmaß (Metrum), pko_024.016
d. h. vom Wesen und den Formen des Verses, anders gesprochen, von pko_024.017
den Kunstformen der gebundenen Rede als klanglicher Gestalt.
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Die deutsche Verswissenschaft hat lange unter Theorien gelitten, die pko_024.019
unerlaubter Weise von der quantitierenden (zeitmessenden) antiken pko_024.020
Metrik auf den ganz anders gearteten, akzentuierenden (tonwägenden) pko_024.021
deutschen Vers übertragen sind 1); die späte Heilung wurde erst pko_024.022
in den letzten Jahrzehnten und dadurch bewirkt, daß man den Vers pko_024.023
nicht länger nach dem toten Druckbild betrachtete, sondern vornehmlich pko_024.024
als akustische Erscheinung untersuchte, als Schallform.
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An der Schallform lassen sich nun folgende Bestandteile unterscheiden:
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a) Der Rhythmus; für ihn kommt in Betracht
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1. Die Schwereabstufung der Silben. Die übliche Sonderung in pko_024.028
betonte und unbetonte Silben ist allzu grob und wird der vielfältigen pko_024.029
Wirkung des Verses so wenig gerecht, als wollte man den pko_024.030
Farbenreichtum eines Gemäldes mit der Unterscheidung von hell
1) pko_024.031
Die abendländische Metrik kennt dreierlei Versprinzipien: a) Das quantitierende pko_024.032
(silbenmessende), wo die Lage der Hebungen sich richtet nach den sprachgeschichtlich pko_024.033
bedingten Quantitäten (Dauerzeiten) der Silben: es war das Prinzip pko_024.034
der antiken Metrik; b) das alternierende (silbenzählende), wo abwechselnd pko_024.035
eine Silbe Hebung, die folgende Senkung ist, was feststehende Silbenzahl pko_024.036
ergibt: es ist das Prinzip der romanischen Metrik; c) das akzentuierende pko_024.037
(silbenwägende), wo die rhythmischen Hebungen grundsätzlich mit den sprachlichen pko_024.038
zusammenfallen: es ist das Prinzip des germanisch-deutschen Versbaus.
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Zitationshilfe: | Körner, Josef: Einführung in die Poetik. Frankfurt (Main), 1949, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koerner_poetik_1949/28>, abgerufen am 16.02.2025. |