Entwicklung des Uterus und der Scheide.Ueber die Art und Weise, wie der Uterus und die Scheide sich entwickeln, sind verschiedene Hypothesen aufgestellt worden. Nach Rathke wächst die hintere Wand des Sinus urogenitalis, d. h. des Theiles der primitiven Harnblase, in die die Wolff'schen und Mül- lfr'schen Gänge einmünden, an der Stelle der Insertion der Mül- ler'schen Gänge in einen blinden hohlen Fortsatz aus, an dessen Spitze dann die genannten Gänge sich ansetzen. Die weitere Ent- wicklung ist nach Rathke je nach der Gestalt des späteren Uterus verschieden. Bei den Geschöpfen mit einfachem oder zweihörnigem Uterus gestaltet sich der Auswuchs des Sinus urogenitalis zur Scheide und zum Körper des Uterus, während der Grund dieses Organes oder die Hörner, wo solche bestehen, aus den Enden der Müller'- schen Gänge entstehen, die sich ausweiten und im ersteren Falle auch verschmelzen. Ist dagegen der Uterus beim erwachsenen Thiere gänzlich doppelt, so geht er ganz und gar aus den Enden der Mül- ler'schen Gänge hervor und wird der Auswuchs des Sinus urogeni- talis nur zur Scheide. Eine zweite Aufstellung findet sich bei Bischoff (Entw. St. 576), doch weicht dieselbe, bei Licht betrachtet, von der von Rathke nur darin ab, dass nach ihr die Scheide aus dem Canalis urogenitalis entsteht. -- Diese beiden Ansichten und vor allem die von Rathke waren lange Zeit die einzig geltenden, bis im Jahre 1852 ziemlich gleichzeitig Leuckart (Illustr. med. Zeitschr. 1852. St. 93) auf theoretischem Wege, und Thiersch (Ebend. St. 11 u. flgde.) an der Hand wirklicher Beobachtungen eine andere Auffassung begründeten. Nach Thiersch's Beobachtungen an Schaaf- embryonen geschieht die Bildung von Uterus und Scheide in folgen- der Weise. Die Ausführungsgänge der Urnieren und die Müller'schen Gänge verbinden sich mit ihren unteren Enden von ihrer Einmün- dung in den Sinus urogenitalis an mit einander zu einem rundlich viereckigen Strange, dem Genitalstrange, in welchem vorn die beiden Lumina der Urnierengänge und hinten die der Müller'schen Kanäle sich finden. Beim weiblichen Embryo nun verschmelzen von unten aufwärts die Müller'schen Gänge in einen einzigen Kanal und dieser gestaltet sich dann im Laufe der Entwicklung zur Scheide und zum Körper des Uterus, während die Hörner desselben aus den nicht im Genitalstrange eingeschlossenen benachbarten Theilen der Müller'schen Gänge entstehen. -- Der Unterschied zwischen dieser Ansicht von Thiersch und der von Rathke springt von selbst in die Augen und ergeben sich nun in der That, wie Leuckart hervorge-
Neununddreissigste Vorlesung.
Entwicklung des Uterus und der Scheide.Ueber die Art und Weise, wie der Uterus und die Scheide sich entwickeln, sind verschiedene Hypothesen aufgestellt worden. Nach Rathke wächst die hintere Wand des Sinus urogenitalis, d. h. des Theiles der primitiven Harnblase, in die die Wolff’schen und Mül- lfr’schen Gänge einmünden, an der Stelle der Insertion der Mül- ler’schen Gänge in einen blinden hohlen Fortsatz aus, an dessen Spitze dann die genannten Gänge sich ansetzen. Die weitere Ent- wicklung ist nach Rathke je nach der Gestalt des späteren Uterus verschieden. Bei den Geschöpfen mit einfachem oder zweihörnigem Uterus gestaltet sich der Auswuchs des Sinus urogenitalis zur Scheide und zum Körper des Uterus, während der Grund dieses Organes oder die Hörner, wo solche bestehen, aus den Enden der Müller’- schen Gänge entstehen, die sich ausweiten und im ersteren Falle auch verschmelzen. Ist dagegen der Uterus beim erwachsenen Thiere gänzlich doppelt, so geht er ganz und gar aus den Enden der Mül- ler’schen Gänge hervor und wird der Auswuchs des Sinus urogeni- talis nur zur Scheide. Eine zweite Aufstellung findet sich bei Bischoff (Entw. St. 576), doch weicht dieselbe, bei Licht betrachtet, von der von Rathke nur darin ab, dass nach ihr die Scheide aus dem Canalis urogenitalis entsteht. — Diese beiden Ansichten und vor allem die von Rathke waren lange Zeit die einzig geltenden, bis im Jahre 1852 ziemlich gleichzeitig Leuckart (Illustr. med. Zeitschr. 1852. St. 93) auf theoretischem Wege, und Thiersch (Ebend. St. 11 u. flgde.) an der Hand wirklicher Beobachtungen eine andere Auffassung begründeten. Nach Thiersch’s Beobachtungen an Schaaf- embryonen geschieht die Bildung von Uterus und Scheide in folgen- der Weise. Die Ausführungsgänge der Urnieren und die Müller’schen Gänge verbinden sich mit ihren unteren Enden von ihrer Einmün- dung in den Sinus urogenitalis an mit einander zu einem rundlich viereckigen Strange, dem Genitalstrange, in welchem vorn die beiden Lumina der Urnierengänge und hinten die der Müller’schen Kanäle sich finden. Beim weiblichen Embryo nun verschmelzen von unten aufwärts die Müller’schen Gänge in einen einzigen Kanal und dieser gestaltet sich dann im Laufe der Entwicklung zur Scheide und zum Körper des Uterus, während die Hörner desselben aus den nicht im Genitalstrange eingeschlossenen benachbarten Theilen der Müller’schen Gänge entstehen. — Der Unterschied zwischen dieser Ansicht von Thiersch und der von Rathke springt von selbst in die Augen und ergeben sich nun in der That, wie Leuckart hervorge-
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Neununddreissigste Vorlesung.
Ueber die Art und Weise, wie der Uterus und die Scheide sich
entwickeln, sind verschiedene Hypothesen aufgestellt worden. Nach
Rathke wächst die hintere Wand des Sinus urogenitalis, d. h. des
Theiles der primitiven Harnblase, in die die Wolff’schen und Mül-
lfr’schen Gänge einmünden, an der Stelle der Insertion der Mül-
ler’schen Gänge in einen blinden hohlen Fortsatz aus, an dessen
Spitze dann die genannten Gänge sich ansetzen. Die weitere Ent-
wicklung ist nach Rathke je nach der Gestalt des späteren Uterus
verschieden. Bei den Geschöpfen mit einfachem oder zweihörnigem
Uterus gestaltet sich der Auswuchs des Sinus urogenitalis zur Scheide
und zum Körper des Uterus, während der Grund dieses Organes
oder die Hörner, wo solche bestehen, aus den Enden der Müller’-
schen Gänge entstehen, die sich ausweiten und im ersteren Falle
auch verschmelzen. Ist dagegen der Uterus beim erwachsenen Thiere
gänzlich doppelt, so geht er ganz und gar aus den Enden der Mül-
ler’schen Gänge hervor und wird der Auswuchs des Sinus urogeni-
talis nur zur Scheide. Eine zweite Aufstellung findet sich bei Bischoff
(Entw. St. 576), doch weicht dieselbe, bei Licht betrachtet, von
der von Rathke nur darin ab, dass nach ihr die Scheide aus dem
Canalis urogenitalis entsteht. — Diese beiden Ansichten und vor
allem die von Rathke waren lange Zeit die einzig geltenden, bis im
Jahre 1852 ziemlich gleichzeitig Leuckart (Illustr. med. Zeitschr.
1852. St. 93) auf theoretischem Wege, und Thiersch (Ebend. St.
11 u. flgde.) an der Hand wirklicher Beobachtungen eine andere
Auffassung begründeten. Nach Thiersch’s Beobachtungen an Schaaf-
embryonen geschieht die Bildung von Uterus und Scheide in folgen-
der Weise. Die Ausführungsgänge der Urnieren und die Müller’schen
Gänge verbinden sich mit ihren unteren Enden von ihrer Einmün-
dung in den Sinus urogenitalis an mit einander zu einem rundlich
viereckigen Strange, dem Genitalstrange, in welchem vorn die
beiden Lumina der Urnierengänge und hinten die der Müller’schen
Kanäle sich finden. Beim weiblichen Embryo nun verschmelzen von
unten aufwärts die Müller’schen Gänge in einen einzigen Kanal und
dieser gestaltet sich dann im Laufe der Entwicklung zur Scheide
und zum Körper des Uterus, während die Hörner desselben aus den
nicht im Genitalstrange eingeschlossenen benachbarten Theilen der
Müller’schen Gänge entstehen. — Der Unterschied zwischen dieser
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Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861/464>, abgerufen am 24.11.2024.
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