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Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861.

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Dreissigste Vorlesung.
sich füllt, so dass dann das spätere häutige Labyrinth wie frei in
einem Raume enthalten ist, der der Lücke zwischen Dura und Pia
mater
verglichen werden kann.

Entstehung der
Höhlen des
knöchernen
Labyrinthes.
Die Art und Weise, wie dieser Raum sich bildet, ist übrigens
bis jetzt noch gar nicht verfolgt und doch verdient der hierbei statt-
findende Vorgang Ihre Aufmerksamkeit, indem derselbe als Typus
für viele Hohlraumbildungen beim Menschen und bei Thieren (Unter-
arachnoidealraum, Höhlen der Gelenke, Schleimbeutel, Sehnenschei-
den, freie Räume in der Schädelhöhle von Fischen, Hauträume der
Batrachier u. s. w.) betrachtet werden darf. Nach meinen Unter-
suchungen beim Menschen und bei Säugethieren gestalten sich die
Verhältnisse folgendermaassen. Mit dem Wachsthume des epithelia-
len Theiles des Labyrinthes wuchert auch seine bindegewebige Hülle
rasch und gewinnt bald eine beträchtliche Dicke. Zugleich scheidet
sich dieselbe in drei Lagen, eine äussere und innere, festere und
dünnere Schicht und eine mittlere weichere Masse, die, vor Allem
an Umfang zunehmend, bald die anderen an Dicke weit übertrifft.
Untersucht man diese letztere mit starken Vergrösserungen, so er-
kennt man leicht, dass dieselbe aus dem von mir sogenannten gal-
lertigen Bindegewebe (Schleimgewebe Virchow), d. h. aus einem
Netzwerk von sternförmigen anastomosirenden Zellen mit rundlichen,
von Flüssigkeit erfüllten Maschen besteht. Zur besseren Versinn-
lichung dieser Verhältnisse wollen Sie die Fig. 153 besehen, welche

[Abbildung] Fig. 153.
den Querschnitt des oberen halbkreisförmi-
gen Kanales eines sechsmonatlichen mensch-
lichen Embryo sammt dem umgehenden
Knorpel darstellt. a ist die bindegewebige
Hülle des Tubulus membranaceus, dessen Epi-
thel an diesem Präparate ausgefallen war,
b das Periost des Kanales im Knorpel und die
mächtige helle Schicht c das Gallertgewebe,
von dem ich Ihnen keine stark vergrösserte
Zeichnung vorlege, da dasselbe auf ein Haar mit dem in meiner Ge-
webelehre (3. Aufl. Fig. 208) abgebildeten Schwammgewebe aus dem
[Abbildung]

Fig. 153. Querschnitt des oberen halbkreisförmigen Kanales eines sechs
Monate alten menschlichen Embryo, vergr. a bindegewebige Hülle des Tu-
bulus membranaceus
, dessen Epithel nicht erhalten ist, b Periost des im Knorpel
ausgegrabenen Kanales, c Gallertgewebe zwischen beiden, d Knorpel mit Ver-
kalkung bei e.

Dreissigste Vorlesung.
sich füllt, so dass dann das spätere häutige Labyrinth wie frei in
einem Raume enthalten ist, der der Lücke zwischen Dura und Pia
mater
verglichen werden kann.

Entstehung der
Höhlen des
knöchernen
Labyrinthes.
Die Art und Weise, wie dieser Raum sich bildet, ist übrigens
bis jetzt noch gar nicht verfolgt und doch verdient der hierbei statt-
findende Vorgang Ihre Aufmerksamkeit, indem derselbe als Typus
für viele Hohlraumbildungen beim Menschen und bei Thieren (Unter-
arachnoidealraum, Höhlen der Gelenke, Schleimbeutel, Sehnenschei-
den, freie Räume in der Schädelhöhle von Fischen, Hauträume der
Batrachier u. s. w.) betrachtet werden darf. Nach meinen Unter-
suchungen beim Menschen und bei Säugethieren gestalten sich die
Verhältnisse folgendermaassen. Mit dem Wachsthume des epithelia-
len Theiles des Labyrinthes wuchert auch seine bindegewebige Hülle
rasch und gewinnt bald eine beträchtliche Dicke. Zugleich scheidet
sich dieselbe in drei Lagen, eine äussere und innere, festere und
dünnere Schicht und eine mittlere weichere Masse, die, vor Allem
an Umfang zunehmend, bald die anderen an Dicke weit übertrifft.
Untersucht man diese letztere mit starken Vergrösserungen, so er-
kennt man leicht, dass dieselbe aus dem von mir sogenannten gal-
lertigen Bindegewebe (Schleimgewebe Virchow), d. h. aus einem
Netzwerk von sternförmigen anastomosirenden Zellen mit rundlichen,
von Flüssigkeit erfüllten Maschen besteht. Zur besseren Versinn-
lichung dieser Verhältnisse wollen Sie die Fig. 153 besehen, welche

[Abbildung] Fig. 153.
den Querschnitt des oberen halbkreisförmi-
gen Kanales eines sechsmonatlichen mensch-
lichen Embryo sammt dem umgehenden
Knorpel darstellt. a ist die bindegewebige
Hülle des Tubulus membranaceus, dessen Epi-
thel an diesem Präparate ausgefallen war,
b das Periost des Kanales im Knorpel und die
mächtige helle Schicht c das Gallertgewebe,
von dem ich Ihnen keine stark vergrösserte
Zeichnung vorlege, da dasselbe auf ein Haar mit dem in meiner Ge-
webelehre (3. Aufl. Fig. 208) abgebildeten Schwammgewebe aus dem
[Abbildung]

Fig. 153. Querschnitt des oberen halbkreisförmigen Kanales eines sechs
Monate alten menschlichen Embryo, vergr. a bindegewebige Hülle des Tu-
bulus membranaceus
, dessen Epithel nicht erhalten ist, b Periost des im Knorpel
ausgegrabenen Kanales, c Gallertgewebe zwischen beiden, d Knorpel mit Ver-
kalkung bei e.

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[310/0326] Dreissigste Vorlesung. sich füllt, so dass dann das spätere häutige Labyrinth wie frei in einem Raume enthalten ist, der der Lücke zwischen Dura und Pia mater verglichen werden kann. Die Art und Weise, wie dieser Raum sich bildet, ist übrigens bis jetzt noch gar nicht verfolgt und doch verdient der hierbei statt- findende Vorgang Ihre Aufmerksamkeit, indem derselbe als Typus für viele Hohlraumbildungen beim Menschen und bei Thieren (Unter- arachnoidealraum, Höhlen der Gelenke, Schleimbeutel, Sehnenschei- den, freie Räume in der Schädelhöhle von Fischen, Hauträume der Batrachier u. s. w.) betrachtet werden darf. Nach meinen Unter- suchungen beim Menschen und bei Säugethieren gestalten sich die Verhältnisse folgendermaassen. Mit dem Wachsthume des epithelia- len Theiles des Labyrinthes wuchert auch seine bindegewebige Hülle rasch und gewinnt bald eine beträchtliche Dicke. Zugleich scheidet sich dieselbe in drei Lagen, eine äussere und innere, festere und dünnere Schicht und eine mittlere weichere Masse, die, vor Allem an Umfang zunehmend, bald die anderen an Dicke weit übertrifft. Untersucht man diese letztere mit starken Vergrösserungen, so er- kennt man leicht, dass dieselbe aus dem von mir sogenannten gal- lertigen Bindegewebe (Schleimgewebe Virchow), d. h. aus einem Netzwerk von sternförmigen anastomosirenden Zellen mit rundlichen, von Flüssigkeit erfüllten Maschen besteht. Zur besseren Versinn- lichung dieser Verhältnisse wollen Sie die Fig. 153 besehen, welche [Abbildung Fig. 153.] den Querschnitt des oberen halbkreisförmi- gen Kanales eines sechsmonatlichen mensch- lichen Embryo sammt dem umgehenden Knorpel darstellt. a ist die bindegewebige Hülle des Tubulus membranaceus, dessen Epi- thel an diesem Präparate ausgefallen war, b das Periost des Kanales im Knorpel und die mächtige helle Schicht c das Gallertgewebe, von dem ich Ihnen keine stark vergrösserte Zeichnung vorlege, da dasselbe auf ein Haar mit dem in meiner Ge- webelehre (3. Aufl. Fig. 208) abgebildeten Schwammgewebe aus dem [Abbildung Fig. 153. Querschnitt des oberen halbkreisförmigen Kanales eines sechs Monate alten menschlichen Embryo, vergr. a bindegewebige Hülle des Tu- bulus membranaceus, dessen Epithel nicht erhalten ist, b Periost des im Knorpel ausgegrabenen Kanales, c Gallertgewebe zwischen beiden, d Knorpel mit Ver- kalkung bei e.] Entstehung der Höhlen des knöchernen Labyrinthes.

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Zitationshilfe: Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861/326>, abgerufen am 24.11.2024.