gemeinen Einleitung des Werkes, in welcher der Bau der gewaltigen Halb- insel, die in den Peloponnes als letztes Glied ausläuft, vor den Augen des Lesers zergliedert wird, sind auch die Gründe angegeben, welche eine be- sondere Behandlung dieses Theiles Griechenlands rechtfertigen; die Wissen- schaft hat es zu beklagen, dass der ursprüngliche Plan, welcher das ganze griechische Land umfasste, nicht zur Ausführung gekommen ist. Das Werk über den Peloponnes erschloss Curtius die Pforte der Aka- demie; in der Ansprache, mit welcher er sich am Leibniz-Tage 1853 in den akademischen Kreis einführte, finde ich den frühsten Hinweis auf das Werk, welches Curtius' Namen weit über die gelehrten Kreise hinaus in der gebildeten Welt bekannt machen sollte. Schon 1857 konnte der erste Band der griechischen Geschichte erscheinen; damals nahm Curtius bereits seit einem Jahre den Lehrstuhl an der Georgia-Augusta ein, den vor ihm Welcker und Otfr. Müller innegehabt hatten. In der Stille des Göttinger Lebens, welche erst durch das Kriegsjahr 1866 unterbrochen wurde, ist die griechische Geschichte zu Ende gereift; der Abschluss des dritten Bandes, erschienen 1867, bezeichnet in litterarischer Beziehung auch den Abschluss von Curtius' Thätigkeit in Göttingen; im nächsten Jahr ist Curtius zurück- gekehrt nach Berlin, um hier die Doppelstellung als Vertreter der Archäo- logie an der Universität und Abtheilungsdirector in den Königlichen Museen zu übernehmen, welche er, zum Segen der beiden Anstalten, bis zu seinem Ende bekleidet hat. Den rechten Standpunkt für eine Würdigung von Curtius' griechischer Geschichte zu gewinnen, ist schon heutzutage nicht ganz leicht. Curtius wurzelte mit seinen Anschauungen vom Alterthum in der goldenen Zeit der deutschen Litteratur; das Hellenenthum war für ihn, was es für Herder, Goethe, Schiller gewesen war, der Inbegriff freier und edler Menschlichkeit. Nur in einem idealen Lichte konnte Curtius die Geschichte des griechischen Volkes darstellen wollen. Die Culturbewegung, die fortschreitende Entwickelung in Litteratur und Kunst, in Religion und Wissenschaft ist dasjenige, was ihm am Herzen liegt; das staatliche und politische Leben steht ihm weniger nahe; um so lebhafter werden die wirk- lichen oder vermeintlichen Stammesunterschiede in der Geschichtserzählung betont. Die griechische Colonisation wird mit besonderer Liebe beschrieben, weil durch die Coloniegründungen der griechischen Cultur und Bildung neue Stätten geschaffen wurden. Dass die griechische Geschichte bei dieser Auf- fassung von Curtius nicht über den Beginn des politischen und geistigen
Gedächtniſsrede auf Ernst Curtius.
gemeinen Einleitung des Werkes, in welcher der Bau der gewaltigen Halb- insel, die in den Peloponnes als letztes Glied ausläuft, vor den Augen des Lesers zergliedert wird, sind auch die Gründe angegeben, welche eine be- sondere Behandlung dieses Theiles Griechenlands rechtfertigen; die Wissen- schaft hat es zu beklagen, daſs der ursprüngliche Plan, welcher das ganze griechische Land umfaſste, nicht zur Ausführung gekommen ist. Das Werk über den Peloponnes erschloſs Curtius die Pforte der Aka- demie; in der Ansprache, mit welcher er sich am Leibniz-Tage 1853 in den akademischen Kreis einführte, finde ich den frühsten Hinweis auf das Werk, welches Curtius’ Namen weit über die gelehrten Kreise hinaus in der gebildeten Welt bekannt machen sollte. Schon 1857 konnte der erste Band der griechischen Geschichte erscheinen; damals nahm Curtius bereits seit einem Jahre den Lehrstuhl an der Georgia-Augusta ein, den vor ihm Welcker und Otfr. Müller innegehabt hatten. In der Stille des Göttinger Lebens, welche erst durch das Kriegsjahr 1866 unterbrochen wurde, ist die griechische Geschichte zu Ende gereift; der Abschluſs des dritten Bandes, erschienen 1867, bezeichnet in litterarischer Beziehung auch den Abschluſs von Curtius' Thätigkeit in Göttingen; im nächsten Jahr ist Curtius zurück- gekehrt nach Berlin, um hier die Doppelstellung als Vertreter der Archäo- logie an der Universität und Abtheilungsdirector in den Königlichen Museen zu übernehmen, welche er, zum Segen der beiden Anstalten, bis zu seinem Ende bekleidet hat. Den rechten Standpunkt für eine Würdigung von Curtius’ griechischer Geschichte zu gewinnen, ist schon heutzutage nicht ganz leicht. Curtius wurzelte mit seinen Anschauungen vom Alterthum in der goldenen Zeit der deutschen Litteratur; das Hellenenthum war für ihn, was es für Herder, Goethe, Schiller gewesen war, der Inbegriff freier und edler Menschlichkeit. Nur in einem idealen Lichte konnte Curtius die Geschichte des griechischen Volkes darstellen wollen. Die Culturbewegung, die fortschreitende Entwickelung in Litteratur und Kunst, in Religion und Wissenschaft ist dasjenige, was ihm am Herzen liegt; das staatliche und politische Leben steht ihm weniger nahe; um so lebhafter werden die wirk- lichen oder vermeintlichen Stammesunterschiede in der Geschichtserzählung betont. Die griechische Colonisation wird mit besonderer Liebe beschrieben, weil durch die Coloniegründungen der griechischen Cultur und Bildung neue Stätten geschaffen wurden. Daſs die griechische Geschichte bei dieser Auf- fassung von Curtius nicht über den Beginn des politischen und geistigen
<TEI><text><body><div><pbfacs="#f0009"n="9"/><fwtype="header"place="top"><lb/>
Gedächtniſsrede auf Ernst Curtius.</fw><fwtype="pageNum"place="top">7</fw><p><lb/>
gemeinen Einleitung des Werkes, in welcher der Bau der gewaltigen Halb-<lb/>
insel, die in den Peloponnes als letztes Glied ausläuft, vor den Augen des<lb/>
Lesers zergliedert wird, sind auch die Gründe angegeben, welche eine be-<lb/>
sondere Behandlung dieses Theiles Griechenlands rechtfertigen; die Wissen-<lb/>
schaft hat es zu beklagen, daſs der ursprüngliche Plan, welcher das ganze<lb/>
griechische Land umfaſste, nicht zur Ausführung gekommen ist.<lb/>
Das Werk über den Peloponnes erschloſs Curtius die Pforte der Aka-<lb/>
demie; in der Ansprache, mit welcher er sich am Leibniz-Tage 1853 in<lb/>
den akademischen Kreis einführte, finde ich den frühsten Hinweis auf das<lb/>
Werk, welches Curtius’ Namen weit über die gelehrten Kreise hinaus in<lb/>
der gebildeten Welt bekannt machen sollte. Schon 1857 konnte der erste<lb/>
Band der griechischen Geschichte erscheinen; damals nahm Curtius bereits<lb/>
seit einem Jahre den Lehrstuhl an der Georgia-Augusta ein, den vor ihm<lb/>
Welcker und Otfr. Müller innegehabt hatten. In der Stille des Göttinger<lb/>
Lebens, welche erst durch das Kriegsjahr 1866 unterbrochen wurde, ist<lb/>
die griechische Geschichte zu Ende gereift; der Abschluſs des dritten Bandes,<lb/>
erschienen 1867, bezeichnet in litterarischer Beziehung auch den Abschluſs<lb/>
von Curtius' Thätigkeit in Göttingen; im nächsten Jahr ist Curtius zurück-<lb/>
gekehrt nach Berlin, um hier die Doppelstellung als Vertreter der Archäo-<lb/>
logie an der Universität und Abtheilungsdirector in den Königlichen Museen<lb/>
zu übernehmen, welche er, zum Segen der beiden Anstalten, bis zu seinem<lb/>
Ende bekleidet hat. Den rechten Standpunkt für eine Würdigung von<lb/>
Curtius’ griechischer Geschichte zu gewinnen, ist schon heutzutage nicht<lb/>
ganz leicht. Curtius wurzelte mit seinen Anschauungen vom Alterthum in<lb/>
der goldenen Zeit der deutschen Litteratur; das Hellenenthum war für ihn,<lb/>
was es für Herder, Goethe, Schiller gewesen war, der Inbegriff freier und<lb/>
edler Menschlichkeit. Nur in einem idealen Lichte konnte Curtius die<lb/>
Geschichte des griechischen Volkes darstellen wollen. Die Culturbewegung,<lb/>
die fortschreitende Entwickelung in Litteratur und Kunst, in Religion und<lb/>
Wissenschaft ist dasjenige, was ihm am Herzen liegt; das staatliche und<lb/>
politische Leben steht ihm weniger nahe; um so lebhafter werden die wirk-<lb/>
lichen oder vermeintlichen Stammesunterschiede in der Geschichtserzählung<lb/>
betont. Die griechische Colonisation wird mit besonderer Liebe beschrieben,<lb/>
weil durch die Coloniegründungen der griechischen Cultur und Bildung neue<lb/>
Stätten geschaffen wurden. Daſs die griechische Geschichte bei dieser Auf-<lb/>
fassung von Curtius nicht über den Beginn des politischen und geistigen</p></div></body></text></TEI>
[9/0009]
Gedächtniſsrede auf Ernst Curtius.
7
gemeinen Einleitung des Werkes, in welcher der Bau der gewaltigen Halb-
insel, die in den Peloponnes als letztes Glied ausläuft, vor den Augen des
Lesers zergliedert wird, sind auch die Gründe angegeben, welche eine be-
sondere Behandlung dieses Theiles Griechenlands rechtfertigen; die Wissen-
schaft hat es zu beklagen, daſs der ursprüngliche Plan, welcher das ganze
griechische Land umfaſste, nicht zur Ausführung gekommen ist.
Das Werk über den Peloponnes erschloſs Curtius die Pforte der Aka-
demie; in der Ansprache, mit welcher er sich am Leibniz-Tage 1853 in
den akademischen Kreis einführte, finde ich den frühsten Hinweis auf das
Werk, welches Curtius’ Namen weit über die gelehrten Kreise hinaus in
der gebildeten Welt bekannt machen sollte. Schon 1857 konnte der erste
Band der griechischen Geschichte erscheinen; damals nahm Curtius bereits
seit einem Jahre den Lehrstuhl an der Georgia-Augusta ein, den vor ihm
Welcker und Otfr. Müller innegehabt hatten. In der Stille des Göttinger
Lebens, welche erst durch das Kriegsjahr 1866 unterbrochen wurde, ist
die griechische Geschichte zu Ende gereift; der Abschluſs des dritten Bandes,
erschienen 1867, bezeichnet in litterarischer Beziehung auch den Abschluſs
von Curtius' Thätigkeit in Göttingen; im nächsten Jahr ist Curtius zurück-
gekehrt nach Berlin, um hier die Doppelstellung als Vertreter der Archäo-
logie an der Universität und Abtheilungsdirector in den Königlichen Museen
zu übernehmen, welche er, zum Segen der beiden Anstalten, bis zu seinem
Ende bekleidet hat. Den rechten Standpunkt für eine Würdigung von
Curtius’ griechischer Geschichte zu gewinnen, ist schon heutzutage nicht
ganz leicht. Curtius wurzelte mit seinen Anschauungen vom Alterthum in
der goldenen Zeit der deutschen Litteratur; das Hellenenthum war für ihn,
was es für Herder, Goethe, Schiller gewesen war, der Inbegriff freier und
edler Menschlichkeit. Nur in einem idealen Lichte konnte Curtius die
Geschichte des griechischen Volkes darstellen wollen. Die Culturbewegung,
die fortschreitende Entwickelung in Litteratur und Kunst, in Religion und
Wissenschaft ist dasjenige, was ihm am Herzen liegt; das staatliche und
politische Leben steht ihm weniger nahe; um so lebhafter werden die wirk-
lichen oder vermeintlichen Stammesunterschiede in der Geschichtserzählung
betont. Die griechische Colonisation wird mit besonderer Liebe beschrieben,
weil durch die Coloniegründungen der griechischen Cultur und Bildung neue
Stätten geschaffen wurden. Daſs die griechische Geschichte bei dieser Auf-
fassung von Curtius nicht über den Beginn des politischen und geistigen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Matthias Boenig, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Akademiebibliothek: Bereitstellung der Digitalisate und OCR.
(2020-03-03T12:13:05Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, OCR-D: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2020-03-04T12:13:05Z)
Weitere Informationen:
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und
anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern
nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bogensignaturen: nicht übernommen;
Druckfehler: ignoriert;
fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;
Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;
Köhler, Ulrich: Gedächtnissrede auf Ernst Curtius. Berlin, 1897, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koehler_curtius_1897/9>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.