Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Koch, Robert: Untersuchung über die Aetiologie der Wundinfectionskrankheiten. Leipzig, 1878.

Bild:
<< vorherige Seite

3. Einwendungen gegen die Beweiskraft dieser Thatsachen.
wir die zwingende Gewissheit darüber, dass dieser oder jener be¬
stimmte und unter veränderten Verhältnissen an gewissen Kenn¬
zeichen immer wieder zu erkennende Mikrokokkus die einzige
Ursache der gegebenen Krankheit ist. Denn so lange nur die
Möglichkeit oder selbst die Wahrscheinlichkeit für die Existenz
des Contagium animatum gegeben ist, müssen alle weiteren davon
ausgehenden Untersuchungen die ebenfalls möglicherweise vor¬
handenen anderen Krankheitsursachen, z. B. das unbekannte x
eines bislang noch niemals nachgewiesenen unbelebten Krankheits¬
fermentes, das y des Genius epidemicus und andere unbekannte
Grössen in Rechnung ziehen. Dass damit aber die gestellte Auf¬
gabe im höchsten Grade complicirt und durch zahllose Fehler¬
quellen gefährdet, vermuthlich ganz unlösbar wird, liegt auf
der Hand.


Fassen wir das, was als thatsächlich Bekanntes zusammen¬
gestellt wurde, und die daran geknüpften Erörterungen kurz zu¬
sammen so kommen wir zu dem Ergebniss, dass die zahlreichen
Befunde von Mikroorganismen bei Wundinfectionskrankheiten und
die damit im Zusammenhang stehenden experimentellen Unter¬
suchungen die parasitische Natur dieser Krankheiten wahrschein¬
lich machen, dass ein vollgültiger Beweis dafür bis jetzt noch nicht
geliefert ist und auch nur dann geschafft werden kann, wenn es gelingt,
die parasitischen Mikroorganismen in allen Fälle
n der betreffenden
Krankheit aufzufinden, sie ferner in solcher Menge und Verthei¬
lung nachzuweisen, dass alle Krankheitserscheinungen dadurch ihre
Erklärung finden, und schliesslich für jede einzelne Wundinfecetions¬
krankheit einen morphologisch wohl charakterisirten Mikroorganis¬
mus als Parasiten festzustellen.

Sollte es denn nun aber möglich sein, diese Bedingungen
überhaupt jemals zu erfüllen? Oder sind wir hier an der Grenze
der Leistungsfähigkeit unserer optischen Hülfsmittel angelangt,
wie viele Mikroskopiker anzunehmen scheinen?

Diese Frage wird sich wohl Jeder, der sich eingehender mit
der Untersuchung der pathogenen Bakterien beschäftigt hat, oft
genug vorgelegt haben. Auch mich hat sie vielfach beschäftigt
und sie drängte sich mir sofort wieder auf, als ich allgemeine
Untersuchungen über Bakterien anstellte und erkannte, von welchem
bedeutenden Vortheil für das Erkennen und Unterscheiden gerade

3. Einwendungen gegen die Beweiskraft dieser Thatsachen.
wir die zwingende Gewissheit darüber, dass dieser oder jener be¬
stimmte und unter veränderten Verhältnissen an gewissen Kenn¬
zeichen immer wieder zu erkennende Mikrokokkus die einzige
Ursache der gegebenen Krankheit ist. Denn so lange nur die
Möglichkeit oder selbst die Wahrscheinlichkeit für die Existenz
des Contagium animatum gegeben ist, müssen alle weiteren davon
ausgehenden Untersuchungen die ebenfalls möglicherweise vor¬
handenen anderen Krankheitsursachen, z. B. das unbekannte x
eines bislang noch niemals nachgewiesenen unbelebten Krankheits¬
fermentes, das y des Genius epidemicus und andere unbekannte
Grössen in Rechnung ziehen. Dass damit aber die gestellte Auf¬
gabe im höchsten Grade complicirt und durch zahllose Fehler¬
quellen gefährdet, vermuthlich ganz unlösbar wird, liegt auf
der Hand.


Fassen wir das, was als thatsächlich Bekanntes zusammen¬
gestellt wurde, und die daran geknüpften Erörterungen kurz zu¬
sammen so kommen wir zu dem Ergebniss, dass die zahlreichen
Befunde von Mikroorganismen bei Wundinfectionskrankheiten und
die damit im Zusammenhang stehenden experimentellen Unter¬
suchungen die parasitische Natur dieser Krankheiten wahrschein¬
lich machen, dass ein vollgültiger Beweis dafür bis jetzt noch nicht
geliefert ist und auch nur dann geschafft werden kann, wenn es gelingt,
die parasitischen Mikroorganismen in allen Fälle
n der betreffenden
Krankheit aufzufinden, sie ferner in solcher Menge und Verthei¬
lung nachzuweisen, dass alle Krankheitserscheinungen dadurch ihre
Erklärung finden, und schliesslich für jede einzelne Wundinfecetions¬
krankheit einen morphologisch wohl charakterisirten Mikroorganis¬
mus als Parasiten festzustellen.

Sollte es denn nun aber möglich sein, diese Bedingungen
überhaupt jemals zu erfüllen? Oder sind wir hier an der Grenze
der Leistungsfähigkeit unserer optischen Hülfsmittel angelangt,
wie viele Mikroskopiker anzunehmen scheinen?

Diese Frage wird sich wohl Jeder, der sich eingehender mit
der Untersuchung der pathogenen Bakterien beschäftigt hat, oft
genug vorgelegt haben. Auch mich hat sie vielfach beschäftigt
und sie drängte sich mir sofort wieder auf, als ich allgemeine
Untersuchungen über Bakterien anstellte und erkannte, von welchem
bedeutenden Vortheil für das Erkennen und Unterscheiden gerade

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0037" n="27"/><fw place="top" type="header">3. Einwendungen gegen die Beweiskraft dieser Thatsachen.<lb/></fw> wir die zwingende Gewissheit darüber, dass dieser oder jener be¬<lb/>
stimmte und unter veränderten Verhältnissen an gewissen Kenn¬<lb/>
zeichen immer wieder zu erkennende Mikrokokkus die einzige<lb/>
Ursache der gegebenen Krankheit ist. Denn so lange nur die<lb/>
Möglichkeit oder selbst die Wahrscheinlichkeit für die Existenz<lb/>
des Contagium animatum gegeben ist, müssen alle weiteren davon<lb/>
ausgehenden Untersuchungen die ebenfalls möglicherweise vor¬<lb/>
handenen anderen Krankheitsursachen, z. B. das unbekannte x<lb/>
eines bislang noch niemals nachgewiesenen unbelebten Krankheits¬<lb/>
fermentes, das y des Genius epidemicus und andere unbekannte<lb/>
Grössen in Rechnung ziehen. Dass damit aber die gestellte Auf¬<lb/>
gabe im höchsten Grade complicirt und durch zahllose Fehler¬<lb/>
quellen gefährdet, vermuthlich ganz unlösbar wird, liegt auf<lb/>
der Hand.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p>Fassen wir das, was als thatsächlich Bekanntes zusammen¬<lb/>
gestellt wurde, und die daran geknüpften Erörterungen kurz zu¬<lb/>
sammen so kommen wir zu dem Ergebniss, <hi rendition="#i">dass die zahlreichen<lb/>
Befunde von Mikroorganismen bei Wundinfectionskrankheiten und<lb/>
die damit im Zusammenhang stehenden experimentellen Unter¬<lb/>
suchungen die parasitische Natur dieser Krankheiten wahrschein¬<lb/>
lich machen, dass ein vollgültiger Beweis dafür bis jetzt noch nicht<lb/>
geliefert ist und auch nur dann geschafft werden kann, wenn es gelingt,<lb/>
die parasitischen Mikroorganismen in allen Fälle</hi>n <hi rendition="#i">der betreffenden<lb/>
Krankheit aufzufinden, sie ferner in solcher Menge und Verthei¬<lb/>
lung nachzuweisen, dass alle Krankheitserscheinungen dadurch ihre<lb/>
Erklärung finden, und schliesslich für jede einzelne Wundinfecetions¬<lb/>
krankheit einen morphologisch wohl charakterisirten Mikroorganis¬<lb/>
mus als Parasiten festzustellen.</hi></p><lb/>
          <p>Sollte es denn nun aber möglich sein, diese Bedingungen<lb/>
überhaupt jemals zu erfüllen? Oder sind wir hier an der Grenze<lb/>
der Leistungsfähigkeit unserer optischen Hülfsmittel angelangt,<lb/>
wie viele Mikroskopiker anzunehmen scheinen?</p><lb/>
          <p>Diese Frage wird sich wohl Jeder, der sich eingehender mit<lb/>
der Untersuchung der pathogenen Bakterien beschäftigt hat, oft<lb/>
genug vorgelegt haben. Auch mich hat sie vielfach beschäftigt<lb/>
und sie drängte sich mir sofort wieder auf, als ich allgemeine<lb/>
Untersuchungen über Bakterien anstellte und erkannte, von welchem<lb/>
bedeutenden Vortheil für das Erkennen und Unterscheiden gerade<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[27/0037] 3. Einwendungen gegen die Beweiskraft dieser Thatsachen. wir die zwingende Gewissheit darüber, dass dieser oder jener be¬ stimmte und unter veränderten Verhältnissen an gewissen Kenn¬ zeichen immer wieder zu erkennende Mikrokokkus die einzige Ursache der gegebenen Krankheit ist. Denn so lange nur die Möglichkeit oder selbst die Wahrscheinlichkeit für die Existenz des Contagium animatum gegeben ist, müssen alle weiteren davon ausgehenden Untersuchungen die ebenfalls möglicherweise vor¬ handenen anderen Krankheitsursachen, z. B. das unbekannte x eines bislang noch niemals nachgewiesenen unbelebten Krankheits¬ fermentes, das y des Genius epidemicus und andere unbekannte Grössen in Rechnung ziehen. Dass damit aber die gestellte Auf¬ gabe im höchsten Grade complicirt und durch zahllose Fehler¬ quellen gefährdet, vermuthlich ganz unlösbar wird, liegt auf der Hand. Fassen wir das, was als thatsächlich Bekanntes zusammen¬ gestellt wurde, und die daran geknüpften Erörterungen kurz zu¬ sammen so kommen wir zu dem Ergebniss, dass die zahlreichen Befunde von Mikroorganismen bei Wundinfectionskrankheiten und die damit im Zusammenhang stehenden experimentellen Unter¬ suchungen die parasitische Natur dieser Krankheiten wahrschein¬ lich machen, dass ein vollgültiger Beweis dafür bis jetzt noch nicht geliefert ist und auch nur dann geschafft werden kann, wenn es gelingt, die parasitischen Mikroorganismen in allen Fällen der betreffenden Krankheit aufzufinden, sie ferner in solcher Menge und Verthei¬ lung nachzuweisen, dass alle Krankheitserscheinungen dadurch ihre Erklärung finden, und schliesslich für jede einzelne Wundinfecetions¬ krankheit einen morphologisch wohl charakterisirten Mikroorganis¬ mus als Parasiten festzustellen. Sollte es denn nun aber möglich sein, diese Bedingungen überhaupt jemals zu erfüllen? Oder sind wir hier an der Grenze der Leistungsfähigkeit unserer optischen Hülfsmittel angelangt, wie viele Mikroskopiker anzunehmen scheinen? Diese Frage wird sich wohl Jeder, der sich eingehender mit der Untersuchung der pathogenen Bakterien beschäftigt hat, oft genug vorgelegt haben. Auch mich hat sie vielfach beschäftigt und sie drängte sich mir sofort wieder auf, als ich allgemeine Untersuchungen über Bakterien anstellte und erkannte, von welchem bedeutenden Vortheil für das Erkennen und Unterscheiden gerade

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/koch_wundinfektionskrankheiten_1878
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/koch_wundinfektionskrankheiten_1878/37
Zitationshilfe: Koch, Robert: Untersuchung über die Aetiologie der Wundinfectionskrankheiten. Leipzig, 1878, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koch_wundinfektionskrankheiten_1878/37>, abgerufen am 22.11.2024.