mir lag, daß ich es durchschauen konnte bis in seine geheimsten Falten, und nichts als Liebe fand -- wie meine Glieder zitterten, wie die jungfräuliche Scham sich erhob, und über die Liebe siegen wollte! Ohnmächtige Waffen! was seid ihr? schlecht ver- wahrte Thore, zu denen jeder Dieb den Schlüssel hat. Die Liebe siegte, der Mund verstummte, aber die Blikke redeten desto mehr, sie sagten ewig dein! und die seinigen erwiderten, ewig mein! Da warf er sich in meine Arme, drükte mich an seine Brust, an sein Herz, und ich ihn an meine Brust, an mein Herz, unsere Seelen schmolzen in Eins zusammen, und ein süsser Schauer sagte mehr als Worte fassen können. Ach! unsere Seelen hatten sich lange ae- sucht auf dieser Erde, und fanden sich endlich, fan- den sich schuldlos und rein, welch' eine Seligkeit! welch' ein Zauber, der alle Sinne fesselte, und in paradiesische Wonnen versenkte! -- Und nun das dumpfe Zurükerinnern an all' diese Freuden foltert mein Herz, läßt mich das Bange des Schiksals zwiefach empfinden, das mir noch bevorsteht, das mir die Zukunft mit ihrem Schleier verhüllt! Ja, ewige Vorsicht! ich habe die Freuden genossen in ihrer Fülle, aber soll denn jezt mein Leben eine Quelle des Elends sein? Soll ich in der Schwüle des Tages verschmachten, und kein Tropfen Wassers meine durstige Seele laben? Womit hab' ich diese
mir lag, daß ich es durchſchauen konnte bis in ſeine geheimſten Falten, und nichts als Liebe fand — wie meine Glieder zitterten, wie die jungfraͤuliche Scham ſich erhob, und uͤber die Liebe ſiegen wollte! Ohnmaͤchtige Waffen! was ſeid ihr? ſchlecht ver- wahrte Thore, zu denen jeder Dieb den Schluͤſſel hat. Die Liebe ſiegte, der Mund verſtummte, aber die Blikke redeten deſto mehr, ſie ſagten ewig dein! und die ſeinigen erwiderten, ewig mein! Da warf er ſich in meine Arme, druͤkte mich an ſeine Bruſt, an ſein Herz, und ich ihn an meine Bruſt, an mein Herz, unſere Seelen ſchmolzen in Eins zuſammen, und ein ſuͤſſer Schauer ſagte mehr als Worte faſſen koͤnnen. Ach! unſere Seelen hatten ſich lange ae- ſucht auf dieſer Erde, und fanden ſich endlich, fan- den ſich ſchuldlos und rein, welch’ eine Seligkeit! welch’ ein Zauber, der alle Sinne feſſelte, und in paradieſiſche Wonnen verſenkte! — Und nun das dumpfe Zuruͤkerinnern an all’ dieſe Freuden foltert mein Herz, laͤßt mich das Bange des Schikſals zwiefach empfinden, das mir noch bevorſteht, das mir die Zukunft mit ihrem Schleier verhuͤllt! Ja, ewige Vorſicht! ich habe die Freuden genoſſen in ihrer Fuͤlle, aber ſoll denn jezt mein Leben eine Quelle des Elends ſein? Soll ich in der Schwuͤle des Tages verſchmachten, und kein Tropfen Waſſers meine durſtige Seele laben? Womit hab’ ich dieſe
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mir lag, daß ich es durchſchauen konnte bis in ſeine
geheimſten Falten, und nichts als Liebe fand — wie
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Scham ſich erhob, und uͤber die Liebe ſiegen wollte!
Ohnmaͤchtige Waffen! was ſeid ihr? ſchlecht ver-
wahrte Thore, zu denen jeder Dieb den Schluͤſſel
hat. Die Liebe ſiegte, der Mund verſtummte, aber
die Blikke redeten deſto mehr, ſie ſagten ewig dein!
und die ſeinigen erwiderten, ewig mein! Da warf
er ſich in meine Arme, druͤkte mich an ſeine Bruſt,
an ſein Herz, und ich ihn an meine Bruſt, an mein
Herz, unſere Seelen ſchmolzen in Eins zuſammen,
und ein ſuͤſſer Schauer ſagte mehr als Worte faſſen
koͤnnen. Ach! unſere Seelen hatten ſich lange ae-
ſucht auf dieſer Erde, und fanden ſich endlich, fan-
den ſich ſchuldlos und rein, welch’ eine Seligkeit!
welch’ ein Zauber, der alle Sinne feſſelte, und in
paradieſiſche Wonnen verſenkte! — Und nun das
dumpfe Zuruͤkerinnern an all’ dieſe Freuden foltert
mein Herz, laͤßt mich das Bange des Schikſals
zwiefach empfinden, das mir noch bevorſteht, das
mir die Zukunft mit ihrem Schleier verhuͤllt! Ja,
ewige Vorſicht! ich habe die Freuden genoſſen in
ihrer Fuͤlle, aber ſoll denn jezt mein Leben eine
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/98>, abgerufen am 23.11.2024.
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