Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

mir lag, daß ich es durchschauen konnte bis in seine
geheimsten Falten, und nichts als Liebe fand -- wie
meine Glieder zitterten, wie die jungfräuliche
Scham sich erhob, und über die Liebe siegen wollte!
Ohnmächtige Waffen! was seid ihr? schlecht ver-
wahrte Thore, zu denen jeder Dieb den Schlüssel
hat. Die Liebe siegte, der Mund verstummte, aber
die Blikke redeten desto mehr, sie sagten ewig dein!
und die seinigen erwiderten, ewig mein! Da warf
er sich in meine Arme, drükte mich an seine Brust,
an sein Herz, und ich ihn an meine Brust, an mein
Herz, unsere Seelen schmolzen in Eins zusammen,
und ein süsser Schauer sagte mehr als Worte fassen
können. Ach! unsere Seelen hatten sich lange ae-
sucht auf dieser Erde, und fanden sich endlich, fan-
den sich schuldlos und rein, welch' eine Seligkeit!
welch' ein Zauber, der alle Sinne fesselte, und in
paradiesische Wonnen versenkte! -- Und nun das
dumpfe Zurükerinnern an all' diese Freuden foltert
mein Herz, läßt mich das Bange des Schiksals
zwiefach empfinden, das mir noch bevorsteht, das
mir die Zukunft mit ihrem Schleier verhüllt! Ja,
ewige Vorsicht! ich habe die Freuden genossen in
ihrer Fülle, aber soll denn jezt mein Leben eine
Quelle des Elends sein? Soll ich in der Schwüle
des Tages verschmachten, und kein Tropfen Wassers
meine durstige Seele laben? Womit hab' ich diese

mir lag, daß ich es durchſchauen konnte bis in ſeine
geheimſten Falten, und nichts als Liebe fand — wie
meine Glieder zitterten, wie die jungfraͤuliche
Scham ſich erhob, und uͤber die Liebe ſiegen wollte!
Ohnmaͤchtige Waffen! was ſeid ihr? ſchlecht ver-
wahrte Thore, zu denen jeder Dieb den Schluͤſſel
hat. Die Liebe ſiegte, der Mund verſtummte, aber
die Blikke redeten deſto mehr, ſie ſagten ewig dein!
und die ſeinigen erwiderten, ewig mein! Da warf
er ſich in meine Arme, druͤkte mich an ſeine Bruſt,
an ſein Herz, und ich ihn an meine Bruſt, an mein
Herz, unſere Seelen ſchmolzen in Eins zuſammen,
und ein ſuͤſſer Schauer ſagte mehr als Worte faſſen
koͤnnen. Ach! unſere Seelen hatten ſich lange ae-
ſucht auf dieſer Erde, und fanden ſich endlich, fan-
den ſich ſchuldlos und rein, welch’ eine Seligkeit!
welch’ ein Zauber, der alle Sinne feſſelte, und in
paradieſiſche Wonnen verſenkte! — Und nun das
dumpfe Zuruͤkerinnern an all’ dieſe Freuden foltert
mein Herz, laͤßt mich das Bange des Schikſals
zwiefach empfinden, das mir noch bevorſteht, das
mir die Zukunft mit ihrem Schleier verhuͤllt! Ja,
ewige Vorſicht! ich habe die Freuden genoſſen in
ihrer Fuͤlle, aber ſoll denn jezt mein Leben eine
Quelle des Elends ſein? Soll ich in der Schwuͤle
des Tages verſchmachten, und kein Tropfen Waſſers
meine durſtige Seele laben? Womit hab’ ich dieſe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0098" n="90"/>
mir lag, daß ich es durch&#x017F;chauen konnte bis in &#x017F;eine<lb/>
geheim&#x017F;ten Falten, und nichts als Liebe fand &#x2014; wie<lb/>
meine Glieder zitterten, wie die jungfra&#x0364;uliche<lb/>
Scham &#x017F;ich erhob, und u&#x0364;ber die Liebe &#x017F;iegen wollte!<lb/>
Ohnma&#x0364;chtige Waffen! was &#x017F;eid ihr? &#x017F;chlecht ver-<lb/>
wahrte Thore, zu denen jeder Dieb den Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;el<lb/>
hat. Die Liebe &#x017F;iegte, der Mund ver&#x017F;tummte, aber<lb/>
die Blikke redeten de&#x017F;to mehr, &#x017F;ie &#x017F;agten <hi rendition="#fr">ewig dein!</hi><lb/>
und die &#x017F;einigen erwiderten, <hi rendition="#fr">ewig mein!</hi> Da warf<lb/>
er &#x017F;ich in meine Arme, dru&#x0364;kte mich an &#x017F;eine Bru&#x017F;t,<lb/>
an &#x017F;ein Herz, und ich ihn an meine Bru&#x017F;t, an mein<lb/>
Herz, un&#x017F;ere Seelen &#x017F;chmolzen in Eins zu&#x017F;ammen,<lb/>
und ein &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;er Schauer &#x017F;agte mehr als Worte fa&#x017F;&#x017F;en<lb/>
ko&#x0364;nnen. Ach! un&#x017F;ere Seelen hatten &#x017F;ich lange ae-<lb/>
&#x017F;ucht auf die&#x017F;er Erde, und fanden &#x017F;ich endlich, fan-<lb/>
den &#x017F;ich &#x017F;chuldlos und rein, welch&#x2019; eine Seligkeit!<lb/>
welch&#x2019; ein Zauber, der alle Sinne fe&#x017F;&#x017F;elte, und in<lb/>
paradie&#x017F;i&#x017F;che Wonnen ver&#x017F;enkte! &#x2014; Und nun das<lb/>
dumpfe Zuru&#x0364;kerinnern an all&#x2019; die&#x017F;e Freuden foltert<lb/>
mein Herz, la&#x0364;ßt mich das Bange des Schik&#x017F;als<lb/>
zwiefach empfinden, das mir noch bevor&#x017F;teht, das<lb/>
mir die Zukunft mit ihrem Schleier verhu&#x0364;llt! Ja,<lb/><hi rendition="#fr">ewige Vor&#x017F;icht!</hi> ich habe die Freuden geno&#x017F;&#x017F;en in<lb/>
ihrer Fu&#x0364;lle, aber &#x017F;oll denn jezt mein Leben eine<lb/>
Quelle des Elends &#x017F;ein? Soll ich in der Schwu&#x0364;le<lb/>
des Tages ver&#x017F;chmachten, und kein Tropfen Wa&#x017F;&#x017F;ers<lb/>
meine dur&#x017F;tige Seele laben? Womit hab&#x2019; ich die&#x017F;e<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0098] mir lag, daß ich es durchſchauen konnte bis in ſeine geheimſten Falten, und nichts als Liebe fand — wie meine Glieder zitterten, wie die jungfraͤuliche Scham ſich erhob, und uͤber die Liebe ſiegen wollte! Ohnmaͤchtige Waffen! was ſeid ihr? ſchlecht ver- wahrte Thore, zu denen jeder Dieb den Schluͤſſel hat. Die Liebe ſiegte, der Mund verſtummte, aber die Blikke redeten deſto mehr, ſie ſagten ewig dein! und die ſeinigen erwiderten, ewig mein! Da warf er ſich in meine Arme, druͤkte mich an ſeine Bruſt, an ſein Herz, und ich ihn an meine Bruſt, an mein Herz, unſere Seelen ſchmolzen in Eins zuſammen, und ein ſuͤſſer Schauer ſagte mehr als Worte faſſen koͤnnen. Ach! unſere Seelen hatten ſich lange ae- ſucht auf dieſer Erde, und fanden ſich endlich, fan- den ſich ſchuldlos und rein, welch’ eine Seligkeit! welch’ ein Zauber, der alle Sinne feſſelte, und in paradieſiſche Wonnen verſenkte! — Und nun das dumpfe Zuruͤkerinnern an all’ dieſe Freuden foltert mein Herz, laͤßt mich das Bange des Schikſals zwiefach empfinden, das mir noch bevorſteht, das mir die Zukunft mit ihrem Schleier verhuͤllt! Ja, ewige Vorſicht! ich habe die Freuden genoſſen in ihrer Fuͤlle, aber ſoll denn jezt mein Leben eine Quelle des Elends ſein? Soll ich in der Schwuͤle des Tages verſchmachten, und kein Tropfen Waſſers meine durſtige Seele laben? Womit hab’ ich dieſe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/98
Zitationshilfe: Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/98>, abgerufen am 23.11.2024.