den die Welt mit Fingern zeiget, es ist ein Denk- mal der Verachtung, dereinst ausgeschlossen von so vielen Vorrechten der Gesellschaft -- Es muß die Gefühle eines Kindes gegen seine Aeltern er- stikken -- Es muß erst die Fahne über sich schwenken lassen -- -- Daß dieser Gedanke, sage ich, vermögend war, eine Mutter mit Wut zu wafnen, ihr das Würgemesser in die Hand zu geben, um ihr Kind durch einen schnellen Tod dem noch auf ihn wartendem Elende auf einmal zu entrükken.
Warum aber deshalb sterben? warum öffent- lich hingerichtet werden? da der Zwek der Strafe dadurch gänzlich verfehlt wird, da sich auch gar keine Bestrafung gedenken läßt, wo kein Ver- brechen begangen ist -- Ein Verbrechen kann ich aber nur begehen, wenn ich den Gebrauch der Seelenkräfte habe, die mich zum Menschen machen, wann ich die unbeschränkte Freiheit habe, das Böse zu unterlassen, weil es böse, und das Gute zu vollbringen, weil es gut ist. Wenn je- mand den Ochsen erschlüge, weil er sein Kind gestossen hat, daß es starb, würde man nicht sagen, der Mensch raset, er will das unvernünftige Thier lehren, vernünftig zu sein, er will seinen
den die Welt mit Fingern zeiget, es iſt ein Denk- mal der Verachtung, dereinſt ausgeſchloſſen von ſo vielen Vorrechten der Geſellſchaft — Es muß die Gefuͤhle eines Kindes gegen ſeine Aeltern er- ſtikken — Es muß erſt die Fahne uͤber ſich ſchwenken laſſen — — Daß dieſer Gedanke, ſage ich, vermoͤgend war, eine Mutter mit Wut zu wafnen, ihr das Wuͤrgemeſſer in die Hand zu geben, um ihr Kind durch einen ſchnellen Tod dem noch auf ihn wartendem Elende auf einmal zu entruͤkken.
Warum aber deshalb ſterben? warum oͤffent- lich hingerichtet werden? da der Zwek der Strafe dadurch gaͤnzlich verfehlt wird, da ſich auch gar keine Beſtrafung gedenken laͤßt, wo kein Ver- brechen begangen iſt — Ein Verbrechen kann ich aber nur begehen, wenn ich den Gebrauch der Seelenkraͤfte habe, die mich zum Menſchen machen, wann ich die unbeſchraͤnkte Freiheit habe, das Boͤſe zu unterlaſſen, weil es boͤſe, und das Gute zu vollbringen, weil es gut iſt. Wenn je- mand den Ochſen erſchluͤge, weil er ſein Kind geſtoſſen hat, daß es ſtarb, wuͤrde man nicht ſagen, der Menſch raſet, er will das unvernuͤnftige Thier lehren, vernuͤnftig zu ſein, er will ſeinen
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den die Welt mit Fingern zeiget, es iſt ein Denk-
mal der Verachtung, dereinſt ausgeſchloſſen von
ſo vielen Vorrechten der Geſellſchaft — Es muß
die Gefuͤhle eines Kindes gegen ſeine Aeltern er-
ſtikken — Es muß erſt die Fahne uͤber ſich
ſchwenken laſſen — — Daß dieſer Gedanke,
ſage ich, vermoͤgend war, eine Mutter mit Wut
zu wafnen, ihr das Wuͤrgemeſſer in die Hand
zu geben, um ihr Kind durch einen ſchnellen Tod
dem noch auf ihn wartendem Elende auf einmal
zu entruͤkken.
Warum aber deshalb ſterben? warum oͤffent-
lich hingerichtet werden? da der Zwek der Strafe
dadurch gaͤnzlich verfehlt wird, da ſich auch gar
keine Beſtrafung gedenken laͤßt, wo kein Ver-
brechen begangen iſt — Ein Verbrechen kann
ich aber nur begehen, wenn ich den Gebrauch
der Seelenkraͤfte habe, die mich zum Menſchen
machen, wann ich die unbeſchraͤnkte Freiheit habe,
das Boͤſe zu unterlaſſen, weil es boͤſe, und das
Gute zu vollbringen, weil es gut iſt. Wenn je-
mand den Ochſen erſchluͤge, weil er ſein Kind
geſtoſſen hat, daß es ſtarb, wuͤrde man nicht ſagen,
der Menſch raſet, er will das unvernuͤnftige
Thier lehren, vernuͤnftig zu ſein, er will ſeinen
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/78>, abgerufen am 23.11.2024.
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