Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

gerisches Leben auf eine andere Art fortsezzen
wollte, verlies sie, unternam eine Reise, und
kam nie zurük -- Schuldner bemächtigten sich
des noch übrigen Vermögens, Caroline mußte
fast ganz entblößt von allen Bequemlichkeiten das
väterliche Haus verlassen, und zu einer Ver-
wandtin ihre Zuflucht nehmen. Dies war eine
harte, lieblose Frau, die kein Mitleiden kannte,
und sich fast gar nicht um das arme verlassene
Mädchen bekümmerte -- Sie war ganz ausge-
stossen aus dem menschlichen Zirkel -- die Röte
verblich -- die Wangen welkten dahin, und
kaum daß die Füsse den von Gram ausgemergel-
ten Körper fortschleppen konnten. Die Zeit
nahte sich, wo die Frucht der treulosen Verfüh-
rung ans Licht treten sollte. So oft der Gedanke
hieran sie beschlich, und das war stündlich, so
giengen ihre Sinne zur gänzlichen Zerrüttung
über. Mutter zu werden! war ein Gedanke,
den ihr Geist nicht umfassen konnte, mit dem
sich alles in ihrer Seele verband, was nur schrek-
liches kan gedacht werden. Wann eine Flut von
Tränen ihr Lager überschwemmt hatte, wann sie
sich vergebens nach ein Wesen umsah, in des-
sen Schoos sie all' ihre Leiden ausschütten

konnte,

geriſches Leben auf eine andere Art fortſezzen
wollte, verlies ſie, unternam eine Reiſe, und
kam nie zuruͤk — Schuldner bemaͤchtigten ſich
des noch uͤbrigen Vermoͤgens, Caroline mußte
faſt ganz entbloͤßt von allen Bequemlichkeiten das
vaͤterliche Haus verlaſſen, und zu einer Ver-
wandtin ihre Zuflucht nehmen. Dies war eine
harte, liebloſe Frau, die kein Mitleiden kannte,
und ſich faſt gar nicht um das arme verlaſſene
Maͤdchen bekuͤmmerte — Sie war ganz ausge-
ſtoſſen aus dem menſchlichen Zirkel — die Roͤte
verblich — die Wangen welkten dahin, und
kaum daß die Fuͤſſe den von Gram ausgemergel-
ten Koͤrper fortſchleppen konnten. Die Zeit
nahte ſich, wo die Frucht der treuloſen Verfuͤh-
rung ans Licht treten ſollte. So oft der Gedanke
hieran ſie beſchlich, und das war ſtuͤndlich, ſo
giengen ihre Sinne zur gaͤnzlichen Zerruͤttung
uͤber. Mutter zu werden! war ein Gedanke,
den ihr Geiſt nicht umfaſſen konnte, mit dem
ſich alles in ihrer Seele verband, was nur ſchrek-
liches kan gedacht werden. Wann eine Flut von
Traͤnen ihr Lager uͤberſchwemmt hatte, wann ſie
ſich vergebens nach ein Weſen umſah, in deſ-
ſen Schoos ſie all’ ihre Leiden ausſchuͤtten

konnte,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0072" n="64"/>
geri&#x017F;ches Leben auf eine andere Art fort&#x017F;ezzen<lb/>
wollte, verlies &#x017F;ie, unternam eine Rei&#x017F;e, und<lb/>
kam nie zuru&#x0364;k &#x2014; Schuldner bema&#x0364;chtigten &#x017F;ich<lb/>
des noch u&#x0364;brigen Vermo&#x0364;gens, <hi rendition="#fr">Caroline</hi> mußte<lb/>
fa&#x017F;t ganz entblo&#x0364;ßt von allen Bequemlichkeiten das<lb/>
va&#x0364;terliche Haus verla&#x017F;&#x017F;en, und zu einer Ver-<lb/>
wandtin ihre Zuflucht nehmen. Dies war eine<lb/>
harte, lieblo&#x017F;e Frau, die kein Mitleiden kannte,<lb/>
und &#x017F;ich fa&#x017F;t gar nicht um das arme verla&#x017F;&#x017F;ene<lb/>
Ma&#x0364;dchen beku&#x0364;mmerte &#x2014; Sie war ganz ausge-<lb/>
&#x017F;to&#x017F;&#x017F;en aus dem men&#x017F;chlichen Zirkel &#x2014; die Ro&#x0364;te<lb/>
verblich &#x2014; die Wangen welkten dahin, und<lb/>
kaum daß die Fu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e den von Gram ausgemergel-<lb/>
ten Ko&#x0364;rper fort&#x017F;chleppen konnten. Die Zeit<lb/>
nahte &#x017F;ich, wo die Frucht der treulo&#x017F;en Verfu&#x0364;h-<lb/>
rung ans Licht treten &#x017F;ollte. So oft der Gedanke<lb/>
hieran &#x017F;ie be&#x017F;chlich, und das war &#x017F;tu&#x0364;ndlich, &#x017F;o<lb/>
giengen ihre Sinne zur ga&#x0364;nzlichen Zerru&#x0364;ttung<lb/>
u&#x0364;ber. <hi rendition="#fr">Mutter zu werden!</hi> war ein Gedanke,<lb/>
den ihr Gei&#x017F;t nicht umfa&#x017F;&#x017F;en konnte, mit dem<lb/>
&#x017F;ich alles in ihrer Seele verband, was nur &#x017F;chrek-<lb/>
liches kan gedacht werden. Wann eine Flut von<lb/>
Tra&#x0364;nen ihr Lager u&#x0364;ber&#x017F;chwemmt hatte, wann &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich vergebens nach ein We&#x017F;en um&#x017F;ah, in de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en Schoos &#x017F;ie all&#x2019; ihre Leiden aus&#x017F;chu&#x0364;tten<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">konnte,</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[64/0072] geriſches Leben auf eine andere Art fortſezzen wollte, verlies ſie, unternam eine Reiſe, und kam nie zuruͤk — Schuldner bemaͤchtigten ſich des noch uͤbrigen Vermoͤgens, Caroline mußte faſt ganz entbloͤßt von allen Bequemlichkeiten das vaͤterliche Haus verlaſſen, und zu einer Ver- wandtin ihre Zuflucht nehmen. Dies war eine harte, liebloſe Frau, die kein Mitleiden kannte, und ſich faſt gar nicht um das arme verlaſſene Maͤdchen bekuͤmmerte — Sie war ganz ausge- ſtoſſen aus dem menſchlichen Zirkel — die Roͤte verblich — die Wangen welkten dahin, und kaum daß die Fuͤſſe den von Gram ausgemergel- ten Koͤrper fortſchleppen konnten. Die Zeit nahte ſich, wo die Frucht der treuloſen Verfuͤh- rung ans Licht treten ſollte. So oft der Gedanke hieran ſie beſchlich, und das war ſtuͤndlich, ſo giengen ihre Sinne zur gaͤnzlichen Zerruͤttung uͤber. Mutter zu werden! war ein Gedanke, den ihr Geiſt nicht umfaſſen konnte, mit dem ſich alles in ihrer Seele verband, was nur ſchrek- liches kan gedacht werden. Wann eine Flut von Traͤnen ihr Lager uͤberſchwemmt hatte, wann ſie ſich vergebens nach ein Weſen umſah, in deſ- ſen Schoos ſie all’ ihre Leiden ausſchuͤtten konnte,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/72
Zitationshilfe: Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/72>, abgerufen am 23.11.2024.