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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784.

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viel zu unerfahren, Warheit von Täuschung zu
unterscheiden, sie kannte die Welt nur aus Bü-
chern und schuf sich lauter Grändisons und
Loveläce's -- Jhr Herz, so offen und rein,
kannte die Schlingen nicht, mit der die Bosheit
die Unschuld zu bestrikken pflegt; in ihr schlug ein
warmes Gefühl für Tugend und Rechtschaffen-
heit, und der Glaube an lauter gute und edle
Menschen stand fest in ihrer Seele, und ver-
bannte Mistrauen und steife Zurükhaltung. Der
Verräther sah wol ein, daß er den Weg der
Schmeichelei bei ihr nicht einschlagen durfte, er
nahm daher zur Verstellung seine Zuflucht, ver-
stekte das scheusliche Gesicht unter der Larve der
Tugend, und so fand der Bube nach und nach den
Zugang in das Herz eines schuldlosen Mädchens.
Aber dennoch blieb Caroline rein, denn gute
Grundsäzze, wenn sie einmal Wurzel geschlagen
haben, können nicht so leicht vertilgt werden,
und vielleicht wäre sie auch schuldlos geblieben,
vielleicht hätte die Tugend einen glänzenden Sieg
erkämpft, wenn nicht eine unglükliche Katastro-
phe alles untergraben hätte.

Durch den übermäßigen Aufwand, durch die
schwelgerischen Feste, war das ansehnliche Ver-

viel zu unerfahren, Warheit von Taͤuſchung zu
unterſcheiden, ſie kannte die Welt nur aus Buͤ-
chern und ſchuf ſich lauter Graͤndiſons und
Lovelaͤce’s — Jhr Herz, ſo offen und rein,
kannte die Schlingen nicht, mit der die Bosheit
die Unſchuld zu beſtrikken pflegt; in ihr ſchlug ein
warmes Gefuͤhl fuͤr Tugend und Rechtſchaffen-
heit, und der Glaube an lauter gute und edle
Menſchen ſtand feſt in ihrer Seele, und ver-
bannte Mistrauen und ſteife Zuruͤkhaltung. Der
Verraͤther ſah wol ein, daß er den Weg der
Schmeichelei bei ihr nicht einſchlagen durfte, er
nahm daher zur Verſtellung ſeine Zuflucht, ver-
ſtekte das ſcheusliche Geſicht unter der Larve der
Tugend, und ſo fand der Bube nach und nach den
Zugang in das Herz eines ſchuldloſen Maͤdchens.
Aber dennoch blieb Caroline rein, denn gute
Grundſaͤzze, wenn ſie einmal Wurzel geſchlagen
haben, koͤnnen nicht ſo leicht vertilgt werden,
und vielleicht waͤre ſie auch ſchuldlos geblieben,
vielleicht haͤtte die Tugend einen glaͤnzenden Sieg
erkaͤmpft, wenn nicht eine ungluͤkliche Kataſtro-
phe alles untergraben haͤtte.

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[58/0066] viel zu unerfahren, Warheit von Taͤuſchung zu unterſcheiden, ſie kannte die Welt nur aus Buͤ- chern und ſchuf ſich lauter Graͤndiſons und Lovelaͤce’s — Jhr Herz, ſo offen und rein, kannte die Schlingen nicht, mit der die Bosheit die Unſchuld zu beſtrikken pflegt; in ihr ſchlug ein warmes Gefuͤhl fuͤr Tugend und Rechtſchaffen- heit, und der Glaube an lauter gute und edle Menſchen ſtand feſt in ihrer Seele, und ver- bannte Mistrauen und ſteife Zuruͤkhaltung. Der Verraͤther ſah wol ein, daß er den Weg der Schmeichelei bei ihr nicht einſchlagen durfte, er nahm daher zur Verſtellung ſeine Zuflucht, ver- ſtekte das ſcheusliche Geſicht unter der Larve der Tugend, und ſo fand der Bube nach und nach den Zugang in das Herz eines ſchuldloſen Maͤdchens. Aber dennoch blieb Caroline rein, denn gute Grundſaͤzze, wenn ſie einmal Wurzel geſchlagen haben, koͤnnen nicht ſo leicht vertilgt werden, und vielleicht waͤre ſie auch ſchuldlos geblieben, vielleicht haͤtte die Tugend einen glaͤnzenden Sieg erkaͤmpft, wenn nicht eine ungluͤkliche Kataſtro- phe alles untergraben haͤtte. Durch den uͤbermaͤßigen Aufwand, durch die ſchwelgeriſchen Feſte, war das anſehnliche Ver-

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Zitationshilfe: Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/66>, abgerufen am 23.11.2024.