sem Geschöpf verwarloset, sondern alles ver- schwendet zu haben; es gab ihm, was man so selten antrift, Schönheit des Körpers, verbun- den mit Schönheit der Seele. Der Vater sparte keine Kosten, keinen Aufwand, seiner Tochter eine solche Erziehung zu geben, wie man sie sel- ten bei Personen der höhern Klasse findet; und da ihm hiezu die nöthigen Kenntnisse fehlten, so trug er dies Geschäft einem Prediger des Orts auf -- Dieser rechtschaffene Mann wandte Tage und Nächte auf ihre Bildung, er suchte ihr Herz zu verfeinern -- dies Herz, was dereinst die Quelle all' ihres Glüks oder Elends werden sollte. Er suchte ihrem Geist eine solche Richtung zu geben, wie sie ihn in dem Kreise ihres Lebens bedurfte; er durchlief mit ihr Banen der Ge- schichte und Weltweisheit, und Caroline blieb nie zurük -- Jhr alles umfassender Verstand schwung sich über alle Hindernisse hinweg, und geizte mit einem zehrenden Enthusiasmus nach Warheit. Schon im siebzehnten Jahr ihres Er- dewallens kannte sie die alte und neue Geschichte -- kannte alle erhabne Karaktere der Vorwelt -- kannte ausser der Sprache ihres Landes auch fremde Sprachen. Mit heisser Begierde ver-
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ſem Geſchoͤpf verwarloſet, ſondern alles ver- ſchwendet zu haben; es gab ihm, was man ſo ſelten antrift, Schoͤnheit des Koͤrpers, verbun- den mit Schoͤnheit der Seele. Der Vater ſparte keine Koſten, keinen Aufwand, ſeiner Tochter eine ſolche Erziehung zu geben, wie man ſie ſel- ten bei Perſonen der hoͤhern Klaſſe findet; und da ihm hiezu die noͤthigen Kenntniſſe fehlten, ſo trug er dies Geſchaͤft einem Prediger des Orts auf — Dieſer rechtſchaffene Mann wandte Tage und Naͤchte auf ihre Bildung, er ſuchte ihr Herz zu verfeinern — dies Herz, was dereinſt die Quelle all’ ihres Gluͤks oder Elends werden ſollte. Er ſuchte ihrem Geiſt eine ſolche Richtung zu geben, wie ſie ihn in dem Kreiſe ihres Lebens bedurfte; er durchlief mit ihr Banen der Ge- ſchichte und Weltweisheit, und Caroline blieb nie zuruͤk — Jhr alles umfaſſender Verſtand ſchwung ſich uͤber alle Hinderniſſe hinweg, und geizte mit einem zehrenden Enthuſiasmus nach Warheit. Schon im ſiebzehnten Jahr ihres Er- dewallens kannte ſie die alte und neue Geſchichte — kannte alle erhabne Karaktere der Vorwelt — kannte auſſer der Sprache ihres Landes auch fremde Sprachen. Mit heiſſer Begierde ver-
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ſem Geſchoͤpf verwarloſet, ſondern alles ver-
ſchwendet zu haben; es gab ihm, was man ſo
ſelten antrift, Schoͤnheit des Koͤrpers, verbun-
den mit Schoͤnheit der Seele. Der Vater ſparte
keine Koſten, keinen Aufwand, ſeiner Tochter
eine ſolche Erziehung zu geben, wie man ſie ſel-
ten bei Perſonen der hoͤhern Klaſſe findet; und
da ihm hiezu die noͤthigen Kenntniſſe fehlten, ſo
trug er dies Geſchaͤft einem Prediger des Orts
auf — Dieſer rechtſchaffene Mann wandte Tage
und Naͤchte auf ihre Bildung, er ſuchte ihr Herz
zu verfeinern — dies Herz, was dereinſt die
Quelle all’ ihres Gluͤks oder Elends werden
ſollte. Er ſuchte ihrem Geiſt eine ſolche Richtung
zu geben, wie ſie ihn in dem Kreiſe ihres Lebens
bedurfte; er durchlief mit ihr Banen der Ge-
ſchichte und Weltweisheit, und Caroline blieb
nie zuruͤk — Jhr alles umfaſſender Verſtand
ſchwung ſich uͤber alle Hinderniſſe hinweg, und
geizte mit einem zehrenden Enthuſiasmus nach
Warheit. Schon im ſiebzehnten Jahr ihres Er-
dewallens kannte ſie die alte und neue Geſchichte
— kannte alle erhabne Karaktere der Vorwelt —
kannte auſſer der Sprache ihres Landes auch
fremde Sprachen. Mit heiſſer Begierde ver-
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/59>, abgerufen am 23.11.2024.
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