gebt auch mir den Tod -- ich hab' ihm ein Leben geraubt, ein Leben voll Abscheu- lichkeit und Schande; er aber hat mich tausendmal gefoltert, mir alles geraubt, meinen Gott, meinen Himmel, meine Tu- gend. -- Seldau ward in ein finsteres Loch geworfen, wo nur selten ein matter Lichtstral durchbrechen konnte -- Man verzögerte seinen Prozes, und er bat mit tränendem Ausblik, ihm eines Daseins zu entlasten, das ihm zur drük- kenden Last wurde. Endlich kam das Urtel, von unten auf gerädert, sein Körper aufs Rad geflochten. Mit standhaftem Mut hörte er's -- keine Verzukkung, keine Mine enthüllte Schmerz und bange Furcht. Oft fand ihn der Kerkermeister ringend und schluchzend im Gebet und Kampf vor seinem Gott -- Fühllos verlies er ihn, aber der über den Sternen wandelt, sah ihn und merkte auf sein Flehn. Er löschte seine Schuld, sandte Ruhe und Trost in seine ermat- tete Seele, und gab ihm Standhaftigkeit und Mut, unerschrokken dem Tode entgegen zu eilen. Die Stunde kam -- schwarz und finster ruhte sie auf den jungen Schwingen des Tages; die Natur hüllte sich in Trauer, über den Tod eines
gebt auch mir den Tod — ich hab’ ihm ein Leben geraubt, ein Leben voll Abſcheu- lichkeit und Schande; er aber hat mich tauſendmal gefoltert, mir alles geraubt, meinen Gott, meinen Himmel, meine Tu- gend. — Seldau ward in ein finſteres Loch geworfen, wo nur ſelten ein matter Lichtſtral durchbrechen konnte — Man verzoͤgerte ſeinen Prozes, und er bat mit traͤnendem Ausblik, ihm eines Daſeins zu entlaſten, das ihm zur druͤk- kenden Laſt wurde. Endlich kam das Urtel, von unten auf geraͤdert, ſein Koͤrper aufs Rad geflochten. Mit ſtandhaftem Mut hoͤrte er’s — keine Verzukkung, keine Mine enthuͤllte Schmerz und bange Furcht. Oft fand ihn der Kerkermeiſter ringend und ſchluchzend im Gebet und Kampf vor ſeinem Gott — Fuͤhllos verlies er ihn, aber der uͤber den Sternen wandelt, ſah ihn und merkte auf ſein Flehn. Er loͤſchte ſeine Schuld, ſandte Ruhe und Troſt in ſeine ermat- tete Seele, und gab ihm Standhaftigkeit und Mut, unerſchrokken dem Tode entgegen zu eilen. Die Stunde kam — ſchwarz und finſter ruhte ſie auf den jungen Schwingen des Tages; die Natur huͤllte ſich in Trauer, uͤber den Tod eines
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gebt auch mir den Tod — ich hab’ ihm
ein Leben geraubt, ein Leben voll Abſcheu-
lichkeit und Schande; er aber hat mich
tauſendmal gefoltert, mir alles geraubt,
meinen Gott, meinen Himmel, meine Tu-
gend. — Seldau ward in ein finſteres Loch
geworfen, wo nur ſelten ein matter Lichtſtral
durchbrechen konnte — Man verzoͤgerte ſeinen
Prozes, und er bat mit traͤnendem Ausblik, ihm
eines Daſeins zu entlaſten, das ihm zur druͤk-
kenden Laſt wurde. Endlich kam das Urtel,
von unten auf geraͤdert, ſein Koͤrper aufs
Rad geflochten. Mit ſtandhaftem Mut hoͤrte
er’s — keine Verzukkung, keine Mine enthuͤllte
Schmerz und bange Furcht. Oft fand ihn der
Kerkermeiſter ringend und ſchluchzend im Gebet
und Kampf vor ſeinem Gott — Fuͤhllos verlies
er ihn, aber der uͤber den Sternen wandelt, ſah
ihn und merkte auf ſein Flehn. Er loͤſchte ſeine
Schuld, ſandte Ruhe und Troſt in ſeine ermat-
tete Seele, und gab ihm Standhaftigkeit und
Mut, unerſchrokken dem Tode entgegen zu eilen.
Die Stunde kam — ſchwarz und finſter ruhte
ſie auf den jungen Schwingen des Tages; die
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/51>, abgerufen am 23.11.2024.
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