Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

verliehen hatte, und strekte den einen so zu Bo-
den, daß er eine Zeitlang zur Gegenwehr un-
tüchtig war, der andere nahm die Flucht, und
so nahm ich das erschöpfte Mädchen, und brachte
sie in die nicht weit entfernte väterliche Hütte
zurük. Sie war die Tochter eines braven Land-
manns, die bei einem Besuch zu ihrer Verwand-
tinn im nächsten Dorf von diesen Räubern, die
ihrer Tugend schon lange nachgestellt hatte, war
überfallen worden. Jch bin zu schwach, die
Fülle des Danks zu entziffern, die aus dem
Munde der Aeltern und Tochter wechselsweise
auf mich herab strömte, und nie hab ich die
Freude, nach einer vollbrachten guten Handlung
so lebhaft empfunden, als damals. Jch weiß
nicht, es war ein Vorschmak von überirdischer
Freude, so mich berauschte, und all' meine Sinne
gefangen nahm, so ich mir nie selbst erklären
konnte, die mir aber oft wieder gegenwärtig
wurde, und mich hernach auch in trüben Stun-
den meines Lebens beschlich.

Jch. Ja, es muß der wonnevollste seligste
Augenblik sein, den je ein Menschenauge er-
blikken kann, eine Unschuld gerettet zu haben! --

Greis. O, sie hätten das Auge des Mäd-

verliehen hatte, und ſtrekte den einen ſo zu Bo-
den, daß er eine Zeitlang zur Gegenwehr un-
tuͤchtig war, der andere nahm die Flucht, und
ſo nahm ich das erſchoͤpfte Maͤdchen, und brachte
ſie in die nicht weit entfernte vaͤterliche Huͤtte
zuruͤk. Sie war die Tochter eines braven Land-
manns, die bei einem Beſuch zu ihrer Verwand-
tinn im naͤchſten Dorf von dieſen Raͤubern, die
ihrer Tugend ſchon lange nachgeſtellt hatte, war
uͤberfallen worden. Jch bin zu ſchwach, die
Fuͤlle des Danks zu entziffern, die aus dem
Munde der Aeltern und Tochter wechſelsweiſe
auf mich herab ſtroͤmte, und nie hab ich die
Freude, nach einer vollbrachten guten Handlung
ſo lebhaft empfunden, als damals. Jch weiß
nicht, es war ein Vorſchmak von uͤberirdiſcher
Freude, ſo mich berauſchte, und all’ meine Sinne
gefangen nahm, ſo ich mir nie ſelbſt erklaͤren
konnte, die mir aber oft wieder gegenwaͤrtig
wurde, und mich hernach auch in truͤben Stun-
den meines Lebens beſchlich.

Jch. Ja, es muß der wonnevollſte ſeligſte
Augenblik ſein, den je ein Menſchenauge er-
blikken kann, eine Unſchuld gerettet zu haben! —

Greis. O, ſie haͤtten das Auge des Maͤd-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0286" n="278"/>
verliehen hatte, und &#x017F;trekte den einen &#x017F;o zu Bo-<lb/>
den, daß er eine Zeitlang zur Gegenwehr un-<lb/>
tu&#x0364;chtig war, der andere nahm die Flucht, und<lb/>
&#x017F;o nahm ich das er&#x017F;cho&#x0364;pfte Ma&#x0364;dchen, und brachte<lb/>
&#x017F;ie in die nicht weit entfernte va&#x0364;terliche Hu&#x0364;tte<lb/>
zuru&#x0364;k. Sie war die Tochter eines braven Land-<lb/>
manns, die bei einem Be&#x017F;uch zu ihrer Verwand-<lb/>
tinn im na&#x0364;ch&#x017F;ten Dorf von die&#x017F;en Ra&#x0364;ubern, die<lb/>
ihrer Tugend &#x017F;chon lange nachge&#x017F;tellt hatte, war<lb/>
u&#x0364;berfallen worden. Jch bin zu &#x017F;chwach, die<lb/>
Fu&#x0364;lle des Danks zu entziffern, die aus dem<lb/>
Munde der Aeltern und Tochter wech&#x017F;elswei&#x017F;e<lb/>
auf mich herab &#x017F;tro&#x0364;mte, und nie hab ich die<lb/>
Freude, nach einer vollbrachten guten Handlung<lb/>
&#x017F;o lebhaft empfunden, als damals. Jch weiß<lb/>
nicht, es war ein Vor&#x017F;chmak von u&#x0364;berirdi&#x017F;cher<lb/>
Freude, &#x017F;o mich berau&#x017F;chte, und all&#x2019; meine Sinne<lb/>
gefangen nahm, &#x017F;o ich mir nie &#x017F;elb&#x017F;t erkla&#x0364;ren<lb/>
konnte, die mir aber oft wieder gegenwa&#x0364;rtig<lb/>
wurde, und mich hernach auch in tru&#x0364;ben Stun-<lb/>
den meines Lebens be&#x017F;chlich.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Jch.</hi> Ja, es muß der wonnevoll&#x017F;te &#x017F;elig&#x017F;te<lb/>
Augenblik &#x017F;ein, den je ein Men&#x017F;chenauge er-<lb/>
blikken kann, eine Un&#x017F;chuld gerettet zu haben! &#x2014;</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Greis.</hi> O, &#x017F;ie ha&#x0364;tten das Auge des Ma&#x0364;d-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[278/0286] verliehen hatte, und ſtrekte den einen ſo zu Bo- den, daß er eine Zeitlang zur Gegenwehr un- tuͤchtig war, der andere nahm die Flucht, und ſo nahm ich das erſchoͤpfte Maͤdchen, und brachte ſie in die nicht weit entfernte vaͤterliche Huͤtte zuruͤk. Sie war die Tochter eines braven Land- manns, die bei einem Beſuch zu ihrer Verwand- tinn im naͤchſten Dorf von dieſen Raͤubern, die ihrer Tugend ſchon lange nachgeſtellt hatte, war uͤberfallen worden. Jch bin zu ſchwach, die Fuͤlle des Danks zu entziffern, die aus dem Munde der Aeltern und Tochter wechſelsweiſe auf mich herab ſtroͤmte, und nie hab ich die Freude, nach einer vollbrachten guten Handlung ſo lebhaft empfunden, als damals. Jch weiß nicht, es war ein Vorſchmak von uͤberirdiſcher Freude, ſo mich berauſchte, und all’ meine Sinne gefangen nahm, ſo ich mir nie ſelbſt erklaͤren konnte, die mir aber oft wieder gegenwaͤrtig wurde, und mich hernach auch in truͤben Stun- den meines Lebens beſchlich. Jch. Ja, es muß der wonnevollſte ſeligſte Augenblik ſein, den je ein Menſchenauge er- blikken kann, eine Unſchuld gerettet zu haben! — Greis. O, ſie haͤtten das Auge des Maͤd-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/286
Zitationshilfe: Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/286>, abgerufen am 25.11.2024.