mer vertroknen? sollen Verhältnisse und sklavische Vorurteile mich abhalten, mir meine Ruhe wieder zu erkaufen? Nein, ich bin ein deutscher Jüng- ling; wozu Schleifwege! wo man sich nicht scheuen darf, die Heerstrasse zu wandeln? warum sollten mich lächerliche Vorurteile, und ein sklavischer Wolstand, den harte Seelen schufen, sich ihr Le- ben abzukümmern, zurük scheuchen, mich ihr zu nahen, und ein Herz zu enthüllen, das schuldlos und rein ist? Dank dir, Schöpfer meiner Tage! daß ich es ihr anbieten kann, unbeflekt und rein, von keiner schnöden Lust entweiht, zwar nicht fehler- frei, aber doch nie gewichen von der Bahn der Un- schuld. Oft wallte mein Blut in den Adern, als wollt es sie zersprengen, jede Nerve zukte, ich horchte auf den Sirenenton, wankte -- bebte -- wollte fliehen, und stand wie angewurzelt da -- aber du warntest mich, Genius der Unschuld! nahmst die Binde vom blöden Auge, und ich sah Gerippe im rauschenden Taft gehüllt, hole Augen und schlei- chende Schatten der gesunkenen Menschheit: da floh ich den Geruch der Narden und Salben, und jam- merte im Stillen über das menschliche Elend, that aber ein Gelübde vor dem Angesicht der Gottheit, der Tugend treu zu bleiben bis auf den lezten Hauch meines Lebens! -- Und so habe ich immer mein Herz rein und unbeflekt erhalten, so schwer der
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mer vertroknen? ſollen Verhaͤltniſſe und ſklaviſche Vorurteile mich abhalten, mir meine Ruhe wieder zu erkaufen? Nein, ich bin ein deutſcher Juͤng- ling; wozu Schleifwege! wo man ſich nicht ſcheuen darf, die Heerſtraſſe zu wandeln? warum ſollten mich laͤcherliche Vorurteile, und ein ſklaviſcher Wolſtand, den harte Seelen ſchufen, ſich ihr Le- ben abzukuͤmmern, zuruͤk ſcheuchen, mich ihr zu nahen, und ein Herz zu enthuͤllen, das ſchuldlos und rein iſt? Dank dir, Schoͤpfer meiner Tage! daß ich es ihr anbieten kann, unbeflekt und rein, von keiner ſchnoͤden Luſt entweiht, zwar nicht fehler- frei, aber doch nie gewichen von der Bahn der Un- ſchuld. Oft wallte mein Blut in den Adern, als wollt es ſie zerſprengen, jede Nerve zukte, ich horchte auf den Sirenenton, wankte — bebte — wollte fliehen, und ſtand wie angewurzelt da — aber du warnteſt mich, Genius der Unſchuld! nahmſt die Binde vom bloͤden Auge, und ich ſah Gerippe im rauſchenden Taft gehuͤllt, hole Augen und ſchlei- chende Schatten der geſunkenen Menſchheit: da floh ich den Geruch der Narden und Salben, und jam- merte im Stillen uͤber das menſchliche Elend, that aber ein Geluͤbde vor dem Angeſicht der Gottheit, der Tugend treu zu bleiben bis auf den lezten Hauch meines Lebens! — Und ſo habe ich immer mein Herz rein und unbeflekt erhalten, ſo ſchwer der
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mer vertroknen? ſollen Verhaͤltniſſe und ſklaviſche
Vorurteile mich abhalten, mir meine Ruhe wieder
zu erkaufen? Nein, ich bin ein deutſcher Juͤng-
ling; wozu Schleifwege! wo man ſich nicht ſcheuen
darf, die Heerſtraſſe zu wandeln? warum ſollten
mich laͤcherliche Vorurteile, und ein ſklaviſcher
Wolſtand, den harte Seelen ſchufen, ſich ihr Le-
ben abzukuͤmmern, zuruͤk ſcheuchen, mich ihr zu
nahen, und ein Herz zu enthuͤllen, das ſchuldlos
und rein iſt? Dank dir, Schoͤpfer meiner Tage!
daß ich es ihr anbieten kann, unbeflekt und rein,
von keiner ſchnoͤden Luſt entweiht, zwar nicht fehler-
frei, aber doch nie gewichen von der Bahn der Un-
ſchuld. Oft wallte mein Blut in den Adern, als
wollt es ſie zerſprengen, jede Nerve zukte, ich horchte
auf den Sirenenton, wankte — bebte — wollte
fliehen, und ſtand wie angewurzelt da — aber du
warnteſt mich, Genius der Unſchuld! nahmſt die
Binde vom bloͤden Auge, und ich ſah Gerippe im
rauſchenden Taft gehuͤllt, hole Augen und ſchlei-
chende Schatten der geſunkenen Menſchheit: da floh
ich den Geruch der Narden und Salben, und jam-
merte im Stillen uͤber das menſchliche Elend, that
aber ein Geluͤbde vor dem Angeſicht der Gottheit,
der Tugend treu zu bleiben bis auf den lezten
Hauch meines Lebens! — Und ſo habe ich immer
mein Herz rein und unbeflekt erhalten, ſo ſchwer der
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/253>, abgerufen am 22.11.2024.
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