und sie dieser Szene entrükt. Aber oft ist auch Verzweiflung ihr Loos -- Verzweiflung nagt am Herzen, macht finster und wild -- Ver- zweiflung verwischt alle Züge der Menschheit -- Verzweiflung gibt das Werkzeug in ihrer Hand, sich selbst das Leben zu kürzen -- sie fal- len, wie das Gras unter der schneidenden Si- chel. So viele wallen vorüber, entsezzen sich ob der That des Selbstmords, und kennen das menschliche Herz nicht, wie es in die Enge getrie- ben, und von zallosen Leiden so gemartert wer- den kann, daß es dem Tode, als seinem einzigen noch übrig gebliebenen Freund und Retter, in die Arme sinkt. -- Da sprechen so viele mit rich- terlicher Strenge das Verdammungsurteil, und richten den Bruder, der im kühlen Schoos der Erde, entlastet von allem Kummer, ruht, und der keine Appellation gegen den Richtspruch hienieden mehr einreichen kann.
O, daß ihr blinde Richter! den Schall der Worte des grösten Lehrers der Menschheit, vernehmen möchtet -- richtet nicht, so wer- det ihr auch nicht gerichtet. -- Du aber, weiche Seele! die du Thränen hast für mensch- liche Leiden, die du bei dem Fall eines deiner
und ſie dieſer Szene entruͤkt. Aber oft iſt auch Verzweiflung ihr Loos — Verzweiflung nagt am Herzen, macht finſter und wild — Ver- zweiflung verwiſcht alle Zuͤge der Menſchheit — Verzweiflung gibt das Werkzeug in ihrer Hand, ſich ſelbſt das Leben zu kuͤrzen — ſie fal- len, wie das Gras unter der ſchneidenden Si- chel. So viele wallen voruͤber, entſezzen ſich ob der That des Selbſtmords, und kennen das menſchliche Herz nicht, wie es in die Enge getrie- ben, und von zalloſen Leiden ſo gemartert wer- den kann, daß es dem Tode, als ſeinem einzigen noch uͤbrig gebliebenen Freund und Retter, in die Arme ſinkt. — Da ſprechen ſo viele mit rich- terlicher Strenge das Verdammungsurteil, und richten den Bruder, der im kuͤhlen Schoos der Erde, entlaſtet von allem Kummer, ruht, und der keine Appellation gegen den Richtſpruch hienieden mehr einreichen kann.
O, daß ihr blinde Richter! den Schall der Worte des groͤſten Lehrers der Menſchheit, vernehmen moͤchtet — richtet nicht, ſo wer- det ihr auch nicht gerichtet. — Du aber, weiche Seele! die du Thraͤnen haſt fuͤr menſch- liche Leiden, die du bei dem Fall eines deiner
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Verzweiflung ihr Loos — Verzweiflung nagt
am Herzen, macht finſter und wild — Ver-
zweiflung verwiſcht alle Zuͤge der Menſchheit —
Verzweiflung gibt das Werkzeug in ihrer
Hand, ſich ſelbſt das Leben zu kuͤrzen — ſie fal-
len, wie das Gras unter der ſchneidenden Si-
chel. So viele wallen voruͤber, entſezzen ſich
ob der That des Selbſtmords, und kennen das
menſchliche Herz nicht, wie es in die Enge getrie-
ben, und von zalloſen Leiden ſo gemartert wer-
den kann, daß es dem Tode, als ſeinem einzigen
noch uͤbrig gebliebenen Freund und Retter, in
die Arme ſinkt. — Da ſprechen ſo viele mit rich-
terlicher Strenge das Verdammungsurteil,
und richten den Bruder, der im kuͤhlen Schoos
der Erde, entlaſtet von allem Kummer, ruht,
und der keine Appellation gegen den Richtſpruch
hienieden mehr einreichen kann.
O, daß ihr blinde Richter! den Schall
der Worte des groͤſten Lehrers der Menſchheit,
vernehmen moͤchtet — richtet nicht, ſo wer-
det ihr auch nicht gerichtet. — Du aber,
weiche Seele! die du Thraͤnen haſt fuͤr menſch-
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/238>, abgerufen am 23.11.2024.
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