Tochter Evens, den sie um dich schlinget, ent- zükt vom Druk der warmen Hand, berauscht von ihren Küssen, umhüllt ein Flor deine Augen; du siehst nicht mehr bloß die feile niedere Bule- rinn, die ihre Liebkosungen jedem verschwendet, der sie erkauft, die mit dem einen Auge dir lieb- koset, und mit dem andern nach deiner Börse schielet; du hörst nicht mehr den lezten schon er- stikten Laut der Tugend, hörst nicht den war- nenden Freund, sinkest taumelnd in die Arme deiner Göttin, glaubst dich von Liebesgöttern um- flattert, von Amouretten eingelullt, und schwelgst im Meer der Lust, bis du ermattet dem Schlaf in die Arme sinkst. Du schläfst, und wähnest das Elend nicht, das deiner hart, und dich ge- wis ereilen wird. Nagende Reue, ein wütender Schmerz in deinen Gebeinen, ein verzehrendes Feuer in deinen Adern erwacht mit dir; die viel- köpfigte Hider der Verzweiflung schleicht dir nach, und nagt unaufhörlich an der Knospe deines Le- bens. Nun sage all' deinen Freuden auf ewig Lebewol, denn sie werden nicht mehr Wonung bei dir machen; an ihrer statt stehen die Furien um dein Siechbette, und wüten in deinen Ge- beinen; all' deine Kräfte schwinden dahin, aus-
Tochter Evens, den ſie um dich ſchlinget, ent- zuͤkt vom Druk der warmen Hand, berauſcht von ihren Kuͤſſen, umhuͤllt ein Flor deine Augen; du ſiehſt nicht mehr bloß die feile niedere Bule- rinn, die ihre Liebkoſungen jedem verſchwendet, der ſie erkauft, die mit dem einen Auge dir lieb- koſet, und mit dem andern nach deiner Boͤrſe ſchielet; du hoͤrſt nicht mehr den lezten ſchon er- ſtikten Laut der Tugend, hoͤrſt nicht den war- nenden Freund, ſinkeſt taumelnd in die Arme deiner Goͤttin, glaubſt dich von Liebesgoͤttern um- flattert, von Amouretten eingelullt, und ſchwelgſt im Meer der Luſt, bis du ermattet dem Schlaf in die Arme ſinkſt. Du ſchlaͤfſt, und waͤhneſt das Elend nicht, das deiner hart, und dich ge- wis ereilen wird. Nagende Reue, ein wuͤtender Schmerz in deinen Gebeinen, ein verzehrendes Feuer in deinen Adern erwacht mit dir; die viel- koͤpfigte Hider der Verzweiflung ſchleicht dir nach, und nagt unaufhoͤrlich an der Knoſpe deines Le- bens. Nun ſage all’ deinen Freuden auf ewig Lebewol, denn ſie werden nicht mehr Wonung bei dir machen; an ihrer ſtatt ſtehen die Furien um dein Siechbette, und wuͤten in deinen Ge- beinen; all’ deine Kraͤfte ſchwinden dahin, aus-
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Tochter Evens, den ſie um dich ſchlinget, ent-
zuͤkt vom Druk der warmen Hand, berauſcht von
ihren Kuͤſſen, umhuͤllt ein Flor deine Augen;
du ſiehſt nicht mehr bloß die feile niedere Bule-
rinn, die ihre Liebkoſungen jedem verſchwendet,
der ſie erkauft, die mit dem einen Auge dir lieb-
koſet, und mit dem andern nach deiner Boͤrſe
ſchielet; du hoͤrſt nicht mehr den lezten ſchon er-
ſtikten Laut der Tugend, hoͤrſt nicht den war-
nenden Freund, ſinkeſt taumelnd in die Arme
deiner Goͤttin, glaubſt dich von Liebesgoͤttern um-
flattert, von Amouretten eingelullt, und ſchwelgſt
im Meer der Luſt, bis du ermattet dem Schlaf
in die Arme ſinkſt. Du ſchlaͤfſt, und waͤhneſt
das Elend nicht, das deiner hart, und dich ge-
wis ereilen wird. Nagende Reue, ein wuͤtender
Schmerz in deinen Gebeinen, ein verzehrendes
Feuer in deinen Adern erwacht mit dir; die viel-
koͤpfigte Hider der Verzweiflung ſchleicht dir nach,
und nagt unaufhoͤrlich an der Knoſpe deines Le-
bens. Nun ſage all’ deinen Freuden auf ewig
Lebewol, denn ſie werden nicht mehr Wonung
bei dir machen; an ihrer ſtatt ſtehen die Furien
um dein Siechbette, und wuͤten in deinen Ge-
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/218>, abgerufen am 23.11.2024.
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