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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784.

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sie schwinden dahin, und wer kann sie ereilen? --
mit ihnen schwinden dann auch jene Zauberße-
nen der Kindheit, die alle Sinnen gefesselt hiel-
ten, und die Hütte zum Feienpallast, die Fluren
zu Gefilden von Amatunt und Gnidus um-
schufen. Jezt zeigen sich die Gegenstände in ih-
rer wahren Gestalt, aber es bleibt immer eine
Leerheit in der Seele zurük, wir bilden uns
dädalische Gärten, arkadische Fluren,
romantische Thäler,
und doch sind es oft nur
Sandschellen und wüste Eilande, die unser Fuß
betritt. Der Kuabe tritt nun auf einmal aus
dem Kreise seiner Gespielen, legt mit dem Flü-
gelkleid, Knabengedanken und Knabenspiele ab,
und wird unvermerkt ein Jüngling. Nun ent-
wikkeln sich seine Jdeen, sie erlangen Festigkeit
und Spannkraft, schlüpfen nicht mehr über die
Gegenstände hinweg, sondern verweilen, ordnen
und bilden sie aus. Dis ist die Zeit, wo sich
der Embrio von Fähigkeit entwikkelt, wo die
Keime hervor sprossen, wo der Karakter sich zum
Guten oder Bösen lenket. Dis ist die Zeit,
die eine glükliche Epoke unsers Lebens ausfüllen,
ja deren weise Anwendung den Stab sanft,
auf all' unsere Tage herab senkt, deren Ver-

ſie ſchwinden dahin, und wer kann ſie ereilen? —
mit ihnen ſchwinden dann auch jene Zauberſze-
nen der Kindheit, die alle Sinnen gefeſſelt hiel-
ten, und die Huͤtte zum Feienpallaſt, die Fluren
zu Gefilden von Amatunt und Gnidus um-
ſchufen. Jezt zeigen ſich die Gegenſtaͤnde in ih-
rer wahren Geſtalt, aber es bleibt immer eine
Leerheit in der Seele zuruͤk, wir bilden uns
daͤdaliſche Gaͤrten, arkadiſche Fluren,
romantiſche Thaͤler,
und doch ſind es oft nur
Sandſchellen und wuͤſte Eilande, die unſer Fuß
betritt. Der Kuabe tritt nun auf einmal aus
dem Kreiſe ſeiner Geſpielen, legt mit dem Fluͤ-
gelkleid, Knabengedanken und Knabenſpiele ab,
und wird unvermerkt ein Juͤngling. Nun ent-
wikkeln ſich ſeine Jdeen, ſie erlangen Feſtigkeit
und Spannkraft, ſchluͤpfen nicht mehr uͤber die
Gegenſtaͤnde hinweg, ſondern verweilen, ordnen
und bilden ſie aus. Dis iſt die Zeit, wo ſich
der Embrio von Faͤhigkeit entwikkelt, wo die
Keime hervor ſproſſen, wo der Karakter ſich zum
Guten oder Boͤſen lenket. Dis iſt die Zeit,
die eine gluͤkliche Epoke unſers Lebens ausfuͤllen,
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[207/0215] ſie ſchwinden dahin, und wer kann ſie ereilen? — mit ihnen ſchwinden dann auch jene Zauberſze- nen der Kindheit, die alle Sinnen gefeſſelt hiel- ten, und die Huͤtte zum Feienpallaſt, die Fluren zu Gefilden von Amatunt und Gnidus um- ſchufen. Jezt zeigen ſich die Gegenſtaͤnde in ih- rer wahren Geſtalt, aber es bleibt immer eine Leerheit in der Seele zuruͤk, wir bilden uns daͤdaliſche Gaͤrten, arkadiſche Fluren, romantiſche Thaͤler, und doch ſind es oft nur Sandſchellen und wuͤſte Eilande, die unſer Fuß betritt. Der Kuabe tritt nun auf einmal aus dem Kreiſe ſeiner Geſpielen, legt mit dem Fluͤ- gelkleid, Knabengedanken und Knabenſpiele ab, und wird unvermerkt ein Juͤngling. Nun ent- wikkeln ſich ſeine Jdeen, ſie erlangen Feſtigkeit und Spannkraft, ſchluͤpfen nicht mehr uͤber die Gegenſtaͤnde hinweg, ſondern verweilen, ordnen und bilden ſie aus. Dis iſt die Zeit, wo ſich der Embrio von Faͤhigkeit entwikkelt, wo die Keime hervor ſproſſen, wo der Karakter ſich zum Guten oder Boͤſen lenket. Dis iſt die Zeit, die eine gluͤkliche Epoke unſers Lebens ausfuͤllen, ja deren weiſe Anwendung den Stab ſanft, auf all’ unſere Tage herab ſenkt, deren Ver-

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Zitationshilfe: Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/215>, abgerufen am 23.11.2024.