Mitbrüder aufdekken, und ihre eigene nicht fühlen und erkennen wollen. Da keucht die alte Ma- trone am schwindsüchtigen Husten, den ihre Ju- gendsünden herbeigelokt, welk und hager, mit schlotternden Knien und zitternden Händen, wird sie im Winter ihres Lebens eine Betschwester, keift und flucht wider die Jugend, und predigt sich heiser über die Sünden ihres Zeitalters; abgestumpft für alles Vergnügen, von der Freude verscheucht, donnert sie wider Schauspiele, Bälle und Konzerte -- verdrängt aus dem Zirkel der frölichen Geselligkeit, versammelt sie um sich her ein Heer alter Bule rinnen, die wie sie, am Quell der Freude darben.
Da sizt die würdige Klubbe am Theetisch, und schlürfen das heillose Gesöff ein, was ihre Launen verstimmt, Mismut, Unzufriedenheit mit der Welt erregt, und ihre schmähende Zunge vom nächsten Nachbar an, bis zum Bewoner Nova- Zemblas in Bewegung sezt. Da kritteln sie über menschliche Handlungen, und auch über die un- schuldigste wird mit richterlicher Strenge das Verdammungsurteil gesprochen; sie formeln und modeln an den Menschen, und wozu schaffen sie selbige um? zu lauter Tugendheuchlern, die un-
Mitbruͤder aufdekken, und ihre eigene nicht fuͤhlen und erkennen wollen. Da keucht die alte Ma- trone am ſchwindſuͤchtigen Huſten, den ihre Ju- gendſuͤnden herbeigelokt, welk und hager, mit ſchlotternden Knien und zitternden Haͤnden, wird ſie im Winter ihres Lebens eine Betſchweſter, keift und flucht wider die Jugend, und predigt ſich heiſer uͤber die Suͤnden ihres Zeitalters; abgeſtumpft fuͤr alles Vergnuͤgen, von der Freude verſcheucht, donnert ſie wider Schauſpiele, Baͤlle und Konzerte — verdraͤngt aus dem Zirkel der froͤlichen Geſelligkeit, verſammelt ſie um ſich her ein Heer alter Bule rinnen, die wie ſie, am Quell der Freude darben.
Da ſizt die wuͤrdige Klubbe am Theetiſch, und ſchluͤrfen das heilloſe Geſoͤff ein, was ihre Launen verſtimmt, Mismut, Unzufriedenheit mit der Welt erregt, und ihre ſchmaͤhende Zunge vom naͤchſten Nachbar an, bis zum Bewoner Nova- Zemblas in Bewegung ſezt. Da kritteln ſie uͤber menſchliche Handlungen, und auch uͤber die un- ſchuldigſte wird mit richterlicher Strenge das Verdammungsurteil geſprochen; ſie formeln und modeln an den Menſchen, und wozu ſchaffen ſie ſelbige um? zu lauter Tugendheuchlern, die un-
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[202/0210]
Mitbruͤder aufdekken, und ihre eigene nicht fuͤhlen
und erkennen wollen. Da keucht die alte Ma-
trone am ſchwindſuͤchtigen Huſten, den ihre Ju-
gendſuͤnden herbeigelokt, welk und hager, mit
ſchlotternden Knien und zitternden Haͤnden, wird
ſie im Winter ihres Lebens eine Betſchweſter,
keift und flucht wider die Jugend, und predigt
ſich heiſer uͤber die Suͤnden ihres Zeitalters;
abgeſtumpft fuͤr alles Vergnuͤgen, von der Freude
verſcheucht, donnert ſie wider Schauſpiele, Baͤlle
und Konzerte — verdraͤngt aus dem Zirkel der
froͤlichen Geſelligkeit, verſammelt ſie um ſich her
ein Heer alter Bule rinnen, die wie ſie, am Quell
der Freude darben.
Da ſizt die wuͤrdige Klubbe am Theetiſch,
und ſchluͤrfen das heilloſe Geſoͤff ein, was ihre
Launen verſtimmt, Mismut, Unzufriedenheit mit
der Welt erregt, und ihre ſchmaͤhende Zunge vom
naͤchſten Nachbar an, bis zum Bewoner Nova-
Zemblas in Bewegung ſezt. Da kritteln ſie uͤber
menſchliche Handlungen, und auch uͤber die un-
ſchuldigſte wird mit richterlicher Strenge das
Verdammungsurteil geſprochen; ſie formeln und
modeln an den Menſchen, und wozu ſchaffen ſie
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/210>, abgerufen am 23.11.2024.
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