weit umherschweift, kommt der Hirte unsrer Heerde auf mich zu, reißt mich mit sich fort, an diese Bucht, und zeigt mir den Leichnam, den der Sturm aus Schilf geworfen. Worte sind zu arm, meinen Schmerz auszudrükken, Sie füh- len ihn, und es liegt ein Trost darin, daß es Brüder giebt, die mit uns weinen.
Eine Mutter! eine geliebte Schwester! und vielleicht bald einen Vater zu verlieren! denn er kämpft mit dem Leben, und ringt mit dem Tode, bald hab' ich alles verloren, und das in der Blüte meiner Jugend. Das engt das Herz ein, man wird zulezt so bekannt mit dem Gram, daß die Tränen versiegen, aber im Jnnern da krampft's, da wütet's! Wir wollen ihre entseelte Gebeine jezt einsenken in die tiefe Gruft, unter jener Pappel an unsrer Kirchhofsmauer, und ich will ein schwarzes Kreuz oben auf den Hügel sez- zen, damit der Wanderer es sehe und frage, wer da ruhe, und die Winde ihm zurauschen: Ein Täubchen vom Geier verfolgt! Wenn auch mein Vater dahin ist, so will ich einem neuen Weltteil zueilen; es gab schon vielen Ruhe, vielen ein Grab, vielen Beides, eins wird auch für mich da sein! --
Hier
weit umherſchweift, kommt der Hirte unſrer Heerde auf mich zu, reißt mich mit ſich fort, an dieſe Bucht, und zeigt mir den Leichnam, den der Sturm aus Schilf geworfen. Worte ſind zu arm, meinen Schmerz auszudruͤkken, Sie fuͤh- len ihn, und es liegt ein Troſt darin, daß es Bruͤder giebt, die mit uns weinen.
Eine Mutter! eine geliebte Schweſter! und vielleicht bald einen Vater zu verlieren! denn er kaͤmpft mit dem Leben, und ringt mit dem Tode, bald hab’ ich alles verloren, und das in der Bluͤte meiner Jugend. Das engt das Herz ein, man wird zulezt ſo bekannt mit dem Gram, daß die Traͤnen verſiegen, aber im Jnnern da krampft’s, da wuͤtet’s! Wir wollen ihre entſeelte Gebeine jezt einſenken in die tiefe Gruft, unter jener Pappel an unſrer Kirchhofsmauer, und ich will ein ſchwarzes Kreuz oben auf den Huͤgel ſez- zen, damit der Wanderer es ſehe und frage, wer da ruhe, und die Winde ihm zurauſchen: Ein Taͤubchen vom Geier verfolgt! Wenn auch mein Vater dahin iſt, ſo will ich einem neuen Weltteil zueilen; es gab ſchon vielen Ruhe, vielen ein Grab, vielen Beides, eins wird auch fuͤr mich da ſein! —
Hier
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weit umherſchweift, kommt der Hirte unſrer
Heerde auf mich zu, reißt mich mit ſich fort, an
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der Sturm aus Schilf geworfen. Worte ſind zu
arm, meinen Schmerz auszudruͤkken, Sie fuͤh-
len ihn, und es liegt ein Troſt darin, daß es
Bruͤder giebt, die mit uns weinen.
Eine Mutter! eine geliebte Schweſter! und
vielleicht bald einen Vater zu verlieren! denn er
kaͤmpft mit dem Leben, und ringt mit dem Tode,
bald hab’ ich alles verloren, und das in der
Bluͤte meiner Jugend. Das engt das Herz ein,
man wird zulezt ſo bekannt mit dem Gram, daß
die Traͤnen verſiegen, aber im Jnnern da
krampft’s, da wuͤtet’s! Wir wollen ihre entſeelte
Gebeine jezt einſenken in die tiefe Gruft, unter
jener Pappel an unſrer Kirchhofsmauer, und ich
will ein ſchwarzes Kreuz oben auf den Huͤgel ſez-
zen, damit der Wanderer es ſehe und frage, wer
da ruhe, und die Winde ihm zurauſchen: Ein
Taͤubchen vom Geier verfolgt! Wenn auch
mein Vater dahin iſt, ſo will ich einem neuen
Weltteil zueilen; es gab ſchon vielen Ruhe,
vielen ein Grab, vielen Beides, eins wird
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/120>, abgerufen am 21.11.2024.
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