Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

den Abend heraufwallen, sah die stille Ruhe der Na-
tur, die mit leisen Fittigen auf die Flur herabsank.
Meine Brust schlug heftiger, mein Athem ward
leiser, meine Seele strömte in Gefühle des Danks
für jenes Wesen aus, was so viel Freude für die
Menschenkinder bereitete, und uns ein Herz gab,
diese Freuden zu geniessen, bis einst der Abend un-
sers Lebens hereinbricht. Auch mein Abend däm-
mert nicht mehr, nein, er rauscht schon mit seinen
Fittigen hernieder, und ich sehne mich nach ihm --
ich erwarte ihn -- ich freue mich seiner -- Die
Menschen haben mir den Genus der Freude verbit-
tert, sie haben mir Wermut und bittere Salze in
den Kelch gethan; soll ich ich ihn ganz bis auf die
Hefen ausleeren? soll ich so vernichtet werden, daß
die Fugen der Teile auseinander weichen und zer-
trümmert da liegen? -- Nein, mein Schöpfer!
ich bin ein schwaches Weib, laß mich nicht so tief
sinken, raube mir nicht noch das wenige Vertrauen,
was ich zur Bekämpfung so vieler Leiden so nöthig
bedarf, entreiß mir nicht den heitern Gedanken,
dort erscheint sie mir wieder die lächelnde Freude,
und an ihrer Hand durchwalle ich die Amarantenge-
silde des ewigen Lebens. --



Oft habe ich in einsamen Nächten meinen Schö-
pfer um meine Austösung gebeten, und jezt scheint

G 2

den Abend heraufwallen, ſah die ſtille Ruhe der Na-
tur, die mit leiſen Fittigen auf die Flur herabſank.
Meine Bruſt ſchlug heftiger, mein Athem ward
leiſer, meine Seele ſtroͤmte in Gefuͤhle des Danks
fuͤr jenes Weſen aus, was ſo viel Freude fuͤr die
Menſchenkinder bereitete, und uns ein Herz gab,
dieſe Freuden zu genieſſen, bis einſt der Abend un-
ſers Lebens hereinbricht. Auch mein Abend daͤm-
mert nicht mehr, nein, er rauſcht ſchon mit ſeinen
Fittigen hernieder, und ich ſehne mich nach ihm —
ich erwarte ihn — ich freue mich ſeiner — Die
Menſchen haben mir den Genus der Freude verbit-
tert, ſie haben mir Wermut und bittere Salze in
den Kelch gethan; ſoll ich ich ihn ganz bis auf die
Hefen ausleeren? ſoll ich ſo vernichtet werden, daß
die Fugen der Teile auseinander weichen und zer-
truͤmmert da liegen? — Nein, mein Schoͤpfer!
ich bin ein ſchwaches Weib, laß mich nicht ſo tief
ſinken, raube mir nicht noch das wenige Vertrauen,
was ich zur Bekaͤmpfung ſo vieler Leiden ſo noͤthig
bedarf, entreiß mir nicht den heitern Gedanken,
dort erſcheint ſie mir wieder die laͤchelnde Freude,
und an ihrer Hand durchwalle ich die Amarantenge-
ſilde des ewigen Lebens. —



Oft habe ich in einſamen Naͤchten meinen Schoͤ-
pfer um meine Auſtoͤſung gebeten, und jezt ſcheint

G 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0107" n="99"/>
den Abend heraufwallen, &#x017F;ah die &#x017F;tille Ruhe der Na-<lb/>
tur, die mit lei&#x017F;en Fittigen auf die Flur herab&#x017F;ank.<lb/>
Meine Bru&#x017F;t &#x017F;chlug heftiger, mein Athem ward<lb/>
lei&#x017F;er, meine Seele &#x017F;tro&#x0364;mte in Gefu&#x0364;hle des Danks<lb/>
fu&#x0364;r jenes We&#x017F;en aus, was &#x017F;o viel Freude fu&#x0364;r die<lb/>
Men&#x017F;chenkinder bereitete, und uns ein Herz gab,<lb/>
die&#x017F;e Freuden zu genie&#x017F;&#x017F;en, bis ein&#x017F;t der Abend un-<lb/>
&#x017F;ers Lebens hereinbricht. Auch <hi rendition="#fr">mein Abend</hi> da&#x0364;m-<lb/>
mert nicht mehr, nein, er rau&#x017F;cht &#x017F;chon mit &#x017F;einen<lb/>
Fittigen hernieder, und ich &#x017F;ehne mich nach ihm &#x2014;<lb/>
ich erwarte ihn &#x2014; ich freue mich &#x017F;einer &#x2014; Die<lb/><hi rendition="#fr">Men&#x017F;chen</hi> haben mir den Genus der Freude verbit-<lb/>
tert, &#x017F;ie haben mir Wermut und bittere Salze in<lb/>
den Kelch gethan; &#x017F;oll ich ich ihn ganz bis auf die<lb/>
Hefen ausleeren? &#x017F;oll ich &#x017F;o vernichtet werden, daß<lb/>
die Fugen der Teile auseinander weichen und zer-<lb/>
tru&#x0364;mmert da liegen? &#x2014; Nein, <hi rendition="#fr">mein Scho&#x0364;pfer!</hi><lb/>
ich bin ein &#x017F;chwaches Weib, laß mich nicht &#x017F;o tief<lb/>
&#x017F;inken, raube mir nicht noch das wenige Vertrauen,<lb/>
was ich zur Beka&#x0364;mpfung &#x017F;o vieler Leiden &#x017F;o no&#x0364;thig<lb/>
bedarf, entreiß mir nicht den heitern Gedanken,<lb/>
dort er&#x017F;cheint &#x017F;ie mir wieder die la&#x0364;chelnde Freude,<lb/>
und an ihrer Hand durchwalle ich die Amarantenge-<lb/>
&#x017F;ilde des ewigen Lebens. &#x2014;</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Oft habe ich in ein&#x017F;amen Na&#x0364;chten meinen Scho&#x0364;-<lb/>
pfer um meine Au&#x017F;to&#x0364;&#x017F;ung gebeten, und jezt &#x017F;cheint<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">G 2</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[99/0107] den Abend heraufwallen, ſah die ſtille Ruhe der Na- tur, die mit leiſen Fittigen auf die Flur herabſank. Meine Bruſt ſchlug heftiger, mein Athem ward leiſer, meine Seele ſtroͤmte in Gefuͤhle des Danks fuͤr jenes Weſen aus, was ſo viel Freude fuͤr die Menſchenkinder bereitete, und uns ein Herz gab, dieſe Freuden zu genieſſen, bis einſt der Abend un- ſers Lebens hereinbricht. Auch mein Abend daͤm- mert nicht mehr, nein, er rauſcht ſchon mit ſeinen Fittigen hernieder, und ich ſehne mich nach ihm — ich erwarte ihn — ich freue mich ſeiner — Die Menſchen haben mir den Genus der Freude verbit- tert, ſie haben mir Wermut und bittere Salze in den Kelch gethan; ſoll ich ich ihn ganz bis auf die Hefen ausleeren? ſoll ich ſo vernichtet werden, daß die Fugen der Teile auseinander weichen und zer- truͤmmert da liegen? — Nein, mein Schoͤpfer! ich bin ein ſchwaches Weib, laß mich nicht ſo tief ſinken, raube mir nicht noch das wenige Vertrauen, was ich zur Bekaͤmpfung ſo vieler Leiden ſo noͤthig bedarf, entreiß mir nicht den heitern Gedanken, dort erſcheint ſie mir wieder die laͤchelnde Freude, und an ihrer Hand durchwalle ich die Amarantenge- ſilde des ewigen Lebens. — Oft habe ich in einſamen Naͤchten meinen Schoͤ- pfer um meine Auſtoͤſung gebeten, und jezt ſcheint G 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/107
Zitationshilfe: Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/107>, abgerufen am 24.11.2024.