die Natur in mir dies Herz, das so hoch empor brauset, das so viel fordert und nie befriedigt wird? Warum mußte ich dies Herz, das so glüklich hätte sein können, wenige Stunden schon dieses Glüks ge- noß, wegschleudern, und an einen Mann verkaufen der es von sich stößt? Jn diesen Gedanken liegt eine Quelle des Trübsals, die nie versiegen wird, die endlich all' meine Wünsche -- meine Erwartun- gen, ja dies elende Leben selbst verschlingen wird. Ja, Freundin! hätte ich den Trost nicht, daß mir dies Leben bald wird entnommen werden, das mich so grenzenlos elend macht, daß dort mir Gefilde ent- gegen lächeln, wo diese Tränen verrinnen, und das matte Auge dann wieder einmal heiter und froh, in Gottes Schöpfung dämmert, gewiß ich könnte ihn selbst zükken, den Stal, der mich auf einmal dieser Szenen des Jammers entrükt. Meinst Du etwa ich hätte nicht Mut? Jch biu zwar nur ein Weib, ein schwaches Weib, meine Kräfte sind verwelkt und saftlos, und ich bin nicht mehr, was ich ehemals war, aber gehört dazu Mut, sich der drükkenden Fesseln zu entwinden, die uns an ein Leben ketten, das jeden hereinbrechenden Tag mit einer neuen Sze- ne des Elends sich öfnet? Gewiß weniger Mut als ein solches Leben standhaft zu dulden, hindurchzu- kämpfen durch das grosse Thal des Elends, und käm- pfend endlich zu vergehn. Jch fühl's, bald hab' ich
ausge-
die Natur in mir dies Herz, das ſo hoch empor brauſet, das ſo viel fordert und nie befriedigt wird? Warum mußte ich dies Herz, das ſo gluͤklich haͤtte ſein koͤnnen, wenige Stunden ſchon dieſes Gluͤks ge- noß, wegſchleudern, und an einen Mann verkaufen der es von ſich ſtoͤßt? Jn dieſen Gedanken liegt eine Quelle des Truͤbſals, die nie verſiegen wird, die endlich all’ meine Wuͤnſche — meine Erwartun- gen, ja dies elende Leben ſelbſt verſchlingen wird. Ja, Freundin! haͤtte ich den Troſt nicht, daß mir dies Leben bald wird entnommen werden, das mich ſo grenzenlos elend macht, daß dort mir Gefilde ent- gegen laͤcheln, wo dieſe Traͤnen verrinnen, und das matte Auge dann wieder einmal heiter und froh, in Gottes Schoͤpfung daͤmmert, gewiß ich koͤnnte ihn ſelbſt zuͤkken, den Stal, der mich auf einmal dieſer Szenen des Jammers entruͤkt. Meinſt Du etwa ich haͤtte nicht Mut? Jch biu zwar nur ein Weib, ein ſchwaches Weib, meine Kraͤfte ſind verwelkt und ſaftlos, und ich bin nicht mehr, was ich ehemals war, aber gehoͤrt dazu Mut, ſich der druͤkkenden Feſſeln zu entwinden, die uns an ein Leben ketten, das jeden hereinbrechenden Tag mit einer neuen Sze- ne des Elends ſich oͤfnet? Gewiß weniger Mut als ein ſolches Leben ſtandhaft zu dulden, hindurchzu- kaͤmpfen durch das groſſe Thal des Elends, und kaͤm- pfend endlich zu vergehn. Jch fuͤhl’s, bald hab’ ich
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die Natur in mir dies Herz, das ſo hoch empor
brauſet, das ſo viel fordert und nie befriedigt wird?
Warum mußte ich dies Herz, das ſo gluͤklich haͤtte
ſein koͤnnen, wenige Stunden ſchon dieſes Gluͤks ge-
noß, wegſchleudern, und an einen Mann verkaufen
der es von ſich ſtoͤßt? Jn dieſen Gedanken liegt eine
Quelle des Truͤbſals, die nie verſiegen wird, die
endlich all’ meine Wuͤnſche — meine Erwartun-
gen, ja dies elende Leben ſelbſt verſchlingen wird.
Ja, Freundin! haͤtte ich den Troſt nicht, daß mir
dies Leben bald wird entnommen werden, das mich
ſo grenzenlos elend macht, daß dort mir Gefilde ent-
gegen laͤcheln, wo dieſe Traͤnen verrinnen, und das
matte Auge dann wieder einmal heiter und froh, in
Gottes Schoͤpfung daͤmmert, gewiß ich koͤnnte ihn
ſelbſt zuͤkken, den Stal, der mich auf einmal dieſer
Szenen des Jammers entruͤkt. Meinſt Du etwa ich
haͤtte nicht Mut? Jch biu zwar nur ein Weib, ein
ſchwaches Weib, meine Kraͤfte ſind verwelkt und
ſaftlos, und ich bin nicht mehr, was ich ehemals
war, aber gehoͤrt dazu Mut, ſich der druͤkkenden
Feſſeln zu entwinden, die uns an ein Leben ketten,
das jeden hereinbrechenden Tag mit einer neuen Sze-
ne des Elends ſich oͤfnet? Gewiß weniger Mut als
ein ſolches Leben ſtandhaft zu dulden, hindurchzu-
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/104>, abgerufen am 23.11.2024.
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