Jähzornige Leute beleidigen nicht mit Vorsatz. Sie sind aber nicht Meister über die Heftigkeit ihres Temperaments; und so verges¬ sen sie sich, in solchen stürmischen Augenblicken, selbst gegen ihre geliebtesten Freunde, und be¬ reuen nachher zu spät ihre Uebereilung. Ich brauche wohl kaum zu erinnern, daß Nachgie¬ bigkeit -- vorausgesetzt, daß diese Leute andrer guten Eigenschaften wegen, einiger Schonung werth scheinen, denn ausserdem muß man sie gänzlich fliehn -- daß weise Nachgiebigkeit und Sanftmuth die einzigen Mittel sind, den Jäh¬ zornigen zur Vernunft zurückzuführen. Allein ich muß dabey erinnern, daß phlegmatische Kälte dem Erzürnten entgegen zu setzen, ärger als der heftigste Wiederspruch ist; Er glaubt sich dann verachtet, und wird doppelt aufgebracht.
10.
Wenn der Jähzornige nur aus Uebereilung Unrecht thut, und über den kleinsten Anschein von Beleidigung in Hitze geräth, nachher aber auch eben so schnell wieder das erwiesene Unrecht bereuet und das erlittene verzeyht; so verschliesst hingegen der Rachgierige seinen Groll im Her¬
zen,
9.
Jaͤhzornige Leute beleidigen nicht mit Vorſatz. Sie ſind aber nicht Meiſter uͤber die Heftigkeit ihres Temperaments; und ſo vergeſ¬ ſen ſie ſich, in ſolchen ſtuͤrmiſchen Augenblicken, ſelbſt gegen ihre geliebteſten Freunde, und be¬ reuen nachher zu ſpaͤt ihre Uebereilung. Ich brauche wohl kaum zu erinnern, daß Nachgie¬ bigkeit — vorausgeſetzt, daß dieſe Leute andrer guten Eigenſchaften wegen, einiger Schonung werth ſcheinen, denn auſſerdem muß man ſie gaͤnzlich fliehn — daß weiſe Nachgiebigkeit und Sanftmuth die einzigen Mittel ſind, den Jaͤh¬ zornigen zur Vernunft zuruͤckzufuͤhren. Allein ich muß dabey erinnern, daß phlegmatiſche Kaͤlte dem Erzuͤrnten entgegen zu ſetzen, aͤrger als der heftigſte Wiederſpruch iſt; Er glaubt ſich dann verachtet, und wird doppelt aufgebracht.
10.
Wenn der Jaͤhzornige nur aus Uebereilung Unrecht thut, und uͤber den kleinſten Anſchein von Beleidigung in Hitze geraͤth, nachher aber auch eben ſo ſchnell wieder das erwieſene Unrecht bereuet und das erlittene verzeyht; ſo verſchlieſſt hingegen der Rachgierige ſeinen Groll im Her¬
zen,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0238"n="216"/></div><divn="3"><head>9.<lb/></head><p><hirendition="#fr">Jaͤhzornige</hi> Leute beleidigen nicht mit<lb/>
Vorſatz. Sie ſind aber nicht Meiſter uͤber die<lb/>
Heftigkeit ihres Temperaments; und ſo vergeſ¬<lb/>ſen ſie ſich, in ſolchen ſtuͤrmiſchen Augenblicken,<lb/>ſelbſt gegen ihre geliebteſten Freunde, und be¬<lb/>
reuen nachher zu ſpaͤt ihre Uebereilung. Ich<lb/>
brauche wohl kaum zu erinnern, daß Nachgie¬<lb/>
bigkeit — vorausgeſetzt, daß dieſe Leute andrer<lb/>
guten Eigenſchaften wegen, einiger Schonung<lb/>
werth ſcheinen, denn auſſerdem muß man ſie<lb/>
gaͤnzlich fliehn — daß weiſe Nachgiebigkeit und<lb/>
Sanftmuth die einzigen Mittel ſind, den Jaͤh¬<lb/>
zornigen zur Vernunft zuruͤckzufuͤhren. Allein<lb/>
ich muß dabey erinnern, daß phlegmatiſche Kaͤlte<lb/>
dem Erzuͤrnten entgegen zu ſetzen, aͤrger als der<lb/>
heftigſte Wiederſpruch iſt; Er glaubt ſich dann<lb/>
verachtet, und wird doppelt aufgebracht.</p><lb/></div><divn="3"><head>10.<lb/></head><p>Wenn der Jaͤhzornige nur aus Uebereilung<lb/>
Unrecht thut, und uͤber den kleinſten Anſchein<lb/>
von Beleidigung in Hitze geraͤth, nachher aber<lb/>
auch eben ſo ſchnell wieder das erwieſene Unrecht<lb/>
bereuet und das erlittene verzeyht; ſo verſchlieſſt<lb/>
hingegen der <hirendition="#fr">Rachgierige</hi>ſeinen Groll im Her¬<lb/><fwplace="bottom"type="catch">zen,<lb/></fw></p></div></div></div></body></text></TEI>
[216/0238]
9.
Jaͤhzornige Leute beleidigen nicht mit
Vorſatz. Sie ſind aber nicht Meiſter uͤber die
Heftigkeit ihres Temperaments; und ſo vergeſ¬
ſen ſie ſich, in ſolchen ſtuͤrmiſchen Augenblicken,
ſelbſt gegen ihre geliebteſten Freunde, und be¬
reuen nachher zu ſpaͤt ihre Uebereilung. Ich
brauche wohl kaum zu erinnern, daß Nachgie¬
bigkeit — vorausgeſetzt, daß dieſe Leute andrer
guten Eigenſchaften wegen, einiger Schonung
werth ſcheinen, denn auſſerdem muß man ſie
gaͤnzlich fliehn — daß weiſe Nachgiebigkeit und
Sanftmuth die einzigen Mittel ſind, den Jaͤh¬
zornigen zur Vernunft zuruͤckzufuͤhren. Allein
ich muß dabey erinnern, daß phlegmatiſche Kaͤlte
dem Erzuͤrnten entgegen zu ſetzen, aͤrger als der
heftigſte Wiederſpruch iſt; Er glaubt ſich dann
verachtet, und wird doppelt aufgebracht.
10.
Wenn der Jaͤhzornige nur aus Uebereilung
Unrecht thut, und uͤber den kleinſten Anſchein
von Beleidigung in Hitze geraͤth, nachher aber
auch eben ſo ſchnell wieder das erwieſene Unrecht
bereuet und das erlittene verzeyht; ſo verſchlieſſt
hingegen der Rachgierige ſeinen Groll im Her¬
zen,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/238>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.