Ich gestehe, daß in schweren Krankheiten mir die Aufwartung bezahlter Wärter immer angenehmer gewesen ist, als die sorgfältige, lie¬ bevolle Zudringlichkeit werther Freunde. Jene sind durch Erfahrung mit den kleinen Handgrif¬ fen bekannt, und leisten ihre Dienste mit un¬ verdrossener Geduld, Kaltblütigkeit und stren¬ ger Püuctlichkeit, bekümmern sich nicht um unsre Launen, und leiden nicht bey unsern Schmerzen; Diese hingegen werden uns oft, besonders wenn unsre Nerven sehr reizbar sind, durch zu viel Eifer, lästig; wissen nicht behut¬ sam genug bey ihren Handreichungen mit uns umzugehn; erregen unsre Ungeduld durch Fra¬ gen, und machen unser Leiden, durch zu war¬ mes Mitgefühl, so wir in ihren Augen lesen, doppelt schwer; wozu denn noch kömmt, daß der Gedanke, sie zu häufig zu bemühn, und die Furcht, sie zu beleidigen, wenn wir über etwas unzufrieden sind, uns einen peinlichen Zwang auflegen. Will man daher seinen Freund selbst verpflegen; so suche man die Art geübter Kran¬ ken-Wärter nachzuahmen, und den Leidenden so wenig als möglich zu genieren; sondern alles mechanisch so zu machen, wie er es gern zu ha¬
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Ich geſtehe, daß in ſchweren Krankheiten mir die Aufwartung bezahlter Waͤrter immer angenehmer geweſen iſt, als die ſorgfaͤltige, lie¬ bevolle Zudringlichkeit werther Freunde. Jene ſind durch Erfahrung mit den kleinen Handgrif¬ fen bekannt, und leiſten ihre Dienſte mit un¬ verdroſſener Geduld, Kaltbluͤtigkeit und ſtren¬ ger Puͤuctlichkeit, bekuͤmmern ſich nicht um unſre Launen, und leiden nicht bey unſern Schmerzen; Dieſe hingegen werden uns oft, beſonders wenn unſre Nerven ſehr reizbar ſind, durch zu viel Eifer, laͤſtig; wiſſen nicht behut¬ ſam genug bey ihren Handreichungen mit uns umzugehn; erregen unſre Ungeduld durch Fra¬ gen, und machen unſer Leiden, durch zu war¬ mes Mitgefuͤhl, ſo wir in ihren Augen leſen, doppelt ſchwer; wozu denn noch koͤmmt, daß der Gedanke, ſie zu haͤufig zu bemuͤhn, und die Furcht, ſie zu beleidigen, wenn wir uͤber etwas unzufrieden ſind, uns einen peinlichen Zwang auflegen. Will man daher ſeinen Freund ſelbſt verpflegen; ſo ſuche man die Art geuͤbter Kran¬ ken-Waͤrter nachzuahmen, und den Leidenden ſo wenig als moͤglich zu genieren; ſondern alles mechaniſch ſo zu machen, wie er es gern zu ha¬
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Ich geſtehe, daß in ſchweren Krankheiten
mir die Aufwartung bezahlter Waͤrter immer
angenehmer geweſen iſt, als die ſorgfaͤltige, lie¬
bevolle Zudringlichkeit werther Freunde. Jene
ſind durch Erfahrung mit den kleinen Handgrif¬
fen bekannt, und leiſten ihre Dienſte mit un¬
verdroſſener Geduld, Kaltbluͤtigkeit und ſtren¬
ger Puͤuctlichkeit, bekuͤmmern ſich nicht um
unſre Launen, und leiden nicht bey unſern
Schmerzen; Dieſe hingegen werden uns oft,
beſonders wenn unſre Nerven ſehr reizbar ſind,
durch zu viel Eifer, laͤſtig; wiſſen nicht behut¬
ſam genug bey ihren Handreichungen mit uns
umzugehn; erregen unſre Ungeduld durch Fra¬
gen, und machen unſer Leiden, durch zu war¬
mes Mitgefuͤhl, ſo wir in ihren Augen leſen,
doppelt ſchwer; wozu denn noch koͤmmt, daß
der Gedanke, ſie zu haͤufig zu bemuͤhn, und die
Furcht, ſie zu beleidigen, wenn wir uͤber etwas
unzufrieden ſind, uns einen peinlichen Zwang
auflegen. Will man daher ſeinen Freund ſelbſt
verpflegen; ſo ſuche man die Art geuͤbter Kran¬
ken-Waͤrter nachzuahmen, und den Leidenden
ſo wenig als moͤglich zu genieren; ſondern alles
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/207>, abgerufen am 24.11.2024.
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