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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788.

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Gerechtigkeit abzuweichen; wer durch alle Künste
der Chicane und Ueberredung, durch die Unbe¬
stimmtheit, Zweydeutigkeit und Verwirrung der
geschriebenen Gesetze hindurch, klar zu schauen,
und den Punct, den Vernunft, Wahrheit, Redlich¬
keit und Billigkeit bestimmen, zu treffen weiß;
wer der Beschützer des Aermern, des Schwächern
und Unterdrückten gegen den Stärkern, Rei¬
chern und Unterdrücker; wer der Waisen Vater,
der Unschuldigen Retter und Vertheydiger ist --
der ist gewiß unsrer ganzen Verehrung werth.

Was ich hier gesagt habe, beweist aber
auch zugleich, wie sehr viel dazu gehört, auf den
Titel eines würdigen Richters und auf den eines
edeln Sachwalters Anspruch machen zu dürfen,
und es ist, am gelindesten gesprochen, sehr über¬
eilt geurtheilt, wenn man behauptet, es werde,
um ein guter Jurist zu seyn, wenig gesunde
Vernunft, sondern nur Gedächtniß, Schlen¬
drian und ein hartes Herz erfordert, oder die
Rechtsgelehrsamkeit sey nichts anders, als die
Kunst, die Leute auf privilegierte Art um Geld
und Gut zu bringen. Freylich, wenn man
unter einem Juristen einen Mann versteht, der

nur

Gerechtigkeit abzuweichen; wer durch alle Kuͤnſte
der Chicane und Ueberredung, durch die Unbe¬
ſtimmtheit, Zweydeutigkeit und Verwirrung der
geſchriebenen Geſetze hindurch, klar zu ſchauen,
und den Punct, den Vernunft, Wahrheit, Redlich¬
keit und Billigkeit beſtimmen, zu treffen weiß;
wer der Beſchuͤtzer des Aermern, des Schwaͤchern
und Unterdruͤckten gegen den Staͤrkern, Rei¬
chern und Unterdruͤcker; wer der Waiſen Vater,
der Unſchuldigen Retter und Vertheydiger iſt —
der iſt gewiß unſrer ganzen Verehrung werth.

Was ich hier geſagt habe, beweiſt aber
auch zugleich, wie ſehr viel dazu gehoͤrt, auf den
Titel eines wuͤrdigen Richters und auf den eines
edeln Sachwalters Anſpruch machen zu duͤrfen,
und es iſt, am gelindeſten geſprochen, ſehr uͤber¬
eilt geurtheilt, wenn man behauptet, es werde,
um ein guter Juriſt zu ſeyn, wenig geſunde
Vernunft, ſondern nur Gedaͤchtniß, Schlen¬
drian und ein hartes Herz erfordert, oder die
Rechtsgelehrſamkeit ſey nichts anders, als die
Kunſt, die Leute auf privilegierte Art um Geld
und Gut zu bringen. Freylich, wenn man
unter einem Juriſten einen Mann verſteht, der

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[114/0136] Gerechtigkeit abzuweichen; wer durch alle Kuͤnſte der Chicane und Ueberredung, durch die Unbe¬ ſtimmtheit, Zweydeutigkeit und Verwirrung der geſchriebenen Geſetze hindurch, klar zu ſchauen, und den Punct, den Vernunft, Wahrheit, Redlich¬ keit und Billigkeit beſtimmen, zu treffen weiß; wer der Beſchuͤtzer des Aermern, des Schwaͤchern und Unterdruͤckten gegen den Staͤrkern, Rei¬ chern und Unterdruͤcker; wer der Waiſen Vater, der Unſchuldigen Retter und Vertheydiger iſt — der iſt gewiß unſrer ganzen Verehrung werth. Was ich hier geſagt habe, beweiſt aber auch zugleich, wie ſehr viel dazu gehoͤrt, auf den Titel eines wuͤrdigen Richters und auf den eines edeln Sachwalters Anſpruch machen zu duͤrfen, und es iſt, am gelindeſten geſprochen, ſehr uͤber¬ eilt geurtheilt, wenn man behauptet, es werde, um ein guter Juriſt zu ſeyn, wenig geſunde Vernunft, ſondern nur Gedaͤchtniß, Schlen¬ drian und ein hartes Herz erfordert, oder die Rechtsgelehrſamkeit ſey nichts anders, als die Kunſt, die Leute auf privilegierte Art um Geld und Gut zu bringen. Freylich, wenn man unter einem Juriſten einen Mann verſteht, der nur

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Zitationshilfe: Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/136>, abgerufen am 22.11.2024.