Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

Spitzfündigkeiten einschläfern müssen. Sie an¬
geln nach Geschenken, Erbschaften und Ver¬
mächtnissen, wie der Teufel nach ihrer Seele.
Ihr Ehrgeiz ist unermeßlich; ihr geistlicher Stolz,
ihr Despotismus, ihre hierarchische Herschsucht
ohne Grenzen. Den Eifer für die Religion
brauchen sie zum Deckmantel ihrer Leidenschaf¬
ten. Ortodoxie ist die Parole, blinder Glauben
und Ehre Gottes das Feldgeschrey, wenn sie
den unschuldigen, ruhigen Bürger, der einen
Unterschied unter Religion und Theologie macht,
die Pfaffen nicht schmeichelt und ihnen nicht
opfert, bis in den Tod verfolgen wollen. Ihre
Rache ist fürchterlich, unersättlich, ihre Feind¬
schaft unversöhnlich -- ich rede aus Erfahrung --
gegen Den, der sich ihrem eisernen Scepter nicht
unterwerfen, oder zu ihren Bosheiten nicht
schweigen will. Ihre Eitelkeit ist größer, als
die eines Weibes. Sie schleichen sich in die
Häuser und Familien ein, aus Vorwitz, kindi¬
scher Neugier, um sich in Händel zu mischen,
die sie nichts angehn, um Ränke zu schmieden,
Zwietracht zu stiften, und im Trüben zu fischen.
Ihre Predigten, ihre Gespräche und Mienen
sind Bannstrahlen, Verdammungs-Urtheile und

Dro¬
G 2

Spitzfuͤndigkeiten einſchlaͤfern muͤſſen. Sie an¬
geln nach Geſchenken, Erbſchaften und Ver¬
maͤchtniſſen, wie der Teufel nach ihrer Seele.
Ihr Ehrgeiz iſt unermeßlich; ihr geiſtlicher Stolz,
ihr Despotismus, ihre hierarchiſche Herſchſucht
ohne Grenzen. Den Eifer fuͤr die Religion
brauchen ſie zum Deckmantel ihrer Leidenſchaf¬
ten. Ortodoxie iſt die Parole, blinder Glauben
und Ehre Gottes das Feldgeſchrey, wenn ſie
den unſchuldigen, ruhigen Buͤrger, der einen
Unterſchied unter Religion und Theologie macht,
die Pfaffen nicht ſchmeichelt und ihnen nicht
opfert, bis in den Tod verfolgen wollen. Ihre
Rache iſt fuͤrchterlich, unerſaͤttlich, ihre Feind¬
ſchaft unverſoͤhnlich — ich rede aus Erfahrung —
gegen Den, der ſich ihrem eiſernen Scepter nicht
unterwerfen, oder zu ihren Bosheiten nicht
ſchweigen will. Ihre Eitelkeit iſt groͤßer, als
die eines Weibes. Sie ſchleichen ſich in die
Haͤuſer und Familien ein, aus Vorwitz, kindi¬
ſcher Neugier, um ſich in Haͤndel zu miſchen,
die ſie nichts angehn, um Raͤnke zu ſchmieden,
Zwietracht zu ſtiften, und im Truͤben zu fiſchen.
Ihre Predigten, ihre Geſpraͤche und Mienen
ſind Bannſtrahlen, Verdammungs-Urtheile und

Dro¬
G 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0121" n="99"/>
Spitzfu&#x0364;ndigkeiten ein&#x017F;chla&#x0364;fern mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Sie an¬<lb/>
geln nach Ge&#x017F;chenken, Erb&#x017F;chaften und Ver¬<lb/>
ma&#x0364;chtni&#x017F;&#x017F;en, wie der Teufel nach ihrer Seele.<lb/>
Ihr Ehrgeiz i&#x017F;t unermeßlich; ihr gei&#x017F;tlicher Stolz,<lb/>
ihr Despotismus, ihre hierarchi&#x017F;che Her&#x017F;ch&#x017F;ucht<lb/>
ohne Grenzen. Den Eifer fu&#x0364;r die Religion<lb/>
brauchen &#x017F;ie zum Deckmantel ihrer Leiden&#x017F;chaf¬<lb/>
ten. Ortodoxie i&#x017F;t die Parole, blinder Glauben<lb/>
und Ehre Gottes das Feldge&#x017F;chrey, wenn &#x017F;ie<lb/>
den un&#x017F;chuldigen, ruhigen Bu&#x0364;rger, der einen<lb/>
Unter&#x017F;chied unter Religion und Theologie macht,<lb/>
die Pfaffen nicht &#x017F;chmeichelt und ihnen nicht<lb/>
opfert, bis in den Tod verfolgen wollen. Ihre<lb/>
Rache i&#x017F;t fu&#x0364;rchterlich, uner&#x017F;a&#x0364;ttlich, ihre Feind¬<lb/>
&#x017F;chaft unver&#x017F;o&#x0364;hnlich &#x2014; ich rede aus Erfahrung &#x2014;<lb/>
gegen Den, der &#x017F;ich ihrem ei&#x017F;ernen Scepter nicht<lb/>
unterwerfen, oder zu ihren Bosheiten nicht<lb/>
&#x017F;chweigen will. Ihre Eitelkeit i&#x017F;t gro&#x0364;ßer, als<lb/>
die eines Weibes. Sie &#x017F;chleichen &#x017F;ich in die<lb/>
Ha&#x0364;u&#x017F;er und Familien ein, aus Vorwitz, kindi¬<lb/>
&#x017F;cher Neugier, um &#x017F;ich in Ha&#x0364;ndel zu mi&#x017F;chen,<lb/>
die &#x017F;ie nichts angehn, um Ra&#x0364;nke zu &#x017F;chmieden,<lb/>
Zwietracht zu &#x017F;tiften, und im Tru&#x0364;ben zu fi&#x017F;chen.<lb/>
Ihre Predigten, ihre Ge&#x017F;pra&#x0364;che und Mienen<lb/>
&#x017F;ind Bann&#x017F;trahlen, Verdammungs-Urtheile und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">G 2<lb/></fw> <fw place="bottom" type="catch">Dro¬<lb/></fw>
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[99/0121] Spitzfuͤndigkeiten einſchlaͤfern muͤſſen. Sie an¬ geln nach Geſchenken, Erbſchaften und Ver¬ maͤchtniſſen, wie der Teufel nach ihrer Seele. Ihr Ehrgeiz iſt unermeßlich; ihr geiſtlicher Stolz, ihr Despotismus, ihre hierarchiſche Herſchſucht ohne Grenzen. Den Eifer fuͤr die Religion brauchen ſie zum Deckmantel ihrer Leidenſchaf¬ ten. Ortodoxie iſt die Parole, blinder Glauben und Ehre Gottes das Feldgeſchrey, wenn ſie den unſchuldigen, ruhigen Buͤrger, der einen Unterſchied unter Religion und Theologie macht, die Pfaffen nicht ſchmeichelt und ihnen nicht opfert, bis in den Tod verfolgen wollen. Ihre Rache iſt fuͤrchterlich, unerſaͤttlich, ihre Feind¬ ſchaft unverſoͤhnlich — ich rede aus Erfahrung — gegen Den, der ſich ihrem eiſernen Scepter nicht unterwerfen, oder zu ihren Bosheiten nicht ſchweigen will. Ihre Eitelkeit iſt groͤßer, als die eines Weibes. Sie ſchleichen ſich in die Haͤuſer und Familien ein, aus Vorwitz, kindi¬ ſcher Neugier, um ſich in Haͤndel zu miſchen, die ſie nichts angehn, um Raͤnke zu ſchmieden, Zwietracht zu ſtiften, und im Truͤben zu fiſchen. Ihre Predigten, ihre Geſpraͤche und Mienen ſind Bannſtrahlen, Verdammungs-Urtheile und Dro¬ G 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/121
Zitationshilfe: Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/121>, abgerufen am 24.11.2024.