unsre Verirrungen und Thorheiten dargestellt und an das Herz gelegt würden, ja! dann könnte es immer recht gut seyn, oft die Bühne zu besuchen, und den Umgang mit Männern zu wählen, welche man als Wohlthäter ihres Zeitalters ansehn müsste. Man darf aber nicht das Theater nach demjenigen beurtheilen, was es seyn könnte, sondern nach dem, was es ist. Wenn in unsern Lustspielen die comischen Züge der Narrheiten der Menschen so übertrie¬ ben geschildert sind, daß niemand das Bild sei¬ ner eigenen Schwachheiten darinn erkennt; wenn romanhafte Liebe darinn begünstigt wird; wenn junge Phantasten und verliebte Mädgen daraus lernen, wie man die alten vernünftigen Väter und Mütter, die zur ehelichen Glückselig¬ keit mehr als eingebildete Sympathie und vor¬ übergehenden Liebes-Rausch fordern, betrügen und zu ihrer Einwilligung bewegen muß; wenn in unsern Schauspielen Leichtsinn im gefälligen Gewande erscheint, eminentes Laster in Glanz und Hoheit auftritt, und, durch einen Anstrich von Größe und Kraft, wieder Willen Bewun¬ derung erzwingt; wenn im Trauerspiele unser Auge mit dem Anblicke der ärgsten Greuel ver¬
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unſre Verirrungen und Thorheiten dargeſtellt und an das Herz gelegt wuͤrden, ja! dann koͤnnte es immer recht gut ſeyn, oft die Buͤhne zu beſuchen, und den Umgang mit Maͤnnern zu waͤhlen, welche man als Wohlthaͤter ihres Zeitalters anſehn muͤſſte. Man darf aber nicht das Theater nach demjenigen beurtheilen, was es ſeyn koͤnnte, ſondern nach dem, was es iſt. Wenn in unſern Luſtſpielen die comiſchen Zuͤge der Narrheiten der Menſchen ſo uͤbertrie¬ ben geſchildert ſind, daß niemand das Bild ſei¬ ner eigenen Schwachheiten darinn erkennt; wenn romanhafte Liebe darinn beguͤnſtigt wird; wenn junge Phantaſten und verliebte Maͤdgen daraus lernen, wie man die alten vernuͤnftigen Vaͤter und Muͤtter, die zur ehelichen Gluͤckſelig¬ keit mehr als eingebildete Sympathie und vor¬ uͤbergehenden Liebes-Rauſch fordern, betruͤgen und zu ihrer Einwilligung bewegen muß; wenn in unſern Schauſpielen Leichtſinn im gefaͤlligen Gewande erſcheint, eminentes Laſter in Glanz und Hoheit auftritt, und, durch einen Anſtrich von Groͤße und Kraft, wieder Willen Bewun¬ derung erzwingt; wenn im Trauerſpiele unſer Auge mit dem Anblicke der aͤrgſten Greuel ver¬
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unſre Verirrungen und Thorheiten dargeſtellt
und an das Herz gelegt wuͤrden, ja! dann
koͤnnte es immer recht gut ſeyn, oft die Buͤhne
zu beſuchen, und den Umgang mit Maͤnnern
zu waͤhlen, welche man als Wohlthaͤter ihres
Zeitalters anſehn muͤſſte. Man darf aber nicht
das Theater nach demjenigen beurtheilen, was
es ſeyn koͤnnte, ſondern nach dem, was es
iſt. Wenn in unſern Luſtſpielen die comiſchen
Zuͤge der Narrheiten der Menſchen ſo uͤbertrie¬
ben geſchildert ſind, daß niemand das Bild ſei¬
ner eigenen Schwachheiten darinn erkennt;
wenn romanhafte Liebe darinn beguͤnſtigt wird;
wenn junge Phantaſten und verliebte Maͤdgen
daraus lernen, wie man die alten vernuͤnftigen
Vaͤter und Muͤtter, die zur ehelichen Gluͤckſelig¬
keit mehr als eingebildete Sympathie und vor¬
uͤbergehenden Liebes-Rauſch fordern, betruͤgen
und zu ihrer Einwilligung bewegen muß; wenn
in unſern Schauſpielen Leichtſinn im gefaͤlligen
Gewande erſcheint, eminentes Laſter in Glanz
und Hoheit auftritt, und, durch einen Anſtrich
von Groͤße und Kraft, wieder Willen Bewun¬
derung erzwingt; wenn im Trauerſpiele unſer
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/113>, abgerufen am 24.11.2024.
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